Diese Woche ist das Buch „Unseren täglichen Trost gib uns heute“ von Willibert Pauels erschienen.
Wir haben im Interview mit dem Diakon und „Bergische Jung“ unter anderem über über Hoffnung, Trost, Moral und warum er Woelki zu einem „scharfen Schnitt“ rät, gesprochen.
Ist Religion deshalb systemrelevant, weil sie das moralische Zusammenleben regelt? „Von wegen!“, protestiert der Diakon und „Bergische Jung“ Willibert Pauels in seinem diese Woche erschienen Buch „Unseren täglichen Trost gib uns heute“. Warum Glaube nicht dazu da ist, um uns Manieren beizubringen, was Greta Thunberg und Joseph Ratzinger damit zu tun haben und warum ein „Amtsverzicht aus Liebe“ heilsam sein könnte, darüber hat Guido Wagner mit dem 65-jährigen Seelsorger, Kabarettisten und Autor gesprochen.Am Türrahmen lehnen zwei Krücken, seit acht Wochen hat Willibert Pauels mit den Folgen einer Knieoperation zu kämpfen. Der sonst um diese Jahreszeit allgegenwärtige Karneval ist ausgebremst und in der katholischen Kirche zerrt ein Kampf um die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an den Nerven selbst der engagiertesten Kirchenmitglieder.Wo bräuchten Sie ihn zurzeit am nötigsten?Willibert Pauels: Ich? Seit letztem Jahr bin ich Rentner. Ich bin privilegiert, die 40 Auftritte, die ich in dieser Session absagen musste, tun mir nicht weh. Mein Knie schon, aber auch da bin ich guter Hoffnung, dass die Ärzte das wieder hinkriegen. Die, die jetzt um ihre Existenz bangen, Künstler, Kinobesitzer, Gastronomen, Veranstaltungstechniker. Die brauchen Hilfe, eine Perspektive . . .Aber keine moralischen Parolen . . .
Eben! Das genau ist das Dilemma, das auch das weit verbreitete Verständnis von Religion betrifft. Viele Menschen meinen, Religion sei deshalb auch systemrelevant, weil sie das moralische Zusammenleben der Menschen regelt. Nein! Wenn Herbert Grönemeyer singt: „Religionen sind zu schonen, denn sie sind für Moral gemacht“, dann sage ich: Nein, sind sie nicht. Oder Gregor Gysi, der gesagt hat: „Ich kann nicht an Gott glauben, fürchte aber eine gottlose Welt.“ Er packt Religion in die gleiche Schiene.
Liegt das aber nicht zumindest ein Stück auch an Ihrer, der katholischen Kirche und den Äußerungen ihrer Vertreter?
Sicher. Bei Moral soll sich Kirche nicht so in den Vordergrund stellen, das ist nicht ihre Aufgabe, immer und immer wieder Moral-Appelle zu senden. Dafür haben wir unsere Experten: Greta Thunberg, Greenpeace und unsere Sozialverbände, das ist deren Job: unser ökologisches und soziales Gewissen.
Wo sollte Kirche stattdessen mehr die Stimme erheben?
Greenpeace kann mir keine Antwort geben, wenn mein Kind gestorben ist. Die können mir höchstens sagen: Das Kind ist an Umweltverschmutzung gestorben. Aber davon hat das Kind nix mehr und die trauernde Mama auch nicht. Da erwarte ich von Religion die Antwort. Dafür ist sie gemacht.
Welche Antwort kann sie denn geben, welchen Trost kann sie demjenigen bieten, der vor dem Nichts steht, der vielleicht sogar beim Ausweg aus einem unerträglichen Leben auf der Flucht sein Kind im Meer ertrinken sieht?
Die Kernaussage von Religion in ganz unterschiedlichen Formulierungen ist immer dieselbe: Du, Mensch, hast eine Seele, kostbar, einmalig und unsterblich. Du bist viel mehr als nur ein biochemischer Zellhaufen, wie es dir die Atheisten glauben machen mögen. In dir ist etwas, das nicht kaputtgehen kann, das bleibt und dich lieben lässt.
Hat sich aber nicht gerade die katholische Kirche in den vergangenen 150 Jahren vor allem mit dem I. Vatikanischen Konzil selbst zu einer stark auf den Papst zentrierten moralischen Instanz zu institutionalisieren versucht? Eine Entwicklung, die man im II. Vatikanum fast hundert Jahre später kaum komplett hat zurückzudrehen können . . .
Ja, das stimmt. Wobei das ja schon während des I. Vatikanischen Konzils zu heftigen Reaktionen geführt hat – bis hin dazu, dass der Papst des Konzils, Pius IX., am Ende verhasst war, wie kaum ein anderer. Nach seinem Tod ist sein Sarg von den Römern mit Exkrementen beworfen worden. Heute gründet man Maria 2.0 oder tritt aus der Kirche aus . . .
Was zurzeit ja auch wieder vermehrt Menschen machen.
Das muss jeder Kirchenfürst merken: In dem Moment, in dem es zwischen Kirchenfürst und Volk kippt, ist es vorbei.
Kippt es zurzeit aus Ihrer Sicht auch im Erzbistum Köln?
Wenn ich Kardinal Woelki einen Rat geben könnte: Gerade durch die persönliche Erfahrung der Depression, in der nichts mehr zu mir durchdrang, habe ich gelernt, wie wichtig ein klarer Schnitt ist. Für mich war das damals der bewusste Abschied vom Hamsterrad der großen Karnevalsbühnen, der über 200 Auftritte in der Session. Ich würde ihm wirklich vorschlagen zurückzutreten. Und zwar nicht als Schuldeingeständnis, sondern aus Liebe. Das wäre ein Signal – und er würde sich damit guttun und der Situation guttun: Damit sein Nachfolger in österlicher Freiheit ganz von vorne beginnen kann.
Er geht aber davon aus, das selbst durchstehen zu müssen.
Ja, weil er denkt: Ich bin nun mal Kardinal. Quatsch! Hat Papst Benedikt auch nicht gemacht. Er hat auch gesagt: Aus österlicher Freiheit trete ich von dem Amt als Papst zurück. Das ist die tröstliche Botschaft aller österlicher Freiheit. Der Quell der Hoffnung.Willibert Pauels schaut hinüber zum Fenster, das den Blick freigibt auf den kleinen oberbergischen Weiler, in dem er lebt.
Sie erzählen in Ihrem Buch sehr persönliche Hoffnungsgeschichten: Von Ihrem Vater, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat Menschen in einem polnischen Bauernhaus dadurch die Angst nahm, dass er einen Rosenkranz aus der Tasche zog, bis hin zur Geschichte über Ihre eigene Seelenverwandtschaft mit der Elke Heidenreich – im gemeinsamen Leiden an Depressionen. Braucht es solche Erzählungen, solche Erinnerungsmomente, um auch in schweren Zeiten die Hoffnung nicht zu verlieren?
Geschichten erzählen, das bin ich, ob in der Predigt oder – konzentriert auf der Bühne. (Willibert Pauels)
In jedem Fall. Trost ist das innerste Wesen der Religion. Und wenn du Geschichten erzählt, erreichst du die Menschen. Und insofern ist dieses Buch, mehr noch als die beiden davor, der Willibert: Geschichten erzählen, das bin ich, ob in der Predigt oder – konzentriert auf der Bühne. Geschichten sind der Ausfluss aus „verschwommenen Fotografien“, wie Reinhard Mey singt, die einen im Leben begleiten.
Nicht immer aber kann sie jeder gleich erkennen, ihre Aussagekraft sehen. Das zeigt ja auch eins Ihrer humorvollen „Zwischenstücke“, die die zwölf Geschichten unterbrechen und zugleich verbinden.
Die Runde mit Eckart von Hirschhausen?
Ja, genau.Ja, ich hab’s „Die erregte Tafelrunde“ genannt. Da saßen wir mal wieder in der Kabarettistenrunde bei dem Psychiater, Bestsellerautor und guten Freund Manfred Lütz zusammen und aus Eckart von Hirschhausen platzte es plötzlich heraus: „Ich muss euch mal um Rat fragen. Ich verliere meinen Humor, etwas Schlimmeres kann ich mir nicht vorstellen, so regt es mich auf.“ Und dann erzählte er, wie unerträglich es für ihn sei, dass die Öffentlichkeit so träge auf den Klimawandel reagiere, obwohl selbst Kinder zu Hunderttausenden weltweit auf die Straße gingen und riefen „Tut endlich was.“
Und was haben Sie ihm geraten?
Ich habe den Satz zitiert, der Martin Luther zugeschrieben wird: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Das könnte aber auch einfach vertröstend verstanden werden . . .
„Fatalismus!“ Das hat auch Martin Stankowski umgehend in die Runde gerufen. Aber Luther war ja nicht doof. Ihm ging es gerade darum, dem Fatalismus zu entgehen. Ich habe Eckart gesagt, dass er mir in seinem großen Engagement sehr gehetzt vorkomme. Natürlich ist es auch und gerade eine Christenpflicht, sich zu engagieren und das zu tun, was man als richtig erkannt hat. Unbedingt!
Aber?
Aber die Kernbotschaft des Christentums ist es nicht.
Sondern?
(Pauels schließt die Augen) Was Luther meinte und woraus wir Christen leben können, ist dass wir bis zum direkten Anblick der hereingebrochenen Katastrophe erfüllt sind von der Zusage, die den Untergang von allem übersteigt: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Das macht die Freiheit des Christenmenschen aus, das gibt ihm die Kraft, bis zuletzt mit Zuversicht zu leben und zu handelt – selbst wenn es vergebens sein sollte. Das ist der Trost und das ist die Kraft: aus dieser Perspektive ist nichts sinnlos, kein Leben verloren.
Das Buch
Es sind die ganz persönlichen Erfahrungen und Geschichten, aus denen jeder anders Kraft schöpfen kann. Für den Diakon und Büttenclown Willibert Pauels gehören die Erzählungen seiner Eltern und die in der Erkenntnis ganz ähnlichen Äußerungen des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ebenso dazu wie Erfahrung von Tod und Hoffnung in der engsten Verwandtschaft und der Austausch mit Kabarettisten von Jürgen Becke über Anka Zink bis Konrad Beikircher. In zwölf Geschichten erzählt er mit sehr persönlichen Einblicken von dem was Trost ist und Religion ausmacht, von dem, worauf es wirklich ankommt. Tiefgründig und doch immer wieder humorvoll durchbrochen ist „Unseren täglichen Trost gib uns heute“ Willibert Pauels‘ drittes Buch und zugleich das, das seinem Naturell am nächsten kommt: dem des „frommer Jeck“, der mit seinen Erzählungen die Menschen erreicht – und sie bewegt.
Willibert Pauels: Unseren täglichen Trost gib uns heute. Hoffnungsgeschichten vom frommen Jeck, 192 Seiten, gebunden, Herder-Verlag, 20 Euro, ISBN 978-3-451-38858-3.