Zwei Schockanrufe mit fatalen Folgen: Wie eine 82-Jährige und ihr Bruder fast eine halbe Million an Betrüger verloren haben.
SchockanrufBetrüger bringen Overatherin um 270.000 Euro – danach wird ihr Bruder Opfer
Maria R. (alle Namen geändert) zittert, wenn sie an den Montagnachmittag vor einem Monat zurückdenkt, an dem sie der festen Überzeugung war, einen schockierenden Anruf von der Polizei bekommen zu haben. Am Ende war nicht nur Familienschmuck im Wert von mehr als 270.000 Euro verloren, sondern hatte sie die Betrüger unwissentlich womöglich auch noch auf den eigenen Bruder gebracht, bei dem diese zwei Wochen später noch einmal kräftig „abkassierten“.
Betrüger kennen Namen des Sohnes von Maria R.
„Mein Mann war gerade weggefahren, als das Telefon klingelte“, erinnert sich die 82-Jährige an jenen Nachmittag des 13. März. Am Telefon meldete sich ein Mann, der sich als Polizeibeamter ausgab und ihr die schockierende Nachricht eröffnete, einer ihrer Söhne habe einen Unfall verursacht, bei dem eine Frau und ein Kind gestorben seien.
„Er hat auch gleich den Namen meines Sohnes gesagt“, sagt Maria R. Und: Wenn sie 70.000 Euro als Kaution leisten würde, komme ihr Sohn vorerst wieder auf freien Fuß, so der Anrufer. „Ich war so geschockt, ich habe gar nichts mehr machen können“, erinnert sich die 82-Jährige. Sie habe soviel Geld nicht, habe sie dem mutmaßlichen Polizisten gesagt, der umgehend nachhakte: „Haben Sie Schmuck?“
Kein Geld, aber Schmuck im Haus – Seniorin öffnet Tresor
Maria R. überlegte nicht lange: Klar, Schmuck habe sie. „Den können Sie sich ansehen“, sagte sie dem Mann am Telefon. Während sie weiter mit dem mutmaßlichen Polizisten telefonierte, öffnete die Seniorin den Tresor, packte Colliers, Ketten, Uhren und am Ende sogar die Ringe von der eigenen Hand in eine Tasche, die – wie der vermeintliche Polizeibeamte am anderen Ende der Leitung sagte – umgehend jemand abholen kommen sollte.
Ein Nachbar filmte zufällig, wie wenig später tatsächlich ein junger Mann mit Bart die Wohnstraße hinunterkommt und auf das Vorgartentor von Maria R. und ihrer Familie zugeht. Das Video, das auch der Redaktion vorliegt, zeigt, wie die Seniorin aus dem Haus kommt: Wie der Abholer auf der Straße hat auch sie ein Telefon am Ohr.
„Ich habe ihm die Tasche gegeben, habe gedacht er schaut es sich an, aber er hat sie nur genommen und ist damit weggegangen“, erinnert sich die 82-Jährige. „Ich dachte, um die Sachen vielleicht im Auto prüfen, das etwas weiter die Straße runter geparkt wäre.“
82-Jährige gibt Betrügern „goldwerten“ Tipp über ihren Bruder
Über das weiter laufende Telefonat mit dem vermeintlichen Polizisten achtet Maria R. bald nicht mehr auf den Mann, dem sie gerade Schmuck übergeben hat. Den geforderten Wert von 70.000 Euro überstieg dieser um fast den dreifachen Wert, wie sich später herausstellte. Im weiteren Telefonat fragt sie beiläufig, woher der Polizist anrufe.
Als dieser „von der Polizei aus Bergisch Gladbach“ antwortete, erzählt Maria R. spontan, dass sie auch aus Gladbach stamme, aus einer bekannten Familie und dass der Polizeibeamte sicher ihren Bruder kenne. Eine womöglich „goldwerte“ Information für die Betrüger, wie sich Maria R. rückblickend ärgert.
Dass sie selbst Schmuck im Wert von mehr als 270.000 Euro verloren hat, wird ihr klar, als ihr Mann zurückkehrt, das immer noch laufende Telefonat mit dem vermeintlichen Polizisten am Festnetzanschluss übernimmt und parallel vom Handy den angeblich verunglückten Sohn anruft. Der weiß nichts von einem Unfall. „Vater, pass auf, das ist ein Betrüger.“
Versicherung ersetzt keines der Schmuckstücke
Marias Mann Walter fragt den „Polizisten“ nach seinem Namen und einer Rückrufnummer: Der nennt sich nun „Herr Kretschmer“ und gibt eine Kölner Telefonnummer durch. Die allerdings keinen Anschluss hat, wie Walter R. später merkt. Er verständigt die Polizei. Die Versicherung wird keines der Schmuckstücke ersetzen, weil sie freiwillig herausgegeben wurden. „Das Schlimme ist aber auch nicht, dass der Schmuck weg ist“, sagt Walter R., „sondern die Erinnerungen, die mit jedem Stück verbunden waren.“
Maria R. weiht Geschwister aus Scham nicht ein – Bruder wird auch Opfer
Es fällt nicht leicht, die Familie über den Verlust zu informieren. Die Scham ist groß. Deshalb werden auch weitere Verwandte wie die Geschwister von Maria R. nicht eingeweiht. „Heute bedauern wir das sehr“, sagt Sohn Gunnar. Denn gut zwei Wochen später wird Marias Bruder in Bergisch Gladbach ebenfalls Opfer eines Schockanrufs. Ihm erklären die falschen Polizisten, seine Schwester habe einen Unfall verursacht. Der Bruder ist sich nachher sicher: „Ich habe am Telefon die Stimme meiner Schwester gehört.“
Betrüger haben Telefonat von Seniorin vermutlich mitgeschnitten
Seine Verwandten können sich das nur damit erklären, dass die Betrüger das Telefonat mit Maria R. gut zwei Wochen zuvor mitgeschnitten und Teile der Aufnahme gezielt für das Telefonat mit dem Marias Bruder verwendet haben.
Die Ermittler der Kreispolizei halten das nicht für ausgeschlossen, wie sie auf Nachfrage der Redaktion erklären. Die Ermittlungen dauerten unterdessen noch an, so die Polizei. Geklärt werde auch noch, ob das Bildmaterial des Abholers zu Fahndungszwecken veröffentlicht werde, die Entscheidung liege bei der Staatsanwaltschaft.
Für Maria und Walter R. mit ihrer Familie ist nach dem Doppelschock vor allem eins wichtig: Andere zu warnen. „Damit nicht noch jemand auf diese Betrüger reinfällt“, sagt Gunnar R.
Tipps zum Verhalten bei dubiosen Anrufen
Bei einem Anruf von einem angeblichen Polizisten, Staatsanwalt, anderem Ordnungshüter oder Amtsträger raten Polizei und Opferschützer:
1. Stellen Sie der Person, die Sie anruft, eine „Sicherheitsfrage“, die nur sie beantworten kann. Bestehen Sie darauf, die mutmaßliche Stelle zurückzurufen.
2. Lassen Sie sich nach aller Möglichkeit nicht durch den Schock unter Druck setzen. Bleiben Sie ruhig.
3. Geben Sie am Telefon keinerlei Auskünfte über Bargeld oder Wertgegenstände im Haus.
4. Überweisen oder übergeben Sie niemals Geld oder Wertgegenstände an Unbekannte.
5. Legen Sie auf. Vergewissern Sie sich unter der Ihnen bekannten Rufnummer, ob es sich tatsächlich um die vorgegebene Person handelt.
6. Involvieren Sie eine Vertrauensperson wie Nachbarn oder Angehörige.
7. Rufen Sie bei Ihrer örtlichen Polizeidienststelle an und erkundigen Sie sich über den entsprechenden Sachverhalt. Erstatten Sie Strafanzeige bei der Polizei.