Grenzen der DigitalisierungCorona stellt Rhein-Bergs Jobcenter vor Herausforderungen
Rhein-Berg – Neu-Anträge in Hülle und Fülle, eine für viele Menschen nur begrenzt verständliche Technik und Probleme, die man erst mal gar nicht auf dem Schirm hat: Die Corona-Pandemie stellt auch die Ersthelfer des Sozialstaates vor besondere Herausforderungen. In der jüngsten Sitzung des Kreis-Sozialausschusses gewährte Michael Schulte, Chef der Jobcenters für Rhein-Berg, seinen Zuhörern einen Einblick in die Lage.
„Viele Selbstständige haben keine Zukunftsperspektive“, beschreibt Schulte die Lage. Unternehmern gliedern Tätigkeiten aus an „Werkvertragsunternehmern“– dabei handelt es sich um Selbstständige, die aber faktisch von den Auftraggebern abhängig sind. Minijobber, deren Einkommen unter Corona häufig komplett wegfiel. Kurzarbeitergeld, das nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu finanzieren und obendrein reduzierte andere Unterstützungsleistungen (Tafeln, Mittagsverpflegung für Kinder) - es ist eine Ansammlung widrigster Lebensbedingungen, die ganz besonders Erziehende und noch mehr Alleinerziehende trifft. Dazu, so Schulte, gehöre auch die Frage: „Wer unterstützt mein Kind, wenn ich selbst der deutschen Sprache nicht mächtig bin?“
16.000 Menschen auf Jobcenter angewiesen
Die Jobcenter, auch Hartz-4-Behörden genannt, haben sich auf die Lage eingestellt. Sie müssten es, betont Schulte: „Im Rheinisch-Bergischen Kreis sind 16.000 Menschen davon abhängig, dass sie unsere Leistungen bekommen.“ Verschiedene Ämter haben eine Kooperationsvereinbarung geschlossen: Wenn es in Bergisch Gladbach wegen des Arbeitsaufkommens und des eigenen Krankenstandes besonders eng wird, springen Kollegen in Oberberg, Remscheid oder Leverkusen ein – und umgekehrt.
Die Nebenwirkungen der Pandemie
8900 Bedarfsgemeinschaften für Hartz 4 gab es im Januar 2021. Im Januar 2020, also vor der Pandemie, lag sie bei 8500, um bis Juni auf 9200 zu steigen. Danach begannen andere Hilfeleistungen (Kurzarbeit etc) zu greifen. Im Dezember betrug die Zahl laut Jobcenter-Chef Michael Schulte im Kreis 8800.
4350 Menschen erhielten im Dezember 2020 Arbeitslosen-Geld I im Rheinisch-Bergischen Kreis. Im Dezember 2019 betrug die Zahl nur 2900 - das war ein Anstieg um genau 50 Prozent.
491 Bedarfsgemeinschaften mit Selbstständigen gab es im August 2020.
10703 Beschäftigte in 1227 Betrieben leisteten im Juni 2020 im Rheinisch-Bergischen Kreis Kurzarbeit. (sb)
Für die Selbstständigen und ihrer besondere Problematik gibt es eigenes „Team KSA (Kleinunternehmen Selbstständige Aktiv)“. Reduzierte Sprechzeiten sind Versuche, die Gesundheit der Mitarbeiter zu erhalten. Es gibt mehr Homeoffice, aber: „Wir kämpfen dabei immer wieder mit technische Problemen.“ Wo es erforderlich sei, gebe es auch persönliche Beratungen in besonders gesicherten Räumen, darunter auch solche, die Platz für ganze Bedarfsgemeinschaften böten.
Neues Format „Walk and Talk“
Die Ombudsstelle sei beim Caritasverband untergekommen. Ein gutes neues Format sei „Walk and Talk“: Man trifft sich vor dem Gebäude und geht mit genügenden Abstand ein Stück an der frischen Luft. Ausgebaut worden, auch durch Schulungen der Mitarbeitenden, sei zudem die telefonische Betreuung. „Wenn die Technik mitspielt, sind wir sehr gut telefonisch erreichbar.“Des sei aber nicht immer der Fall.
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Die meisten Unterlagen gingen mittlerweile per E-Mail ein: „Die Leite fotografieren sie und schicken sie uns.“ Technisch sei das wegen der großen Datenmenge problematisch. „Jobcenter digital würde es leichter machen, aber das ist für viele Leistungsberechtigte zu komplex.“ Der Geschäftsführer: „Wenn wir von Digitalisierung reden, reden wir immer nur von einem Teil der Leistungsberechtigten. Viele brauchen andere Wege.“ Videotelefonie mit Leistungsberechtigten wird wohl erst 2022 möglich. Demnächst sollen Scanner bereitgestellt werden, auch an Erklärvideos auf Youtube denkt die Behörde. Aller Digitalisierung zum Trotz sei es wichtig, auch außerhalb der Amtsstuben auf die Menschen zuzugehen.