Künstler im LockdownWilly Ketzer erzählt Anekdoten aus einem Musikerleben
Bergisches Land – Mein Schlagzeug steht rum, meine Bühnenklamotten hängen da. An Konzerte ist vorerst nicht zu denken. Wir Musiker haben das absolute Berufsverbot. Ich kann den Politikern nicht vorwerfen, dass sie Regeln aufstellen, aber um uns herum arbeiten alle. So zu tun, als ob wir die Musik als Hobby betreiben würden, das geht nicht. Ich will nicht ruhig im Wohnzimmer sitzen mit lauter Überbrückungshilfen, ich will Musik machen.
Zum Glück habe ich das Schreiben, damit kann ich auch jetzt aktiv sein. Darüber bin ich wirklich froh. Ich habe mit den besten Musikern der Welt gespielt, da habe ich viel erlebt. Und da habe ich angefangen, Anekdoten aufzuschreiben, einfach so, manchmal einfach auf einem Bierdeckel. Die habe ich gesammelt über die Jahre. So ist mein erstes Buch entstanden, „Am Grab gibt’s keine Steckdose“. Darin erzähle ich aus meinem Leben. Ich hatte damit 50 oder 60 Lesungen in ganz Deutschland, da erzähle ich eigentlich immer was. Ich müsste gar nicht vorlesen, ich habe das im Kopf. Jetzt schreibe ich mein zweites Buch mit Erinnerungen, ich habe mir schon einen Titel überlegt: „Mit dem Namen kann ich nicht Papst werden.“
„Meine Vorfahren waren die ersten Gastarbeiter“
Aber in Köln gab es einen Dompropst, der „Ketzer“ hieß. Dompropst kann ein Ketzer also immerhin werden. Dieser Heinz Werner Ketzer war wirklich lustig, er hat auch den Orden wider den tierischen Ernst erhalten. Von diesen Leuten hat die katholische Kirche zu wenige. Ich erinnere mich an eine Predigt von Kardinal Meisner, an einem Heiligen Abend, kurz nach meiner Scheidung. Da hat er dazu aufgerufen, „Randgruppen“ nicht zu vergessen. Und auch angefangen aufzuzählen, wen er mit „Randgruppen“ meint – zum Beispiel Homosexuelle oder Geschiedene. Da hatte ich die Schnauze voll und bin sofort nach Hause gegangen. Da habe ich mir ein schönes Essen gemacht mit Garnelen, so ist es noch ein schönes Fest geworden.
Einige meiner Vorfahren haben für die Kirche gearbeitet, zum Beispiel als Stuckateure. Die kamen im 17. Jahrhundert aus der Lombardei, wo es wenig Arbeit für sie gab, ins Kurfürstentum Mainz. Dort wurde damals viel gebaut, das hat den Arbeitsmarkt in Schwung gebracht. Meine Vorfahren waren die ersten Gastarbeiter. Und sie sind in der Gegend von Mainz geblieben, in einem Dorf im Hunsrück. Da bin ich aufgewachsen.
Meine Eltern hatten mit Musik nichts zu tun. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee gekommen sind, ein Klavier ins Wohnzimmer zu stellen. Bis heute wundere ich mich darüber. Ich bin dafür wirklich dankbar. Auf diese Art kann man Kinder sensibilisieren. Ich war ein normaler Schüler, auch faul, ich wollte nur Fußball spielen. Mit Aufschreiben hatte ich nichts am Hut. Aber die Geschichten festzuhalten, die ich erlebt habe, das macht mir Spaß.
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Ich hatte mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun, das hat mein Leben unheimlich bereichert. Mit Gotthilf Fischer habe ich 20 CDs aufgenommen. Der hat drei Flugzeugabstürze überlebt, daher hatte er einen so ungebrochenen Optimismus. Natürlich mache ich eine andere Art Musik, da musste ich mich anstrengen. Du musst dich darauf einlassen, zuhören. Das konnte ich schon immer ziemlich gut. Ich habe auch mit Paul Kuhn gearbeitet oder Helge Schneider. Oder international mit Cem Karaca, einem türkisch-kurdischen Protestsänger, oder in Amerika mit Liza Minelli und Tom Jones. Wenn der Lockdown vorbei ist, will ich einfach wieder Schlagzeug spielen – und den Leuten irgendwas erzählen.