Interview mit Denis Scheck„Altenberg ist ein Fixpunkt auf der literarischen Landkarte“

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Denis Scheck hält ein Mikro und Zettel in der Hand.

Denis Scheck wählt die Literatur mit Karin Graf aus.

Der Literaturkritiker Denis Scheck spricht über das Festival „Literatur am Dom“ und wie die Idee dazu entstanden ist.

Das Festival „Literatur am Dom“ geht in das dritte Jahr. Hat es sich damit in der Szene etabliert?

Scheck: Unbedingt. Spätestens seit T. C. Boyle seine Begeisterung über unser Festival teilte, ist Altenberg ein Fixpunkt auf der literarischen Landkarte geworden. Das merken wir nicht zuletzt daran, dass immer mehr Verlage auf Karin Graf und mich zukommen, die ihre Autorinnen und Autoren in Altenberg lesen lassen möchten.

Wie wurde die Idee zum Festival „Literatur am Dom“ geboren?

Als der Altenberger Hof und der Küchenhof in neuem Glanz erstrahlten, lag es nahe, die riesige Außengastronomie für ein Literaturfestival zu nutzen. Sema und Hubertus Sayn-Wittgenstein, mit denen ich lange befreundet bin und die ich als passionierte Leser kenne, kamen mit dieser Idee auf mich zu. Ich war sofort Feuer und Flamme und konnte Karin Graf als Co-Kuratorin mit an Bord holen, die ebenfalls dem Charme dieses historischen Ortes erlag.

Das Festival bringt die Weltliteratur nach Altenberg

Besitzt das Festival in Altenberg ein besonderes Profil, mit dem es sich von anderen Veranstaltungen dieser Art abhebt?

Wir bemühen uns, echte Weltliteratur nach Altenberg zu bringen und auf Regionalkrimis und sonstige literarische Anwanzereien zu verzichten. Bewusst verzichten wir auf eine jährlich wechselnde thematische Fokussierung, sondern wollen schlicht die Bücher präsentieren, die uns am meisten überzeugt haben.

Nach welchen Kriterien wählen Sie das Programm aus?

Wir möchten Autorinnen und Autoren in Altenberg auftreten lassen, die uns auf neue Gedanken bringen, uns eine neue Sicht auf die Welt erschließen und denen dies auf ästhetisch aufregende Weise gelingt. Ich bin immer noch stark bewegt von Terézia Moras doppelbödiger Schilderung einer abgründigen toxischen Beziehung in ihrem Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“.

Wenn eine geniale Erzählerin wie Judith Hermann in „Wir hätten uns alles erzählt“ über den Entstehungsprozess ihrer Geschichten erzählt, ermöglicht das unheimlich spannende Einblicke in die Werkstatt einer zeitgenössischen Dichterin.

Ganz anders, aber genauso faszinierend erzählt Gabriel Zuchtriegel, der deutsche Museumsdirektor von Pompeji, in seinem Sachbuch „Vom Zauber des Untergangs“ über die Gegenwart einer untergegangenen Welt. Monika Rinck ist eine der großen Wortartistinnen unserer Gegenwart. Und dem wunderbaren Rafik Schami zuhören zu dürfen, wie er frei erzählend sein magisches Erzählgarn spinnt, ist ein echtes Privileg.

Bekannte Moderatorin für „harte Nüsse“ der Literatur

Gibt es auch Bücher, die zwar literarisch wertvoll sind, sich aber für Lesungen nicht eignen?

Gerade solch harte Nüsse zu knacken, ist ja die Kunst bei einem solchen Festival. Wir setzen da auf bekannte Moderatorinnen wie Bettina Böttinger oder die Lyrikexpertin Sabine Küchler, die wissen, wie man Autoren zum Glänzen bringt, einfach weil sie ihr ganzes Leben darauf verwandt haben, anderen Menschen eine Rampe zu bauen.

Worauf freuen Sie sich in diesem Jahr besonders?

Auf den Start am Donnerstag mit Monika Rinck und Sabine Küchler und auf den Abschluss mit Hanns-Josef Ortheil und Vincent Moissonnier.

Und zuletzt nicht die Frage nach dem Buch für die einsame Insel – aber die nach dem Buch, das Sie als Kind oder Jugendlicher am stärksten beeindruckt hat?

Sie werden lachen – das waren auch schon Lesungen. Und zwar die Europa-Märchenplatten im Plattenspielerschrank meiner Eltern: Hans Paetsch erzählte vom „Kleinen Muck“, von „Zwerg Nase“ und „Kalif Storch“, Joachim Rake vom Schatzhauser und Holländer-Michel im Schwarzwalddrama „Das kalte Herz“, das mich heute noch das Gruseln lehrt. Ich wusste nicht, dass all diese für mich an grellfarbigster Exotik kaum überbietbaren Geschichten mein schwäbischer Landsmann Wilhelm Hauff ersonnen hatte, der vor 200 Jahren noch nicht mal 25-jährig an Typhus starb und heute auf dem kleinen Hoppelau-Friedhof mitten in Stuttgart begraben liegt.

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