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Krise ohne Krisenstab in Rhein-BergStabsleiter bittet um Entbindung von Aufgaben

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Faktisch stillgelegt werden soll der eigentlich zur Bündelung der Kräfte bei der Krisenbewältigung eingerichtete Krisenstab. Die Kreisverwaltung soll übernehmen.

Rhein-Berg – Es kracht im Kreishaus. Nach Informationen dieser Zeitung hat der Leiter des Krisenstabs, Kreisdirektor Dr. Erik Werdel, um seine Entbindung von der Krisenstabsleitung gebeten. Die Spitzen der Kreistagsfraktionen sind darüber in einer E-Mail informiert worden.

Offenbar geht es aber längst nicht nur um Werdels Position an der Spitze des Stabs, der seit mehr als einem Jahr im Dauerbetrieb gegen die Pandemie kämpft, sondern um eine grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen Landrat Stephan Santelmann und dem Gremium, in dem medizinische Expertise, Krisenmanagement und Hilfsorganisationen gebündelt sind. Nach Informationen dieser Zeitung der vorläufige Höhepunkt von seit längerem schwelenden Verwerfungen innerhalb des Kreishauses und seiner Spitze. „So wie es im Moment ist, kann es nicht weitergehen“, sagt ein langjähriger Kreistagspolitiker.

Krisenstab soll umstrukturiert werden

Landrat Santelmann lässt auf Nachfrage dieser Zeitung am Mittwoch eine Pressemitteilung zu „Umstrukturierungen im Krisenstab“ versenden: Er habe der Bitte von Kreisdirektor Werdel, die dieser vergangene Woche Donnerstag gestellt habe, diese Woche „insoweit entsprochen, als dass die Aufgaben des Leiters Krisenstab bis auf weiteres ruhend gestellt werden“, heißt es darin.

Einen neuen Krisenstabsleiter wird es deshalb aber erstmal nicht geben. Stattdessen wird der Krisenstab faktisch stillgelegt. Künftig soll die Corona-Krisenbewältigung „von der gesamten Verwaltung“ in der „gut organisierten Struktur der Kreisverwaltung“ geschultert werden, kündigt Santelmann an. Heißt: Das Krisenstabsmanagement soll in die regulären Verwaltungsstrukturen integriert werden. Und das in einer Lage, in der sich die Neuinfektionsrate aktuell rasant nach oben bewegt.

Krisenstab immer im Einsatz

In der Vergangenheit hatten alle Beteiligten im Kreishaus stets beteuert, dass es insbesondere in derart dynamischen Phasen einer Krise eines eigenen Stabs bedürfe, in dem die Fäden zusammenlaufen und der entsprechend kurzfristig agieren und reagieren könne. Dazu war der Krisenstab im vergangenen Jahr ebenso am Wochenende wie auch zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten im Einsatz.

„Mir ist dieser Schritt unendlich schwer gefallen,“ erläutert Kreisdirektor Dr. Erik Werdel seinen Rückzug auf Nachfrage dieser Zeitung: „Weil der Krisenstab und auch ich als ein Teil desselben seit 14 Monaten ununterbrochen gegen die Pandemie gekämpft haben, und ich glaube, bis vor kurzem auch sehr erfolgreich“, so Werdel weiter. Dennoch sei sein Schritt für die Institution Krisenstab und für ihn als Leiter „zum jetzigen Zeitpunkt aber unumgänglich“.

Viele Auseinandersetzungen

Mehrfach war es im zurückliegenden Jahr zu Auseinandersetzungen zwischen der fachlichen Expertise des Krisenstabs und dem auch politische Aspekte berücksichtigenden Kreishauschef Santelmann gekommen. Der hatte schließlich das Thema Impfen direkt bei sich angesiedelt. Jüngst knirschte es bei der Einführung digitaler Apps zur Kontaktnachverfolgung, wurde der Krisenstab ausgebremst.

Nach Informationen dieser Zeitung soll Santelmanns jüngste Krisenentscheidung, nämlich im Schulterschluss mit den Bürgermeistern die wegen der steigenden Inzidenz-Werte vom Land erlassene „Notbremse“ mit einer eigenen Allgemeinverfügung auszuhebeln, das Fass zum Überlaufen gebracht haben.

Uneinigkeit über die Notbremse

Der Krisenstab hatte angesichts zu erwartender rapider weiterer Steigerungen der Infektionszahlen nach Ostern dringend empfohlen, nach Überschreiten einer Inzidenz von 100 die vorgesehene Notbremse zu ziehen. Noch vor Ostern soll Landrat Santelmann den Bürgermeistern aber eine Allgemeinverfügung in Aussicht gestellt haben, um erneute Schließungen von Einrichtungen und Einzelhandelsgeschäften zu vermeiden.

Aus diesem Grund waren die Rathauschefs auch so überrascht, als der Kreis am Dienstag nach Ostern eine Pressemitteilung herausgab, in der Santelmann selbst in einem Wortlaut-Zitat wieder auf das Ziehen der Notbremse pochte. Eine Festlegung, die 24 Stunden später wie berichtet wieder vom Tisch war. Gesundheitsexperten konnten das kaum fassen.

Entscheidungsfindung am Ende sehr schwer

Dass die Vorgänge der vergangenen Woche zu seinem Rückzugsersuchen geführt haben, bestätigt Werdel nicht. „Der Krisenstab muss alle Facetten, Themen und Informationen einer Krise in der Hand haben und die Instrumentarien zur Umsetzung notwendiger Schritte einsetzen können, um kluge und richtige Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger des Rheinisch-Bergischen Kreises zu treffen“, äußert sich Werdel. Offenbar war dies am Ende nicht mehr möglich.

Santelmann dementiert, dass es unterschiedliche Auffassungen gegeben habe. Im Gespräch mit dieser Zeitung spricht er von einem „Missverständnis in der Pressemitteilung“ von Osterdienstag. Also nur ein Übermittlungsfehler? „Unfassbar“, kommentiert eine Kreishausmitarbeiterin. Die Nachfrage bei der Pressesprecherin des Kreises und Leiterin des Landratsbüros, Birgit Bär, läuft unterdessen ins Leere: „Ich bin raus“, sagt sie. „Am Montag habe ich auf eigenen Wunsch die Leitung der Pressestelle und der BuMA (Bevölkerungsinformation und Medienarbeit, d. Red.) abgegeben.“

Krisenmanagement soll in Strukturen integriert werden

Landrat Santelmann bestätigt auf Nachfrage, dass die Aufgaben der Krisenstabseinheit BuMA „in den Strukturen der Pressestelle unter der Leitung des Landrats“ fortgesetzt würden. Derweil spricht der Leitende Impfarzt Dr. Hans-Christian Meyer im Gladbacher Impfzentrum von Birgit Bär als „neuer Mitarbeiterin des Impfteams“. Landrat Santelmann räumt auf Nachfrage den Wechselwunsch seiner bisherigen Pressesprecherin ein. Auch sein persönlicher Referent, der am Montag zunächst in die Bresche sprang, fiel gestern krankheitsbedingt für längere Zeit aus.

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Wie es weitergeht? Santelmann kündigt an, dass Dr. Erik Werdel als Kreisdirektor und er selbst die Aufgabe der Corona-Krisenbewältigung künftig „in gemeinsamer Verantwortung“ wahrnehmen würden. Wie das Krisenstabsmanagement in die regulären Verwaltungsstrukturen integriert werden soll, werde in den kommenden Tagen entschieden. „Dann werden wir auch darüber informieren“, sagt Santelmann im Gespräch mit dieser Zeitung. „Es ist notwendig, das Krisenmanagement bei einer so lang anhaltenden Krise auf neue, breitere Füße zu stellen.“ Die Leitung liegt dabei künftig in seinen Händen.