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Ukraine-Hilfskonvoi begleitetWie ein Arzt rollende Operationssäle für die Front baut

Lesezeit 7 Minuten

Zahnklinikchef Myron Uhryn hat mobile Operationssäle (hier ein Modell) konstruiert, mit denen er kurz hinter der Front Verletzte versorgt.

  1. Unser Redakteur Guido Wagner hat einen Hilfskonvoi ins ukrainische Lviv begleitet.
  2. 20 Tonnen Hilfsmittel für ein Kinderkrankenhaus und die Caritas sollen über die Grenze in das Kriegsgebiet.
  3. Lesen Sie hier Teil 2 unserer Serie.

Rhein-Berg/Lviv – Stoßstange an Stoßstange stehen Lastwagen und Autos auf der rechten Spur. Über fast zehn Kilometer. Vorsichtig steuern wir die Wagen unseres Hilfskonvois des Gladbacher Vereins Hilfe Litauen Belarus und der Humanitären Hilfe Overath daran vorbei. Mit Polizeischutz. Ohne wäre das nicht möglich. Aber für an der Grenze angemeldete Hilfskonvois gibt’s Unterstützung.

„Ich stehe schon seit zwei Tagen in dieser Schlange“, sagt ein Lkw-Fahrer, der nun nur noch zwei Fahrzeuge vor sich hat. Dann hat auch er den Schlagbaum erreicht, der kein normaler ist. So lange er geschlossen ist, ragen scharfe Eisenspitzen aus dem Boden, die bei jedwedem Durchbruchsversuch die Fahrzeugreifen zerstören würden. Erst wenn sich die Schranke öffnet, verschwinden die Zinken im Boden.

Grenzübergang in die Ukraine beim polnischen Medyka.

Warum es hier nur so langsam vorangeht? „Wir sind eine EU-Außengrenze“, erklärt uns ein polnischer Zöllner des Grenzübergangs in Medyka. „Wir müssen genau kontrollieren – für Europa.“

Beim Schichtwechsel wird die Grenze dicht gemacht

Uns beschleicht indes auch das Gefühl, dass es bei der Kontrolle niemandem auf eine besonders zügige Abfertigung ankommt. Noch dazu sind wir um 18 Uhr an der Grenze. Vom Gladbacher Feuerwehr-Hilfskonvoi am vorherigen Wochenende wissen wir, dass um 19 Uhr Schichtwechsel ist. Stimmt: Schon um 18.45 Uhr werden alle Tore geschlossen und erst nach 19.20 Uhr wieder geöffnet. Dazwischen passiert: nichts.

Im ukrainischen Teil des Grenzübergangs gibt’s später eine Art Laufzettel, auf dem ein Stempel nach dem anderen gesammelt werden muss von der Zoll- bis zur Passkontrolle. Wo es die gibt, müssen die Grenzpassierer selbst herausfinden.

Grenzabfertigung dauert „nur“ drei Stunden

Ohne die Hartnäckigkeit unserer polnisch-stämmigen Übersetzerin, der Zahnärztin Dr. Jolanta Czelej-Gorski aus Kürten, und unseres ukrainischen Verbindungsmanns Michael Markovicz, der viele Jahre als Orthopäde in Düren gearbeitet hat, hätten wir wohl noch länger gebraucht. Nach „nur“ drei Stunden gibt unser erstes Konvoi-Fahrzeug seinen „Laufzettel“ bereits bei dem schwerbewaffneten Grenzsoldaten ab, der das Tor in die Ukraine öffnet.

Dahinter: Dunkelheit. Wegen der anderen Zeitzone in der Ukraine ist es hier bereits 21 Uhr. Die Straßenlaternen sind aus, die Häuser abgedunkelt. Noch eine Stunde bis zur Ausgangssperre, die seit wenigen Tagen auch in der Westukraine gilt. „Warum die immer in der Nacht schießen müssen, hab ich auch nie verstanden“, sagt Norbert Kuhl von der Humanitären Hilfe Overath, der schon in den 90er Jahren Hilfskonvois in die Kriegsgebiete auf dem Balkan brachte. Uns Neulinge beschleicht ein ungutes Gefühl. „Hier im Westen der Ukraine ist es immer noch ruhig“, beruhigt Michael Markovicz.

Checkpoint am Stadtrand von Lviv: Der Hilfskonvoi aus Bergisch Gladbach und Overath darf trotz nächtlicher Ausgangssperre passieren.

Über Pisten, die übersät sind mit bis zu 20 Zentimeter tiefen Schlaglöchern geht’s aus dem kleinen Ort an der Grenze hinaus in die Dunkelheit. Bis ins rund 80 Kilometer entfernte Lviv werden wir am Ende mehr als dreieinhalb Stunden brauchen. Über viele Kilometer sind zunächst links der Straße wartende Lkw zu sehen. „Manche warten hier mehr als drei Tage“, hat Jolanta Czelej-Gorski aus den Gesprächen der Fahrer an der Grenze mitbekommen. Ihren Söhnen hat die Medizinerin gesagt, sie bleibe an der Grenze. „Ich wollte sie nicht beunruhigen“, sagt sie und will den beiden erwachsenen Jungs erst Bescheid geben, wenn wir wieder aus der Ukraine heraus sind.

Barrikaden aus Sandsäcken tauchen im Scheinwerferlicht auf. Daneben Straßensperren aus Eisenträgern. Die meisten dieser Checkpoints sind unbesetzt. Erst am Stadtrand von Lviv werden wir kontrolliert – und dann mit einem nach oben gereckten Daumen des mit Maschinenpistole bewaffneten Soldaten durchgewinkt.

Durch menscheleere Straßen zur Klinik für die Nacht

Die Straßen sind menschenleer. Nur ein Polizeiauto überholt uns mit gehörigem Tempo. Marc Susewind und Dr. David Melchior im Cockpit des 40-Tonner-Sattelzugs wird’s mulmig. Die Straßen im Stadtzentrum sind für einen Lastzug ziemlich schmal. Die beiden Gladbacher haben durch das gemeinsame Engagement im Konvoi herausgefunden, dass sie daheim nur ein paar Straßenecken auseinander wohnen.

Susewind hat ein Unternehmen für mobile Abgasverbrennungsanlagen mit eigenen Lastzügen, Chemiker Melchior hat seinen Lkw-Führerschein einst bei der Bundeswehr gemacht und später während des Studiums unter anderem im Lieferverkehr des Gladbacher Dämmstoffherstellers G+H Isover gejobbt. Beide haben Uli Gürster von der Hilfe Litauen Belarus „irgendwann mal“ angeboten, eine Tour zu unterstützen, wenn ein Fahrer gebraucht werde. Nun steuern sie knapp 20 Tonnen Hilfsgüter durchs nächtliche Lviv.

Notdürftig hergerichteter Luftschutzkeller in Lviv.

In einem Hof findet die Tour ein vorläufiges Ende. Sandsäcke sind vor den Kellerfenstern des angrenzenden Wohnblocks aufgeschichtet: ein provisorisch eingerichteter Luftschutzraum für die Bewohner. Wir werden im Nachbargebäude erwartet, einer Zahnklinik, in der Klinikchef Myron Uhryn für uns einige Betten und sein Apartment reserviert hat, damit wir uns ein paar Stunden aufs Ohr hauen können. Dietmar Schur legt sich auf eins der Betten neben dem Zahn-Operationssaal – Hauptsache schlafen.

Ein paar Stunden Schlaf gibt’s für die Konvoi-Fahrer in einer Zahnklinik.

Die Nacht ist kurz. Um halb sieben klingelt der Wecker. Nach Rührei, Brot und Gebäck aus der Klinik-Küche will uns Myron Uhryn unbedingt noch seine Klinik zeigen.

Mediziner will sein Land verteidigen

Er hat einiges Geld mit der Klinik gemacht, sammelt Kunst, hat eine Familie und dürfte mit seinen 66 Jahren auch jetzt die Ukraine verlassen. Doch das kommt für ihn nicht in Frage. Er trägt das Abzeichen der ukrainischen Freiwilligenarmee am Arm, lässt den Klinikbetrieb derzeit häufig ruhen, um mit selbstkonstruierten mobilen Operationssälen in Militärfahrzeugen an die Front zu fahren und dort Zivilisten und Soldaten zu behandeln.

Zahnklinikchef Myron Uhryn hat mobile Operationssäle (hier ein Modell) konstruiert, mit denen er kurz hinter der Front Verletzte versorgt.

Insbesondere seine gesichtschirurgischen Fähigkeiten sind wegen der oft bestialischen Verletzungen durch Granatsplitter sehr gefragt. „Viele Soldaten haben Kiefer- und Gesichtsverletzungen“, sagt er und schaut zum Fensterbrett, auf dem eine Skulptur steht, die aus Granatsplittern zusammengesetzt ist. Der Krieg ist auch in seinem Büro allgegenwärtig.

An der Wand hängt eine Karte, auf der er die Standorte seiner OP-Mobile eingezeichnet hat – und die russische Front.

Auch bei Mariupol (u.) hat Myron Uhryn bis vor Kurzem operiert.

Warum er dort an den vordersten Linien hilft? „Weil ich das will“, sagt er mit fester Stimme auf Ukrainisch. „Und weil ich nicht anders kann.“ Und dann setzt er nachdenklich hinzu: „Ich kann nicht ganz verstehen, warum ihr in Deutschland immer sagt »Seit Februar ist in der Ukraine Krieg«. Seit dem russischen Angriff auf die Krim 2014 ist bei uns Krieg.“

Mit rotem Kreuz markiert: Frühere deutsche Postautos hat der hinter der Front operierende Mediziner Myron zu Krankenwagen umgebaut.

Vor der Klinik stehen ausrangierte Fahrzeuge der Deutschen Post. Myron Uhryn hat mehr als ein Dutzend davon in Deutschland gekauft und zu Krankenwagen umfunktioniert. Ein rotes Kreuz prangt jetzt auf den Flächen, wo einst der Schriftzug des Postzustellers zu lesen war. „Sie können jetzt Leben retten“, sagt er und lächelt.

Wie der Konvoi es kurz vor einem Fliegeralarm wieder zurück zur Grenze schaffte, lesen Sie ab Samstag hier.

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