Krise im KreishausRhein-Bergs Landrat steht in der Kritik
Rhein-Berg – Ein Krisenmanagement ohne erkennbare Linie, eine zeitweise komplett zum Erliegen gekommene Information der Öffentlichkeit und kontinuierlich zu niedrig gemeldete Inzidenz-Werte, die jeweils schon am Folgetag erheblich nach oben korrigiert werden müssen – als „desaströs“ bezeichnen mittlerweile selbst bislang wohlmeinende CDU-Politiker hinter vorgehaltener Hand die aktuelle Situation in der Kreisverwaltung, die immerhin für die Pandemiebekämpfung im gesamten Kreisgebiet zuständig ist. Eine Bestandsaufnahme.
Die Rolle des Landrats
Vor knapp vier Wochen hat Landrat Stephan Santelmann (CDU) mitten in einer Phase rasant nach oben schnellender Inzidenz-Werten den seit 14 Monaten mit der Pandemiebekämpfung befassten Krisenstab faktisch stillgelegt, nachdem Kreisdirektor Dr. Erik Werdel (CDU) darum gebeten hatte, die Aufgaben als Krisenstabsleiter ruhen lassen zu dürfen. Zuvor war es zu fachlichen Auseinandersetzungen zwischen den Experten im Krisenstab und dem Landrat über die richtigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gekommen. Auf Druck und im Schulterschluss mit den Kommunen hatte der Landrat sich über eine zunächst mit dem Krisenstab vereinbarte Linie hinweggesetzt und die Landesnotbremse ausgehebelt – wovor der Krisenstab ausdrücklich gewarnt hatte. Die Zahlen schnellten nach oben.
Zwei Wochen nach Stilllegung des Krisenstabs kündigte Santelmann dann an, anstelle des Krisenstabs einen Corona-Stab einzusetzen. Kurz darauf erkrankte er selbst an Corona, untersagte Kreisdirektor Erik Werdel aber wie berichtet ausdrücklich, das Krisenmanagement in der Pandemiebekämpfung wieder zu übernehmen. SPD-Kreistagsfraktionschef Gerhard Zorn, selbst Jurist, stuft das als „klar rechtswidrig“ ein. Schließlich sei der Kreisdirektor der vom Kreistag gewählte allgemeine und umfassende Vertreter des Landrats. Zorn hat eine entsprechende Sondersitzung des Kreisausschusses beantragt.
In den vergangenen Wochen hat sich die Krise im Kreishaus, aber auch in der Pandemiebekämpfung weiter verschärft. Antworten auf Medien- und Bürgeranfragen gab es kaum noch, die Leitung der Pressearbeit hat Santelmann selbst übernommen.
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Die Aufgabe des Krisenmanagements
Jeder Kreis und jede kreisfreie Stadt muss qua Erlass des Landes einen Krisenstab für Großeinsatzlagen, Krisen und Katastrophen vorhalten. Insofern konnte der Landrat den Krisenstab nach dem Rückzug des Krisenstabsleiters und massiver Kritik auch aus den Reihen der übrigen Krisenstabsmitglieder nicht einfach auflösen. Mit der stattdessen von Santelmann veranlassten faktischen Stilllegung des Krisenstabs hatte der Landrat zunächst erklärt, er und Kreisdirektor Werdel würden das Krisenmanagement nun gemeinsam wahrnehmen.
In Santelmanns Ankündigung eines Corona-Stabs knapp zwei Wochen später war von Werdel dann keine Rede mehr, diese Woche schließlich ließ der Landrat auf erneute Anfrage der Redaktion erklären: „Der Krisenstab ist weiterhin aktiv.“ Dabei hatte er wie berichtet zu Beginn seiner Corona-Erkrankung seinem Stellvertreter Werdel ausdrücklich untersagt, die Pandemiebekämpfung wieder zu übernehmen und den Krisenstab erneut hochzufahren.
Die Rolle des Krisenstabs
Der Krisenstab setzt sich aus regelmäßig und zielgerichtet für diese Aufgabe geschulten Mitarbeitern zusammen, die unabhängig von den Verwaltungsstrukturen wichtige Entscheidungsfunktionen zusammenführen, um im Krisenfall schnell und zielgerichtet agieren zu können. Diese Aufgaben, so kündigte Landrat Santelmann mit der Stilllegung des Krisenstabs an, sollten in die regulären Verwaltungsstrukturen überführt werden. Gerade weil diese Verwaltungsstrukturen aber nicht für das Management einer dynamischen Krise ausgelegt sind, schreibt das Land einen Krisenstab für Kreise und kreisfreie Städte vor.
Der angekündigte Corona-Stab
Wie sich der neue Corona-Stab zusammensetzt, darüber gingen die Angaben bereits in der ersten Ankündigung des Landrats auseinander. Einmal hieß es in der Erklärung, neben dem Impfzentrum sei auch das Lagezentrum des Gesundheitsamts, das unter anderem für die Infektionskettenverfolgung, Kontaktpersonenermittlung und Quarantäneanordnungen verantwortlich ist, Teil des neuen Corona-Stabs. An anderer Stelle erläuterte Santelmann, das Lagezentrum „kooperiere“ eng mit dem Corona-Stab. Wie sich der Corona-Stab genau zusammensetzt, blieb unklar. Nachfragen dazu blieben unbeantwortet. Diese Woche hieß es auf erneute Anfrage der Redaktion, das „Konzept“ für den Corona-Stab werde „momentan abgeschlossen“. Die Frage nach dessen Leitung wurde erneut nicht beantwortet.
Die Krise in der Kreisverwaltung
Bereits Monate vor der Rückzugsbitte des Krisenstabsleiters hat Landrat Stephan Santelmann entscheidende Komponenten der Pandemiebekämpfung wie das Impfzentrum unter seine eigene Leitung gestellt und der Koordination des Krisenstabs damit faktisch entzogen. Auch vom Krisenstab eingeforderte IT-Unterstützung zur Digitalisierung von Meldesystemen sowie zur Einführung digitaler Kontaktnachverfolgung per App blieb wie berichtet aus.
Derartige Einschränkungen eines Krisenstabs aber haben in der Regel erhebliche Konsequenzen für die Möglichkeiten zur Bekämpfung der Pandemie. Nicht zuletzt muss beispielsweise auch ein rapider Anstieg von Neuinfektionen aufgrund politisch verfolgter Lockerungen am Ende wieder vom Gesundheitsamt bewältigt werden. Die vom Landrat gegen den Krisenstab und dessen Expertise betriebenen Entscheidungen gipfelten nicht nur im Rückzug des Krisenstabsleiters, sondern auch in der Versetzungsbitte der Landratsbüroleiterin Birgit Bär sowie in Erkrankungen und Versetzungswünschen weiterer Beteiligter.
Im Zusammenhang mit dieser Eskalation meldeten sich in der Redaktion eine Reihe aktueller und ehemaliger Mitarbeiter der Kreisverwaltung sowie weitere Kreishaus-Insider, die von heftigen Verwerfungen zwischen Landrat Santelmann und einem erheblichen Teil der Verwaltung bereits in den vergangenen Jahren berichteten. Auch die Fluktuation von Mitarbeitern im direkten Umfeld des Landrats sowie in anderen Schlüsselpositionen der Kreisverwaltung in den vergangenen Jahren führten sie auf die Amtsführung von Stephan Santelmann zurück.
Auf die Kritik angesprochen, ließ der Landrat die Vorwürfe im Gespräch mit dieser Zeitung zunächst unkommentiert. Tatsächlich aber bedient er sich nach Informationen dieser Zeitung mittlerweile auch deshalb externer Unterstützung unter anderem beim Verfassen von Pressemitteilungen, weil mehrere Mitarbeitende ausgefallen sind und in der Verwaltung offenbar niemand der weiteren in Frage kommenden Mitarbeitenden bereit ist, diese Aufgaben zu übernehmen.
Die Information der Öffentlichkeit
Als erste Maßnahme nach Stilllegung des Krisenstabs ordnete Landrat Santelmann die bisher im Krisenstab angesiedelte Aufgabe der „Bevölkerungsinformation und Medienarbeit“, kurz Buma, der regulären Pressestelle des Kreises zu. In der Folge kam es neben dem Rückzug der Büroleiterin zu mehreren Ausfällen im Presseteam. Santelmann selbst erklärte den kompletten Ausfall der Meldungen am folgenden Wochenende mit „technischen Gründen“. In der Folge übernahm Santelmann selbst die Pressearbeit, holte sich externe Unterstützung von einer Marketingkraft aus Düsseldorf. Tatsächlich wurden Medienanfragen – wenn überhaupt – nur noch mit tagelanger Verzögerung beantwortet. Zahlreiche Fragen blieben ganz unbeantwortet.
Auf erneute Nachfrage hieß es diese Woche, die Stelle der Büroleitung sei neu ausgeschrieben worden, dazu gehöre auch die Leitung der Pressestelle. Tatsächlich steht aber auch im Impressum auf der Internetseite des Kreises ein anderer Name als Verantwortlicher für die Pressearbeit: Stephan Santelmann.