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Für ukrainische KinderklinikWie ein bergischer Hilfskonvoi sich nach Lviv kämpft

Lesezeit 6 Minuten

Checkpoint am Stadtrand von Lviv: Der Hilfskonvoi aus Bergisch Gladbach und Overath darf trotz nächtlicher Ausgangssperre passieren.

  1. Unser Redakteur Guido Wagner hat einen Hilfskonvoi ins ukrainische Lviv begleitet.
  2. 20 Tonnen Hilfsmittel für ein Kinderkrankenhaus und die Caritas sollen über die Grenze.
  3. Lesen Sie hier Part 1 unserer Serie.

Rhein-Berg/Lviv – Es ist kurz nach Mitternacht, als unser Hilfskonvoi endlich den Stadtrand des westukrainischen Lviv erreicht, gut 28 Stunden nach der Abfahrt in Overath. Im Scheinwerferkegel des ersten Konvoi-Lastwagens sind Barrikaden zu sehen, Erdhügel, zu Hindernissen zusammengeschweißte Stahlträger, Sandsäcke und mit Maschinenpistolen bewaffnete Militärs.

Als der Uniformierte, der hier offenbar das Sagen hat, an den Caritas-Logos und der Aufschrift auf den Lkw erkennt, dass er einen Hilfskonvoi vor sich hat, deutet er mit dem Daumen nach oben, nickt und lässt uns passieren.

Checkpoint am Stadtrand von Lviv: Der Hilfskonvoi aus Bergisch Gladbach und Overath darf trotz nächtlicher Ausgangssperre passieren.

24 Stunden später werden die zwölf Hilfstransporteure des Bergisch Gladbacher Vereins Hilfe Litauen Belarus und der Humanitären Hilfe Overath schon wieder auf dem Rückweg sein, ein paar Stunden in Krankenhausbetten die Augen zugemacht und einen Luftalarm nur knapp verpasst haben.

Tausende Geflüchtete in der Stadt können kaum versorgt werden

Doch daran denkt bei der nächtlichen Kontrolle niemand; die zwölf Frauen und Männer, vom Unternehmer über den Polizeibeamten bis zur Ärztin, die sich für den bereits zweiten Ukraine-Hilfskonvoi der beiden bergischen Hilfsorganisationen in ihren normalen Jobs freigenommen haben, wollen nur alles daran setzen, dass die 20 Tonnen Medikamente und Lebensmittel, die wir geladen haben, ihr Ziel erreichen: eine Kinderklinik in Lviv und die örtliche Caritas , die versucht, Tausende Geflüchtete in der Stadt mit dem Nötigsten zu versorgen. Warum selbst ukrainische Spediteure an der Grenze kaum noch in das Land durchkommen, haben wir auf dem Hinweg selbst erlebt.

Vor der Abfahrt gibt der Overather Kaplan Andrzej Bednarz (r.) den Hilfstransporteuren den Reisesegen.

Mit gemischten Gefühlen ist es am Donnerstagabend losgegangen. Overaths Kaplan Andrzej Bednarz hat Fahrer und Fahrzeuge vor der Abfahrt gesegnet. Der polnischstämmige katholische Seelsorger hat selbst einen ukrainischen Schwager, weiß um die Not der Menschen dort. „Kommen Sie alle wieder heil nach Hause!“, wünscht er den Freiwilligen, bevor diese mit zwei Lastwagen und zwei Anhängergespannen auf die A4 Richtung Osten starten.

Der Wunsch der Verwandten: „Kommt heil wieder“

„Meine Partnerin hat sich schon Sorgen gemacht, als sie erfuhr, wo ich hinwill“, sagt Dirk Ballsieper nachdenklich bei der ersten Rast unweit von Erfurt. Am nächsten Morgen wird er nicht als Hausmeister der Grundschule An der Strunde aufschließen, sondern einen Lkw in die Ukraine steuern. „Auch in meiner Verwandtschaft haben alle gesagt: Kommt heil wieder“, sagt Heinz-Bernd Padberg. „Aber niemand hat versucht, es mir auszureden.“ Es hätte wohl auch wenig Zweck gehabt.

Am Steuer: Die Konvoi-Organisatoren Norbert Kuhl und Uli Gürster (v.l.)

Tagelang haben Uli Gürster vom Verein Hilfe Litauen Belarus und Norbert Kuhl von der Humanitären Hilfe Overath den Konvoi vorbereitet, Zollpapiere erstellt, Anforderungen von den Partnern in Lviv bearbeitet. Sie haben beide rund drei Jahrzehnte Erfahrung mit Hilfskonvois und für diese Tour mit der Kürtener Zahnärztin Dr. Jolanta Czelej-Gorski eine Dolmetscherin gewonnen, die im Osten Polens und der westlichen Ukraine bestens vernetzt ist und uns noch aus mancher Bredouille helfen wird.

Der Hilfskonvoi in Zahlen

20 Tonnen über 2785 Kilometer

20 Tonnen Medikamente, Lebensmittel, Hygieneartikel und medizinisches Gerät hat der Hilfskonvoi aus dem Bergischen nach Lviv gebracht. Darunter waren auch ein Ultraschallgerät sowie 42 Rollatoren, fünf Rollstühle, 46 Kartons mit neuer Medizinerkleidung sowie 22 Kartons mit FFP2-Masken.

2785 Kilometer legten die zwölf Hilfstransporteure aus Gladbach und Overath von Donnerstagabend bis Sonntagnachmittag zurück.

68 Stunden benötigte der Konvoi, um nach Lviv zu gelangen, abzuladen und zurück ins Bergische zu kommen. Zwei Stunden dauerte das Warten an der Grenze auf der Hinreise, über fünf Stunden auf dem Rückweg.

89.462 Euro Wert hatten die Hilfsgüter, die der Konvoi nach Lviv brachte, laut Zollpapieren.

2 lokale Hilfsorganisationen, der Gladbacher Verein Hilfe Litauen Belarus und die Humanitäre Hilfe Overath, haben den Konvoi nach Lviv gebracht – und wurden dabei von unzähligen Spendern unterstützt.

11.869,72 Euro sammelten allein Herkenrather Realschülerinnen und -schüler bei einer vom Sozialwissenschaften-Kurs der Klasse 7 initiierten Spendenaktion zugunsten des Hilfskonvois. Die bei Edeka Hetzenegger gekauften Paletten Lebensmittel und Hygieneartikel gab’s zum Einkaufspreis. (wg)

Kuhl ist schon Anfang der 90er Jahre mitten in die Kriegsgebiete auf dem Balkan gefahren. „Man muss aufpassen“, sagt er kurz. „Da musste man auch tagsüber immer in Deckung gehen, mussten die Fahrzeuge in den Orten versteckt werden“, erzählt seine Partnerin Karin Fischer, mit der ich mich beim Fahren abwechsele.

Durch Polen steuert der Hilfskonvoi die ukrainische Grenze an.

Ohne es zu merken, passieren wir die polnische Grenze. Wie wir uns doch an freie EU-Grenzen gewöhnt haben . . . Das wird klar, als wir am Nachmittag knapp neun Kilometer vor der ukrainischen Grenze das kleine Motel ansteuern, in dem wir eigentlich bis zum nächsten Morgen um vier Uhr übernachten wollten, um dann in die Ukraine zu fahren. Eigentlich. Doch die Schlange in Richtung Grenze reicht schon an unserer Unterkunft für die Nacht vorbei in den nächsten Ort. Und es werden immer mehr Autos und vor allem Lkw, die hier anstehen.

Mit Hilfe der Polizei darf der bergische Hilfskonvoi an den teils mehrere Tage in mehr als zehn Kilometer langer Schlange wartenden Fahrzeugen vorbei zur ukrainischen Grenze fahren.

Kurzerhand wird umdisponiert. Jolanta spricht einen Polizisten an, der im Chaos auf der schmalen Landstraße den Verkehr zu regeln versucht. Ja, einen Hilfskonvoi könne er schon an der Schlange vorbeilotsen, aber dann müsste der vorne an der Grenze angemeldet sein, erfährt sie. Jolanta greift zum Handy. Ihr Bruder kennt den Chef der örtlichen Bezirksregierung. Eine Stunde später steht fest: Wir sind an der Grenze angekündigt.

Mit Hilfe der Polizei darf der bergische Hilfskonvoi an den teils mehrere Tage in mehr als zehn Kilometer langer Schlange wartenden Fahrzeugen vorbei zur ukrainischen Grenze fahren.

Noch eine Viertelstunde aufs Ohr hauen, duschen, Zähne putzen, dann geht’s wieder auf die Autos.

Wer weiß schon, wie viele Stunden es trotzdem dauert, bis wir in der Ukraine sind? Und was ist, wenn wir drüben gestoppt werden? Schließlich gilt nun auch in der Westukraine eine nächtliche Ausgangssperre.

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„Es fehlt einfach an allem“

„Wir können manche Kinder nicht operieren, weil die einfachsten Medikamente fehlen – oder Verbandsmaterial“, sagt Zoryana Ivanyuk sorgenvoll. Die 41-Jährige ist die medizinische Direktorin des Kinderkrankenhauses von Lviv, für das der Hilfskonvoi aus Overath und Bergisch Gladbach Medikamente im Wert von 8000 Euro sowie medizinisches Gerät wie ein Ultraschall an Bord hatte.

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Übergabe der Medikamente fürs Kinderkrankenhaus in Lviv: die ärztliche Direktorin der Klinike, Zoryana Ivanyuk, und Uli Gürster vom Hilfskonvoi.

„Ja, wir haben die für Hilfskonvois nötigen Anforderungslisten geschrieben, aber eigentlich fehlt es uns an allem“, sagt Zoryana Ivanyuk. Bei Charkiw seien zwei Medikamentenfabriken offenbar gezielt durch russische Raketen zerstört worden, sagt die Medizinerin. „Manchen Kindern in unserer Klinik geht es sehr schlecht.“

Tausende Flüchtlinge aus den stark umkämpften Gebieten der Ukraine sind in der westukrainischen Stadt Lviv untergekommen. Die örtliche Caritas versucht ihnen mit dem Nötigsten zu helfen.

Katzenfutter als Notration, wenn es noch schlimmer wird

„Aber wenn wir versuchen, 1000 Packungen Nudeln zu kaufen, bekommen wir höchstens ein Zehntel“, berichtet der stellvertretende Caritas-Direktor von Lviv, Vasyl Zelenko. Die Lagerhalle, für die der Hilfskonvoi aus dem Bergischen tonnenweise Lebensmittel wie Reis, Haferflocken und Wasser an Bord hat, ist fast komplett leer.

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nach dem Abladen der Hilfsgüter: Vize-Caritas-Direktor von Lviv, Vasyl Zelenko (3.v.r.).

Lediglich in einer Ecke sind 25 Paletten zu sehen. Mit Katzenfutter. Offenbar eine Fehllieferung aus einem anderen Hilfskanal. Weggeben will Zelenko sie trotzdem nicht. Sollte die Not noch größer werden, ließe sich vielleicht auch Tierfutter essen.

Luftalarm und Straßensperren

Seit Eskalation des seit 2014 währenden russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist Lviv unweit der polnischen Grenze Ziel Tausender Geflüchteter aus den übrigen Landesteilen.

Nach Raketenangriffen auf ein Umspannwerk und Bahngleise, bei denen es Tote und Verletzte gab, gilt seit voriger Woche auch in der 720 000-Einwohner-Stadt 70 Kilometer vor der Grenze nach Polen eine nächtliche Ausgangssperre, wurden Straßensperren nochmal verstärkt. Überall sind die rot-schwarzen Fahnen der ukrainichen Freiwlligen-Armee zu sehen. Selbst in den Räumen der Caritas.