Flutopfer in Rhein-BergMenschen haben Sorge vor dem nächsten Regen
Rhein-Berg – Erst vor ein paar Tagen war es wieder so weit. Stefan Müller schreckt im Schlaf auf. Draußen regnet es, die Tropfen prasseln gegen das Fenster. Sofort hat er die Bilder vor Augen, wie er fast auf der Treppe vom Souterrain hoch ins Erdgeschoss ertrunken wäre – an jenem furchtbaren Abend, am 14. Juli 2021, als die Flut das Zuhause der Familie an der Odenthaler Straße in Bergisch Gladbach zerstörte. Es ging alles ganz schnell. „Das Wasser drückte gegen die Tür. Beinahe wäre ich nicht mehr raus gekommen.“
Die Wassermassen haben Stefan Müller und seiner Lebensgefährtin Marianne Kappes ihre Wohnung, all ihr Hab und Gut, Fotos und kostbare Erinnerungen geraubt. „Das ist der materielle Schaden“, sagt Müller. Aber die Angst vor dem Versinken in den Fluten, die ist auch da. Das Zuhause, der Ort wo man sich sicher gefühlt hat, der ist plötzlich weg. Vor allem, wenn es regnet, kommen die Erinnerungen an das Erlebte hoch. Marianne Kappes hat dann sofort wieder den Modergeruch in der Nase. „Die Flut lässt mich nicht los“, sagt Marianne Kappes. Die Sorgen seien einfach immer da: „Es gibt keine Perspektive, das macht kraftlos und müde.“
Vertrauen in Heimat verloren
Der einsturzgefährdete Anbau, in dem die Familie gelebt hat, muss abgerissen werden. Aber bürokratische Hürden stehen dem Neuanfang entgegen: „Wir brauchen erst eine Baugenehmigung von der Stadt“, erklärt Müller. „Wenn wir wenigstens loslegen könnten, das wäre ein Lichtblick“, sagt Marianne Kappes. Zu dritt mit dem 18-Jährigen Sohn lebt die Familie auf engstem Raum in einer Zweizimmerwohnung im nicht zerstörten Hausteil. „Ob es jemals wieder so wird, wie es mal war?“ Eine Frage, die die Sorge der Familie ausdrückt, ob sie ihrer Heimat je wieder vertrauen kann.
Das tiefe Seufzen ist deutlich zu hören. „All die Ereignisse, die mit der Flutkatastrophe zusammenhängen, verlangen uns eine unglaublich emotionale und physische Kraft ab“, fasst Brian Müschenborn aus Rösrath-Hoffnungsthal seine Gefühle zusammen. Gemeinsam mit seiner Familie, Ehemann und zwei Söhne, zehn und sieben Jahre alt, wohnt er in der Lehmbach-Siedlung. Das „depressive Regenwetter“ schlage ihm nicht nur auf das Gemüt. Es mache Angst – denn dann steigt der Pegel der Sülz.
Passiert das jetzt wieder?
„Wenn wir das mitbekommen, fragen wir uns sofort: Passiert das jetzt wieder?“, erzählt der 51-Jährige. „Man lebt mit dem Gefühl einer dauerhaften Bedrohung.“ Jeder verarbeite die Geschehnisse anders. Und das sei zum Teil intensiv zu erleben, da die Familie im offen gestalteten oberen Geschoss des Hauses seit Juli viel enger zusammenwohnen muss. „Das heißt, wohnen, arbeiten, lernen und schlafen in einem Raum. Das Souterrain des Hauses ist auf 1,90 Meter Höhe geflutet worden und erst im April wieder bewohnbar“, schildert Müschenborn, der 2019 SPD-Bürgermeisterkandidat war und 2020 die Wählervereinigung ZLR mitgründet hat, die Lebensumstände. Ob Eltern oder Kinder, alle würden schlechter schlafen als früher.
Spielzeug, Kuscheltiere, Lieblingsjacke, Bilder, Fotos – viele persönliche Dinge sind einfach weg. „Das macht unserem älteren Sohn sehr viel aus. Er vermisst seine Sachen“, erzählt Müschenborn. Welche Auswirkungen die Erlebnisse langfristig auf die Kinder haben, können die Eltern nicht absehen. Mit der Sanierung des Souterrains sei die Fenstersicherung verändert worden. „Wir haben die Querstangen abgebaut, damit wir bei erneutem Hochwasser durch die Fenster rauskommen“, erklärt der Rösrather. Das gebe auch den beiden Jungen ein besseres Gefühl, wenn sie ab dem Frühjahr dort wieder ihre eigenen Zimmer haben.
Wiederholung vor Augen
Mit einer erneuten Überschwemmung in Sülznähe rechnet Petra Lasar, die mit ihrem Ehemann Ekkehard Zimmermann ebenfalls im Rösrather Ortsteil Lehmbach wohnt. „Wir alle glauben, dass wir das nochmal erleben werden“, sagt sie über ihre Nachbarschaft, „aber wir hoffen, dass es nicht so schnell sein wird.“ Die Erlebnisse der Flut vom Juli stecken Lasar in den Knochen, das zeigt sich bei Dauerregen wie in der letzten Woche. „Ich kann nicht verleugnen, dass dann etwas Angst aufkommt.“ Ein ungutes Gefühl hätten sie und ihr Mann insbesondere dann, wenn sie bei einer solchen Witterung das Haus ein paar Tage allein lassen müssten.
Das Ehepaar wohnt wenige Schritte von der Sülz entfernt. „Unser Grundstück hört da auf, wo die Sülz anfängt“, sagt Lasar. Bei der Flut wurde das Erdgeschoss des Hauses überschwemmt – Wohnraum, Büro, Garage und Werkstatt. Dokumente der 45-jährigen beruflichen Erfolgsgeschichte seien zerstört: Fotos, Dias und Presseberichte. „Das tat weh“, sagt Lasar. „Wir sind alle cool geblieben. Im Nachhinein merke ich aber, dass mich das psychisch ganz schön mitgenommen hat.“
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Mit der Sanierung ihres Hauses fangen Lasar und Zimmermann erst jetzt „so richtig“ an. Die Diskussion über Vorsorge verfolgen sie intensiv. Lasar hat den Eindruck, „dass viel gelabert und wenig gehandelt wird“. Nur „den Kopf schütteln“ kann sie über die Stadt Overath und ihre Pläne, in Unterauel, das im Juli massiv überschwemmt war, Gewerbe anzusiedeln.