Papierfabrik ZandersWie zwei Maschinenführer ihre Entlassung verarbeiten
- Axel Schwertfeger und Gerhard Meyer haben lange in der Papierfabrik Zander gearbeitet.
- Beide wurden überraschend entlassen und hatten Zukunftsängste.
- Schwertfeger und Meyer berichten über ihre Gefühle und wie es für sie weitergeht.
Bergisch Gladbach – Entspannt und zufrieden mit seinem Arbeitstag steht Gerhard Meyer in der Küche seines Hauses und füllt Kaffeepulver in die Maschine. An dem sonnigen Frühlingsabend will er noch Kleinigkeiten im Garten erledigen. „Ich habe Nistkästen mit Hummelvölkern, die ich aufbauen möchte“, erzählt der gelernte Elektriker.
Vor dem Haus steht ein Firmenwagen des Bergisch Gladbacher Betriebes, für den er seit März arbeitet. Damit fährt der 59-Jährige zu den Kunden. „Meine neue Arbeit macht mir echt Spaß. Es war der richtige Schritt und ich hatte Glück“, sagt Meyer. 33 Jahre hat der Bergisch Gladbacher in der Papierfabrik Zanders gearbeitet. Vergangenen Dezember lag ohne Vorwarnung die Kündigung in seinem Briefkasten.
„Nicht ein persönliches Wort. Kein Fingerspitzengefühl. Nichts. Einfach so.“ Die Worte von Frust und Enttäuschung gegenüber seinem früheren Arbeitgeber kann Meyer nicht zurückhalten.
Entlassung kommt plötzlich und per Post
Der Maschinenführer hat Verfügungswoche - eine von fünf Schichten, das heißt, er ist daheim und hält sich bereit, falls er gebraucht wird - als er ahnungslos morgens die Post reinholt. Seine Frau Michaela hat gerade die Probezeit ihrer neuen Stelle erfolgreich hinter sich. Zwei Kollegen, die bei Zanders weiterhin beschäftigt sind, kommen vorbei und helfen Meyer den Schock zu verarbeiten.
„Andere Kollegen haben den Brief mit der Kündigung direkt nach ihrer Schicht im Werk bekommen. Es gibt auch Abteilungsleiter, die haben den Brief nicht selbst übergeben, sondern andere Mitarbeiter dafür eingespannt“, erzählt Meyer.
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Er ist noch wütend. Für den Erhalt der Papierfabrik habe er auf einiges verzichtet: Vier Jahre lang eine Gehaltskürzung um zehn Prozent, kein Weihnachts- und kein Urlaubsgeld. Meyer: „Das waren erheblich Einschnitte, auch für die Familie.“ Da komme eine Summe von 20 000 Euro zusammen.
„Das Handwerk steht heute viel besser da, als vor 30 Jahren“, sagt Meyer. Das war damals der Grund, warum er 1986 in die Papierfabrik wechselte. „Bei Zanders zu arbeiten, gab früher ein hohes Ansehen. Und es wurde richtig gut bezahlt.“ Meyer arbeitet als Maschinenführer in fünf Schichten.
Einsätze in den USA und Finnland
Als das US-Unternehmen International Paper Company 1989 die Fabrik übernimmt, wird er in die USA nach Cleveland geschickt. Dort bringt Meyer einen Querschneider für das in Bergisch Gladbach hergestellte Papier in Gang. Auch in Finnland im Ort Simpele muss er sich einige Jahre später um eine Maschine kümmern. Nun sollen die 33 Jahre Zanders im Arbeitszeugnis auf eine Din-A-4-Seite passen. Damit ist Meyer absolut nicht zufrieden.
Mehr als unzufrieden ist er auch in den Wochen nach der Kündigung. Doch er hängt nicht lange durch. Er tritt in die Zanders-Transfergesellschaft ein und bewirbt sich bei Elektrounternehmen. Im Januar beginnt er ein Praktikum bei der Firma Junge Elektrotechnik in Bergisch Gladbach. Es ist die Chance auf einen Neuanfang auf einem veränderten Arbeitsmarkt, aber in seinem erlernten Handwerksberuf. Es klappt. Seit 1. März ist der 59-Jährige dort fest angestellt.
Bis dahin hat Meyer nie an einen Jobwechsel gedacht. „Ich habe geglaubt, es geht noch ein paar Jahre gut. Die Insolvenz habe ich nicht kommen sehen.“ Wegen seines Alters hatte er große Scheu, sich am Arbeitsmarkt umzusehen und dachte eher an vorzeitige Rente. Diesen Gedanken belächelt Meyer heute und seine Frau Michaela beschreibt die positive Veränderung so: „Es tut ihm richtig gut, nicht mehr im Schichtdienst zu arbeiten. Er hat mehr Zeit für die Familie, er blüht auf.“
Axel Schwertfeger hat 40 Jahre bei Zander gearbeitet
Für Axel Schwertfeger war Zanders nicht nur Arbeitgeber, sondern eine Familie. Die ist nun zerbrochen. Der Gladbacher ist 59 Jahre alt, 40 davon hat er in der Papierfabrik verbracht. Im November hat er seinen Job als Maschinenführer verloren und steht vor einem schwierigen Neuanfang.Den Moment, als er gefeuert wurde, wird Axel Schwertfeger nie vergessen.
Innerlich habe es sich wie ein „Todesstoß“ angefühlt. „Das war am 26. November, und ich war gerade zur Nachtschicht gekommen.“ Da klingelte sein Handy. In knappen Worten habe ihm sein Vorgesetzter am Telefon mitgeteilt, er sei gekündigt und könne direkt zurück nach Hause gehen. „Kein Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Und das nach all den Jahren.“ Vor Entsetzen habe er kein Wort herausgebracht.
„Es ist die Panik, ins Nichts zu fallen“, sagt er. Nachts hatte er oft Schweißausbrüche, konnte kaum schlafen. Seine Frau Monika bemühte sich, ihren Mann zu beruhigen. „Wir schaffen das schon.“ Leicht ist ihr das nicht gefallen. „Wie die Führungskräfte mit den Mitarbeitern umgehen, ist allerunterste Schublade“, sagt die 60-Jährige. Zwei Monate musste Schwertfeger darauf warten, bis man ihm endlich sein Arbeitszeugnis ausstellte. „Eine Unverschämtheit. Wie sollte ich das denn den Firmen erklären, bei denen ich mich beworben habe?“ Rund 30 Bewerbungen hat der 59-Jährige abgeschickt. Nicht mal eine Eingangsbestätigung habe er von den meisten zurückbekommen. „Aussortiert“, fühlte er sich.
Mit 19 Jahren bei Zanders angefangen
Mit 19 hatte Schwertfeger 1978 bei Zanders angefangen. „Das war damals wie ein Jackpot“, berichtet er von stolzen Zeiten, als in acht Stunden 100 Tonnen Papier produziert wurden. Innerbetrieblich wurde er zum Papiermacher und Maschinenführer ausgebildet. Schwertfeger erinnert sich, wie er und seine Kollegen dann im Laufe der Jahre immer wieder Zugeständnisse machten.
Mal sollte so viel produziert werden, dass er Sonderschichten einlegen musste, mal wurde er tagelang freigestellt, weil nicht genug zu tun war. Je nach Auftragslage wurde er von Abteilung zu Abteilung geschickt, nahm auch Abstriche beim Lohn hin.
Schwertfeger blieb trotzdem. Zanders zu verlassen, wäre ihm nie eingefallen. „Ich habe das alles mitgemacht, ohne mich zu beschweren“, sagt er. Aber jetzt, seit der Insolvenz, ist Schwertfeger vor allem eins: enttäuscht. Enttäuscht von einem Arbeitgeber, auf den er immer stolz war. Schon seine Mutter hat in der Papierfabrik gearbeitet, sein Bruder Heinz auch.
Zandrianer stolz auf ihre Arbeit
Der Freundeskreis besteht zum großen Teil aus Zandrianern, wie sich die Mitarbeiter stolz nennen. Für Schwertfeger war das wie eine Familie, in die er hineingewachsen ist. Was er heute darüber denkt, fasst er in drei Worten zusammen: „Verraten und verkauft.“ Seiner Wut machte er Luft, indem er alle Erinnerungen an sein bisheriges Arbeitsleben geschreddert hat, Urkunden zu Dienstjubiläen und andere Dokumente. Auf die Bitte seiner Frau hat er nur ein einziges Foto behalten, von vor 2005, als der Zusammenhalt noch da war.
Warum die Zanders-Belegschaft ihre Sorge vor dem drohenden Job-Verlust nicht auf die Straße getragen habe, erklärt Schwertfeger so: „Im Betrieb herrscht ein Regime der Angst. Darum hat sich keiner getraut, zu protestieren. Jeder stirbt hier für sich allein.“
Zu Sentimentalitäten will sich Schwertfeger jetzt nicht mehr hinreißen lassen, dafür habe er keine Zeit mehr. Einen Tag nach unserem Gespräch hat er einen Arbeitsvertrag bei der Bensberger Firma Musculus unterschrieben – zu einem Zeitpunkt, als er den Glauben daran schon verloren hatte, dass es für ihn doch noch eine berufliche Zukunft gibt:„Ich richte ab jetzt den Blick nach vorn.“