Deutscher Ultratrail-Meister im Interview„Bin zwei Mal in vollem Tempo ausgerutscht“
Bergisch Gladbach – Lukas Kley (29) aus dem Laufteam des TV Refrath hat beim „Heldentrail“ in Suhl/Thüringen über 65 Kilometer und knapp 2500 Höhenmeter die erste Deutsche Meisterschaft in der Gesamtwertung für seinen Verein gewonnen. Als „Trail“ werden Laufstrecken abseits asphaltierter Wege bezeichnet, das Präfix „Ultra“ bedeutet, die Streckenlänge ist länger als bei einem normalen Marathon. Im Falle des Südthüringentrails ist die Strecke 64,9 Kilometer lang, Läuferinnen und Läufer müssen 2491 Höhenmeter überwinden. Mit Luka Kley sprach Claus Boelen-Theile.
War der Erfolg für Sie überraschend, im Feld der besten Ultra- und Bergläufer Deutschlands?
Kley: Ja, der Titel war für mich auf jeden Fall überraschend. In Richtung Podest hatte ich mir schon Chancen ausgerechnet und ich wusste, dass ich jetzt zum Ende meiner Saison noch in guter Form war, aber dass es zum gemeinsamen Sieg (mit Alexander Dautel von der LG Nord Berlin, d.Red.) reicht, hätte ich niemals erwartet.
Wie sind Sie zum Laufen gekommen?
Ich habe im Jahr 2015 während meines Studiums in Köln einfach aus Spaß mit dem Laufen angefangen, nachdem ich meine Skilanglaufkarriere nach der Schule beendet habe, da es für mich nicht zum Profi gereicht hat und ich dann erstmal andere Erfahrungen im Leben sammeln wollte abseits des Sports.
Im Internet bin ich auf die Ultratrail-Sparte gestoßen, habe mir viele Videos dazu angeschaut und wusste sofort: Das will ich mal machen! Ich wollte davor aber noch einige Straßen- und Bahn-Bestzeiten setzen und Laufkilometer sammeln, weswegen ich eigentlich erst Anfang 2020 entschieden habe, mich nun auf Ultras zu fokussieren.
Zum Renngeschehen: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie und ihr mit an der Spitze laufender Kontrahent Alexander Dautel (LG Nord Berlin) gemeinsam ins Ziel einliefen?
Alex kannte ich vorher nicht persönlich, aber wir sind das Rennen eigentlich vom Start weg gemeinsam gelaufen, erst noch in einer etwas größeren Führungsgruppe, die dann immer kleiner wurde, bis es im Endeffekt für die gesamte zweite Hälfte des Rennens nur noch wir beide waren. Ungefähr neun oder zehn Kilometer vor dem Ziel hat er dann den Vorschlag gemacht, gemeinsam über die Linie zu laufen.
Mich hat’s schon überrascht, bei einem Meisterschaftsrennen erwartet man das ja nicht unbedingt. Ich musste dann an die beiden Hochspringer denken, die sich bei Olympia Gold geteilt haben und fand die Idee richtig gut! Es war ein schönes Gefühl, den Schlussabschnitt dann gemeinsam und nicht gegeneinander zu bestreiten. Wenn man so lange Wettkämpfe wie Ultratrails gemeinsam durchsteht, bildet sich da schon ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.
Unter Insidern heißt es, dass der traditionsreiche Rennsteiglauf, ebenfalls im Thüringer Wald, ein Spaziergang gegen den Heldentrail sei. Stimmt das?
Den Rennsteiglauf bin ich selbst noch nie gelaufen, aber so wie ich den Rennsteig kenne, sind dort die Anstiege deutlich seichter als beim Heldentrail und auch technisch nicht so anspruchsvoll, da hauptsächlich auf den „Waldautobahnen“ (Forstwege) gelaufen wird.
Die Pfade waren wirklich überraschend eng beim Heldentrail, teilweise auch ordentlich steil und über anspruchsvolles Gelände. Das hatte ich so vorher auch nicht unbedingt erwartet, aber dem Trailläufer gefällt das natürlich. Auch die ersten 90 Minuten im Dunkeln sind eine Herausforderung. Die Strecke war aber exzellent ausgeschildert.
Hat man ein Auge für die Schönheit der Landschaft unterwegs? Oder gehen die Gedanken zur nächsten Steigung? Der Suhler Balkon soll ein besonderes Landschaftspanorama bieten, heißt es.
Als Wettkampftyp und besonders bei der Deutschen Meisterschaft bleibt für das Genießen der Landschaft tatsächlich keine Zeit. Das mache ich im Training. Im Wettkampf gibt es permanent etwas anderes zu tun. Man horcht in den Körper hinein, um die Geschwindigkeit und die Kraftreserven zu überprüfen, denkt an den kommenden Streckenabschnitt, achtet auf Ernährung und Flüssigkeitszufuhr und schaut, was die anderen so machen. Da es durchgehend bedeckt und am Morgen auch neblig war, fürchte ich, dass diesmal auch für die Genussläufer keine ausgeschweiften Panoramablicke drin waren.
Auf der Strecke gab es auch eine Hammerwand? Wie stellt man sich das vor?
Bei der Frage muss ich leider passen. Habe mir gerade die Streckenbeschreibung und das Profil selber nochmal angeschaut, auf den ersten Kilometern gab es schon einen Anstieg, aber der war jetzt nicht wirklich „hammerwandig“, sondern gut laufbar. Interessanter war da schon die Skipiste bergauf.
Welcher Anstieg war der steilste? Der zum Schneekopfturm oder zu Beer- oder Salzberg?
Definitiv die Skipiste geradeaus nach oben zum Beerberg! Dort war dann Powerhiking angesagt. Zum Glück lag der Anstieg früh im Rennen, noch bevor die Sonne aufgegangen war, so hatte man noch genug Kraft dafür.
Und Sie sind später auch den steilsten Skihang Thüringens talwärts gelaufen. Wie war das?
Auch dieser Abschnitt hat mich überrascht. Es hatte am frühen Morgen Regen eingesetzt, entsprechend durchweicht war die Wiese auf dem Hang und es war eine echte Rutschpartie. Ich bin zwei Mal in vollem Tempo ausgerutscht und einige Meter auf dem Hosenboden den Hang hinuntergeschlittert. Es war zum Glück kein Stein im Weg und ich konnte direkt wieder aufstehen und weiterlaufen, nur einige kleine Kratzer.
Bergablaufen ist definitiv ein fester Bestandteil des Trainings, sowohl was die Technik angeht als auch muskulär muss man sich darauf vorbereiten. Die Downhills sind auch die Abschnitte, in denen die Flachländer gegenüber den Alpinisten den größten Nachteil haben, da sie das nicht mehrmals die Woche ins Training einbauen können.
Gab es unterwegs auch Krisen?
Normalerweise sind Krisen während eines Ultras die Norm und nicht die Ausnahme, dieses Mal hatte ich überraschenderweise aber keine echte Krise, ich war durchgehend fokussiert und hatte auch schon früh gemerkt, dass ich mich an diesem Tag gut fühle und dass etwas möglich sein wird. Was einer Krise vielleicht am nächsten kommt, war gleich zu Beginn, als noch im Dunkeln meine Stirnlampe einen Defekt hatte und ich ab einer Stunde vor dem Sonnenaufgang nur noch mit einer Notfunzel unterwegs war. Ich habe mich dann an den Letten Toms Komass gehängt, der zu der Zeit in unserer Gruppe die Führungsarbeit übernommen hatte.
Hatten Sie auch Selbstverpflegung dabei?
Aufgrund der für einen Ultratrail recht kurzen Distanz hatte ich mich für dieses Rennen dazu entschieden, mich komplett mit Energiegels aus meiner Laufweste zu ernähren. Bei den Verpflegungsstationen habe ich nur Getränke nachgefüllt und das ein oder andere Stück Gurke oder Wassermelone mitgenommen.
Wie viele Kilometer absolvieren Sie in der Woche und wie bekommen Sie Beruf und persönliches Umfeld unter einen Hut?
Je nach Phase der Saison sind das so zwischen 80 und 140 Kilometern in der Woche mit 2000 bis 4000 Höhenmetern an sechs Tagen. Jetzt gerade in der Saisonpause deutlich weniger, dafür plane ich über den Winter das Spitzenvolumen noch etwas zu steigern in Vorbereitung auf den Transgrancanaria Anfang März.
Ja, das alles mit meiner Arbeit als Software-Entwickler zu organisieren, ist manchmal nicht so leicht. Glücklicherweise bin ich dort ortsmäßig und auch in gewissem Rahmen zeitlich flexibel. Wichtig ist mir, die freie Zeit zu nutzen, um Freunde zu sehen und auch mal einen lockeren Abend mit ein paar Bierchen zu genießen, das ist essenziell für das Wohlbefinden, und am Ende entscheidet über den Erfolg sowieso der Kopf.
Im Sommer, vor Ihrer Teilnahme am Ultralauf KAT 100 in Österreich (91 Kilometer, über 5000 Höhenmeter), hatten Sie auch Trainingsläufe im Siebengebirge gemacht. Stand das jetzt auch wieder an?
Mein Lieblings-Trainingsgebiet hier ist tatsächlich das Siebengebirge ja, und dort am liebsten den Petersberger Bittweg, 250 Höhenmeter mit 15 Prozent Steigung, da kann man schön hochballern. Das Bergische Land ist mir für den spezifischen Trainingsreiz nicht steil und bergig genug, wer mich da eines Besseren belehren kann, möge sich bei mir melden!
Wie haben Sie sich im Ziel gefühlt?
Überglücklich! Es war die absolut richtig Entscheidung, das Ding mit Alex Dautel gemeinsam zu machen, es hat richtig Spaß gemacht diesen Moment zu teilen. Meine Motivation für das kommende Jahr ist seitdem auch bis in die Haarspitzen gestiegen. Man muss ja sagen, dass zu dieser Ultratrail-DM die bekanntesten Namen der deutschen Traillauf-Szene, wie Hannes Namberger, Moritz auf der Heide, Florian Neuschwander und so weiter nicht angetreten sind, insofern bin ich darauf gespannt, mich auch mal bei den ganz großen Rennen zu beweisen, wobei da realistischerweise auch noch einige Jahre des Trainings vor mir liegen, bis ich das Niveau vielleicht auch laufen kann.
Sie stammen aus Rosenheim und waren früher Skilangläufer. Was ist der Unterschied zum Laufen?
Das Skilanglauf-Training ist aufgrund dessen, dass man den ganzen Körper auf vielfältige Weise trainieren muss, viel aufwendiger. Ich liebe die Einfachheit beim Laufen, Schuhe an, halbwegs funktionale Kleidung an, Haustür zu und ab. Die Zeit, in der ich heute mit dem Lauftraining für den Tag fertig bin, ging früher oft allein für das Pendeln zu den verschiedenen Trainingsstätten drauf.
Daher fällt mir auch kaum eine andere Sportart ein, die man neben voller Berufstätigkeit auf so hohem Niveau ausüben kann wie das Laufen. Aber auch abseits pragmatischer Gründe: beim Laufen habe ich das Gefühl, in meinem Element zu sein, die Laufbewegung an sich gibt mir unheimlich viel. Das war beim Skilanglauf insgesamt weniger der Fall.
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Wie haben Sie eigentlich zum TV Refrath gefunden?
Der Jochen (TVR-Abteilungsleiter Jochen Baumhof, d. Red.) hatte mich mal im Ziel des Stadionlaufs in Köln „abgefangen“, nachdem ich einen seiner schnellsten Jungs, André Rinke, überholt hatte, bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich selbst trainiert. Nach ein paar Probetrainings war ich dann fest dabei. Jochen kreiert beim TV Refrath eine Atmosphäre, in der jeder wertgeschätzt wird.
Er interessiert sich immer für den ganzen Menschen und nicht nur das Laufen, ich habe ihm da viel zu verdanken. Eine solche Betreuung habe ich in meiner gesamten Zeit als Skilangläufer nicht erlebt und diese Stimmung überträgt sich dann auch auf das gesamte Team, das ist wirklich etwas Besonderes.