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„Kurve kriegen“ in Rhein-Berg„Es geht hier um das Kind und um nichts anderes“

Lesezeit 6 Minuten
RB Interview Kurve kriegen dpa

Mit einem in Rhein-Berg neuen Projekt will die Polizei helfen, bevor Kinder und Jugendliche zu Intensivtätern werden.

Rhein-Berg – Manche Kinder und Jugendlichen haben schon früh Kontakt mit der Polizei wegen diverser Straftaten. Um sie vor einem dauerhaften Abgleiten in die Kriminalität zu bewahren, ihnen zu helfen „die Kurve zu kriegen“, ist unter diesem Titel im Juli die gleichnamige Initiative des NRW-Innenministeriums auch in Rhein-Berg an den Start gegangen. Darin arbeiten pädagogische Fachkräfte und erfahrene Kriminalbeamte gemeinsam mit straffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen. Mit Kriminalhauptkommissar Stefan Lurz und Lea Dörwaldt, die ebenso wie Timo König pädagogische Fachkraft in der Initiative ist, hat Guido Wagner gesprochen.

Wie kommen junge Straftäter, bei denen die Gefahr besteht, dass sie Intensivtäter werden, zu Ihnen in das Programm?

Lurz: Wir als Polizei haben junge Straftäter im Blick. Das Aufnahmealter für „Kurve kriegen“ liegt bei acht bis 15 Jahren. Voraussetzung hierfür ist ein angezeigtes Gewaltdelikt mit einem gewissen Gewaltpotenzial oder drei angezeigte Eigentumsdelikte. Zudem müssen die Lebensumstände dieser delinquenten Kinder und Jugendlichen problembelastet sein. Sind diese Faktoren vorhanden, nehmen wir Kontakt mit den Erziehungsberechtigten auf und stellen in den Familien „Kurve kriegen“ vor und bieten sofortige Hilfe an. Hierbei heißt es „Frühe Hilfe statt späte Härte“.

Interview Kurve kriegen RB

Im Gespräch: Pädagogin Lea Dörwaldt und Kriminalhauptkommissar Stefan Lurz.

Wie reagieren die Betroffenen und ihre Familien, wenn sie erfahren: Aha, ich gelte also als gefährdeter Intensivtäter?

Lurz: Bis jetzt haben wir eine große Resonanz erfahren. Die Eltern nehmen die Hilfe gerne an und sehen vorrangig das Positive. Sie sehen nur das Hilfsangebot. Es sind auch schon Eltern selbst aktiv auf uns zugekommen und haben sich erkundigt. Die Eltern welche bisher kontaktiert wurden, haben in den meisten Fällen eingewilligt, und die Zusage zur Teilnahme für ihr Kind an „Kurve kriegen“ erteilt. Dieses ist ohnehin eine zwingende Voraussetzung.

Was machen Sie, wenn die Eltern nicht einwilligen?

Lurz: Auch dann bleiben wir natürlich dran und versuchen, sie doch noch zu überzeugen. Hier appellieren wir an die Eltern und ihre Fürsorgepflicht. Es geht hier um das Kind und um nichts anderes.

Aber es ist doch sicher erstmal ein Schock, wenn die Polizei wegen des eigenen Kindes kommt?

Lurz: Schock ist hier der falsche Begriff. Ich würde eher sagen positive Verwunderung, da die Polizei als Strafverfolgungsbehörde Hilfe anbietet. Die Erziehungsberechtigten wissen ja in der Regel, dass ihr Kind straffällig geworden ist. Und die Einverständniserklärung der Eltern ist zudem eine zwingende Voraussetzung dafür, dass wir die Daten an die Pädagogen weitergeben dürfen.

Namen und Daten

Initiative „Kurve kriegen“

Die Teilnahme an der Initiative „Kurve kriegen“ ist kostenlos, freiwillig und basiert auf einer Zustimmung der Erziehungsberechtigten und des Kindes/Jugendlichen. Die Finanzierung des Projekts erfolgt über das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen.

Weitere Informationen gibt es hier oder bei Kriminalhauptkommissar Stefan Lurz, Kriminalkommissariat Kriminalprävention/Opferschutz, An der Gohrsmühle 25, Bergisch Gladbach, (0 22 02) 2 05-4 35, E-Mail:

Das Team von „Kurve kriegen“ im Rheinisch-Bergischen Kreis besteht aus dem polizeilichen Ansprechpartner Kriminalhauptkommissar Stefan Lurz, seinem Stellvertreter Kriminalkommissar Tizio Fata sowie den Pädagogen Lea Dörwaldt und Timo König von der Diakonie Michaelshoven. (wg)

Wie sieht dann konkrete Hilfe aus, wie gehen Sie vor?

Lurz: Nachdem die genannten Voraussetzungen und die Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten für eine Teilnahme vorliegen, werden die personenbezogenen Daten an die Pädagogen weitergegeben. Diese haben bei uns auf der Dienststelle ein eigenes Büro und wir arbeiten täglich Hand in Hand.

Dörwaldt: Der erste Schritt der Pädagogen besteht darin, die Familien in ihrem zu Hause aufzusuchen. Dabei ist es besonders wichtig, dass wir den potenziellen Teilnehmer kennenlernen und dieser ebenfalls einwilligt mitzuarbeiten. Die Beziehungsarbeit ist für uns sehr wichtig, damit ein Vertrauen aufgebaut werden kann und wir auch über die Ursachen der Straffälligkeit sprechen können.

Welche Möglichkeiten gibt es da?

Dörwaldt: Durch die Freiheiten, die wir vom Innenministerium erhalten, können wir in unserer Arbeit kreativ werden. Solange die Maßnahmen in unser Budget passen und in NRW stattfinden, ist alles möglich. Dadurch können wir individuelle und passgenaue Hilfeleistungen entwickeln. Beispielsweise arbeiten wir unter anderem mit Drittanbietern für Erlebnispädagogik, tiergestützter Intervention, Antigewalttrainings und vieles mehr zusammen.

Das Problem liegt aber doch wohl selten nur bei dem Betroffenen allein, oder?

Dörwaldt: Das stimmt, wir haben daher auch die Möglichkeit, die Peergroup bei einzelnen Maßnahmen mit einzubeziehen. Und natürlich spielen immer auch die Personensorgeberechtigten des Kindes oder Jugendlichen eine große Rolle. Die Hilfsangebote hierbei reichen von der Erziehungsberatung bis zur Schuldnerberatung.

Lurz: Daher ist es wichtig, dass wir auch in einem Netzwerk, u.a. mit Jugendämtern und Schulen eng zusammenarbeiten. Wir stehen in ständigem Kontakt beispielsweise mit Jugendämtern, mit der Suchtberatung, der Jugendhilfe im Strafverfahren und weiteren Netzwerkpartnern. Nur durch gemeinsames Wirken wird Kurve kriegen erst erfolgreich.

Wie war da die Resonanz?

Lurz: Wir haben bisher eine unheimlich hohe Akzeptanz wahrgenommen, weil mit der Initiative Kurve kriegen auch eine Lücke geschlossen wird. Jugendämter und Schulen sind dankbar für eine weitere Unterstützung. Zurzeit gehen wir auch gezielt in die Schulen und weitere Institutionen, um Kurve kriegen vorzustellen und ein Netzwerk aufzubauen.

Wie hoch ist die Erfolgsquote des Projekts „Kurve kriegen“?

Lurz: Die Initiative ist bereits 2011 in NRW an den Start gegangen und wurde bis heute weiter ausgebaut. Lediglich sechs Kreispolizeibehörden in NRW setzen Kurve kriegen noch nicht um. Seit Beginn sind 2137 Kinder und Jugendliche aufgenommen worden. 995 Kinder und Jugendliche haben Kurve kriegen bereits erfolgreich absolviert. Hierbei hat die Teilnahme im Durchschnitt lediglich 2,5 Jahre gedauert. Dem gegenüber stehen 217 Kinder und Jugendliche, welche aus Eigeninitiative abgebrochen haben.

Was bedeutet „erfolgreich“ in diesem Zusammenhang?

Lurz: Das Einstiegsalter liegt bei acht bis 15 Jahren. Und mit dem vollendeten 18. Lebensjahr scheidet man aus dem Projekt aus. Erfolgreich heißt, dass die Kinder und Jugendlichen keine kriminelle Karriere starteten und nicht als Intensivtäter bei der Polizei geführt wurden. Sie haben dadurch mit Hilfe der Pädagogen Aussicht auf eine erfolgreiche Zukunft erhalten.

Wie viele Teilnehmer haben Sie bereits und mit wie vielen rechnen Sie mittelfristig?

Lurz: Wir sind seit dem 1. Juli 2022 aktiv. Bisher haben wir zwei Teilnehmer gewonnen. Wir rechnen mittelfristig mit zehn bis 15 Teilnehmern.

Wie viel kostet ein Platz im Projekt „Kurve kriegen“?

Lurz: Die Teilnahme ist für die Familien kostenlos. Für die passgenauen Maßnahmen werden pro „Kurve kriegen Kind“ etwa 11.000 Euro pro Jahr veranschlagt. Dieses ist allerdings nur ein Mittelwert.

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Das ist ja eine Menge.

Lurz: Das kann man aber auch anders sehen. Durch Kurve kriegen werden Intensivtäter verhindert. Eine Kosten-Nutzen-Analyse hat ergeben, dass ein Intensivtäter bis zu seinem 25. Lebensjahr einen Schaden von ca. 1,7 Millionen Euro für den Sozialstaat verursacht. Stellt man die 11.000 Euro ins Verhältnis wirkt es eher wie ein Kleinbetrag.