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Markus Kerckhoff im Interview„Bald gibt es ein Überangebot von Impfstoff“

Lesezeit 6 Minuten

Warum es bald schwieriger werden dürfte, den ankommenden Impfstoff zu verimpfen, erklärt Apotheker Markus Kerckhoff im Interview.

  1. Markus Kerckhoff ist Inhaber der Bensberger Schloßapotheke mit angeschlossenem Großhandel.
  2. Mehr als 30 Arztpraxen beliefert der 60-Jährige mit Impfstoff für die Corona-Schutzimpfung.
  3. Über die Impfstoffversorgung und wie es damit weitergehen könnte, darüber hat Guido Wagner mit ihm gesprochen.

Wie viel Impfstoff haben Sie diese Woche erhalten?Kerckhoff: Rund 40 Prozent, von dem was wir bestellt hatten.

Woran liegt das?

Pro Woche stellt der Bund circa eine Million Impfdosen zur Verfügung, Tendenz steigend. Je nachdem, wie viele niedergelassene Ärzte beim Impfen mitmachen, bekommt der einzelne in der Regel weniger als die 50 Impfdosen, die eigentlich mal zugesagt waren. Wie viel es genau gibt, zeigt sich dann leider allerdings erst, wenn dem Bund alle Bestellungen vorliegen und dann aufgeteilt wird.

Das heißt, Sie haben in der vorigen Woche bestellt und...

.. ja, genau, erst wenn der Impfstoff hier eintrifft, wissen wir, was wir ausliefern können. Auch wir können ja nur von Woche zu Woche bestellen. Praktisch gesehen erhalten wir montags die Bestellungen aus den Praxen, geben diese an den Großhandel weiter und erhalten mittwochs dann eine vorläufige Mengen Bestätigung. Auf der Grundlage dieser vorläufigen Bestätigung informieren wir dann alle Bestellpraxen über die zu erwartende Impfstoffmenge in der kommenden Woche.

Das heißt die Ärzte können kaum verlässlich Termine für Patienten vergeben, die geimpft werden sollen?

In der Regel nur sehr kurzfristig, wenn der Impfstoff dann auch tatsächlich hier ist. Aber das wird sich sehr schnell ändern.

Inwiefern?

Ab der nächsten Woche soll es deutlich mehr Impfstoff geben. Noch in diesem Quartal sollen am Ende etwa weitere 77 Millionen Impfdosen in Deutschland angekommen sein, mit der erwarteten Liefermenge bis Ende des dritten Quartals, weitere 110 Millionen Impfdosen, könnten dann sogar etwa 93 Millionen Menschen immunisiert werden.

Aber es gibt doch nur 85 Millionen Menschen in Deutschland...

Richtig. Das ist wie der Ketchupflaschen-Effekt, den auch schon Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zitiert hat: Zuerst kommt aus so einer Ketchupflasche nur sehr schwer etwas raus, und nachher kommt ganz viel. Spätestens im September werden wir also ein Impfstoff-Überangebot in Deutschland haben, müssten nach derzeitigem Stand am 1. Oktober durch die Pandemie sein. Noch davor aber werden wir ein Problem bekommen, den Impfstoff überhaupt zu verimpfen.

Warum? Spritzen werden doch mit dem Impfstoff offenbar mitgeliefert...

(lacht) Ja, die Spritzen werden vom Land zur Verfügung gestellt, auch wenn die Mengen in den gelieferten Beuteln oft nicht stimmen und wir in der Regel alles auseinandersortieren und wieder neu zusammenstellen müssen. Nein, ein Problem mit dem Verimpfen bekommen wir, weil zumindest bislang nicht genug Ärzte mit eingebunden sind. Schon am Ende dieses Quartals, also bis Ende Mai, bräuchten wir in Deutschland eine „Tages-Impfleistung“ von rund 855.00 Impfungen, um keinen „Impf-Stau“ zu bekommen.

Und wie viel könnte zurzeit pro Tag verimpft werden?

Die maximale Tagesleistung aller Impfzentren in Deutschland liegt bei rund 300.000 Impfungen pro Tag. Den Rest müssen die Arztpraxen auffangen. Dazu müssen schon bald dringend weitere Arztgruppen in die Impfungen eingebunden werden.

An wen denken Sie da?

Beinah täglich mit Impfungen zu tun haben natürlich die Kinderärzte, auch wenn die bisher zur Verfügung stehenden Impfstoffe noch nicht für Kinder zugelassen sind. Ganz wichtig aber sind auch die Betriebsärzte, die sehr viele Impfungen in den Betrieben durchführen könnten. Die müssen dringend mit ins Boot.

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Wenn nicht wieder das Aussetzen eines Impfstoffs kommt oder es Lieferengpässe gibt...

Ja, schon. Man muss aber auch immer bedenken, dass die Entwicklung der Impfstoffe in unglaublich kurzer Zeit gelungen ist. Noch vor einem Jahr hätte das kaum jemand überhaupt für möglich gehalten. Und dass es dann auch noch so wirksame Impfstoffe werden würden . . . 95 bis 98 Prozent Wirksamkeit – das sind traumhafte Werte im Vergleich zu zahlreichen anderen Impfstoffen. Und, die neuen mRNA-Impfstoffe wie die in Deutschland entwickelten Impfstoffe von Curevac und Biontech/Pfizer werden auch für die Therapie andere Krankheiten wichtige Fortschritte bringen.

Zum Beispiel?

Beispielsweise für die Krebstherapie, aber auch zur Behandlung von Leiden wie Migräne. So ein mRNA-Impfstoff besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten: dem „Bauplan“ für das Antigen-Protein, dem sogenannten mRNA-Strang, der eingebettet ist in einem Fett-Tröpfchen, dem sogenannten Lipidnanopartikel. Dies ist im Grunde genommen wie ein „Taxi“ zu verstehen, das beliebige Baupläne in den Körper transportieren kann. Sobald der mRNA-Impfstoff einer Person injiziert ist, schützen die Lipidnanopartikel die mRNA vor dem Abbau und tragen dazu bei, dass diese die Zellen erreicht. In den Zellen werden die im mRNA-Strang enthaltenen Informationen abgelesen und das Antigen-Protein produziert, das letztlich die gewünschte Immunantwort des Körpers auslöst.

Lassen sich die Impfstoffe deshalb so schnell anpassen?

Genau. Das „Taxi“ bleibt gleich, aber es kann unterschiedlich beladen werden. Um den Impfstoff etwa an künftige Mutationen von Viren anzupassen, das „Taxi“ also neu zu beladen, sind nur rund vier bis acht Wochen nötig. So eine komfortable Situation gab es noch nicht in der Menschheitsgeschichte. Einziger aktueller Nachteil der mRNA-Impfstoffe ist, dass sie extrem empfindlich gegenüber Temperatur und Erschütterung sind. Aber auch hier findet Entwicklung statt. Beispielsweise soll der Curevac Impfstoff, er ist aktuell noch nicht zugelassen, deutlich stabiler sein.

Deshalb stehen wir hier auch in einem Kühlraum?

Ja, alle Impfstoffe werden von uns nicht nur hier gelagert, sondern auch gleich hier im Kühlraum verpackt.

In gekühlten Boxen geht es in die Arztpraxis.

Der Biontech/Pfizer-Impfstoff kommt aber nicht bei den bekannten minus 76 Grad Celsius bei Ihnen hier an?

Leider nicht. Tiefgekühlt bekommen wir ihn leider nicht, dann wäre er deutlich besser zu transportieren und auch länger haltbar. Und mit Hilfe von Trockeneis-Kühlsystemen wäre das auch leicht zu machen, weil Trockeneis, also gefrorenes Kohlenstoffdioxid, bei minus 76 Grad sofort in gasförmigen Zustand übergeht. Und Trockeneis kostet etwa 65 Cent pro Kilogramm. So ließe sich Biontech/Pfizer-Impfstoff gleich in die Arztpraxen liefern und alle Risiken wären aus der Logistik raus.

Welche Risiken meinen Sie?

Wir bekommen den Impfstoff vom Großhandel bereits aufgetaut. Da ist er empfindlich gegen Erschütterungen und nach dem Auftauen nur noch 120 Stunden haltbar. Innerhalb dieser 120 Stunden darf er nur maximal zwölf Stunden bewegt werden, er darf nicht wärmer als 8 Grad werden und er darf nicht wieder einfrieren. Aktuell ist das der empfindlichste Impfstoff in Deutschland. Wir haben für unsere Kunden aus Hartschaumplatten spezielle Trägersysteme für die Impfstoffampullen gebaut, damit der Impfstoff sehr erschütterungsarm und aufrecht transportiert und dann bis zur Aufbereitung vor der Impfung in den Kühlschrank gestellt werden kann. Bei tiefgekühltem Transport aber wäre das alles viel leichter.

Bau von Transportplatten für den Biontech-Impfstoff.

Warum bestellen Sie den Impfstoff dann nicht einfach tiefgekühlt?

Ich bekomme ihn vom Großhandel nicht tiefgekühlt.

Warum das?

Gute Frage, das ist Politik. Gut ist aber, dass wir wenigstens jetzt einen Teil des Impfstoffs für die Arztpraxen bekommen. Und ich bin überzeugt, es wird mit dem Impfen sofort sehr viel schneller gehen, wenn die Arztpraxen noch mehr Impfstoff bekommen. Schließlich kennen die Ärzte ihre Patienten und können viel schneller und zielgerichteter reagieren – wenn sie nur den Impfstoff haben...