Weiberfastnacht einmal andersDiesmal ist fast ganz Bensberg von Jecken verlassen
Rhein-Berg – Weiberfastnacht, 11.11 Uhr. Eine Maske liegt auf dem Mäuerchen, gähnende Leere auf dem Platz, auf dem sonst um diese Zeit die Jecken zum Sturm auf das Rathaus blasen. Diesmal ist ganz Bensberg von Jecken verlassen. Ganz Bensberg? Nicht ganz.
Ulrike Krickeberg schiebt bereits um Viertel vor elf ihre Postkarre durch die Schloßstraße. Mit Dom-Schal und jecken Applikationen auf der Post-Weste. Sie stoppt vor der Bensberger Bank. In normalen Jahren hätte sie sich jetzt durch die Jecken schlängeln müssen, um im närrischen Sammelquartier der Rathausstürmer ihre Post abzugeben. „Dafür gibt’s dann auch ne Limo und ein Schnittchen“, sagt die Posthauptschaffnerin augenzwinkernd und folgt der Einbahnstraßenregelung in die Bankfiliale.
Drinnen sind Cowgirl Elke Bensberg und Piratin Michaela Bürger bei der Arbeit – in der Kundenberatung. „Wir sind unbewaffnet“, versuchen die beiden inklusive Mundschutz Maskierten. Im Hintergrund läuft leise Karnevalsmusik. „Karneval fällt nicht aus, sondern ist halt nur anders“, erklärt ein Zwerg am anderen Ende des Raums.
Einsames Alaaf an der Straße
Trotzdem hoffen Christian Walter mit der Zipfelmütze und seine Kolleginnen sehr, dass ihre Geschäftsstelle an der Schloßstraße im nächsten Jahr wieder närrisches Heerlager für die Rathausstürmer sein wird.
Wehmut? „Na klar!“, sind sich Ilse Mesterheide und Helga Bertram einig, die im Sonnenschein noch eine Runde durchs historische Bensberg drehen. In normalen Jahren wären die beiden Rösratherinnen jetzt vermutlich beim Rathaussturm in ihrer Heimatstadt.
„Aber außer den Erinnerungen, die heute auf WhatsApp eingehen, gibt’s ja in diesem Jahr nix“, sagt Ilse Mesterheide. Nix? „Ach, komm!“ Einmal rufen die beiden dann doch Alaaf am Straßenrand – ein Hoffnungsruf gegenüber dem bereits seit Monaten coronabedingt geschlossenen Irish Pub.
Da wo Weiberfastnacht sonst Jecke mit Musikkapelle in Richtung Rathaus steuern, zirkelt an diesem Tag nur eine einsame Fahrschülerin mit ihrem Lehrer durch die enge Straße. Autos parken auf dem Platz, auf dem sonst bunt Kostümierte zur Musik von der Bühne singen und schunkeln. „Auch mal schön so ruhig“, findet ein Anwohner, der seinen Namen allerdings lieber nicht in der Zeitung lesen möchte.
Ein Vater kommt mit seiner Tochter die Engelbertstraße herunter. Er trägt eine amerikanische Polizeimütze, die Kleine ein Feenkostüm. Die beiden kommen gerade vom Kindergarten. „Da gab’s kurz ein Geschenk zu Karneval“, berichtet Papa Oleg, „jetzt geht’s nach Hause ein bisschen feiern – mit Musik und verkleiden.“
Ein einsamer Pirat schlendert über den Platz Richtung Rathaus. Die Zinne, auf der sonst Bürgermeister und Rathausmannschaft erbittert, aber letztlich doch immer erfolglos das städtische Verwaltungszentrum zu verteidigen versuchen, liegt verwaist in der Sonne. Was ließe sich bei dem Wetter herrlich der Straßenkarneval eröffnen! Wenn nicht Corona wäre.
„Alaaf!“, durchbricht eine Stimme die Stille im Rathausinnenhof. Im Nebenflügel hat sich ein Fenster geöffnet – und eine Rathausmitarbeiterin hat die einsamen Besucher im Innenhof entdeckt. Im gemeinhin als „Aapefelse“ (Affenfelsen) bekannten Böhm-Bau wird heute gearbeitet?
„Was denken Sie!?“, sagt Silke Colberg und lächelt. „So wie dieses Jahr an Rosenmontag auch.“ Mit Mutzemandeln und FFP2-Maske mit roter Schaumstoffnase hat sich die Assistentin des Ersten Beigeordneten in ihrem Büro an diesem Morgen wenigstens ein bisschen karnevalistisch eingerichtet.
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„Sonst wäre ich um diese Uhrzeit sicher schon auf dem Weg zur Feier der Stadtverwaltung im Quirl’s“, überlegt sie, während ihr Chef Harald Flügge, kurz nach Mittag das Feierpaket öffnet, das die Große Gladbacher KG ins Rathaus geschickt hat: Luftschlangen, Konfetti und Co. „Aber irgendwie fehlt einem ja schon der persönliche Kontakt“, sagt der Beigeordnete, „nur der Schlips, für den besteht heute mal keine Gefahr.“
Dann meldet sich der Rathauschef persönlich, via Videobotschaft. „Ich bin hoffentlich der erste und letzte Bürgermeister in der Stadtgeschichte, der seinen Rathausschlüssel nicht los wird“, sagt er und ködert die Jecken schon fürs nächste Jahr. Da werde er die Schlüssel herausgeben.
Aber: „Nur nach einem entsprechenden Kampf!“ Vorerst macht der Rathauschef allerdings nur einem eine lange Nase: dem Virus. Mit einer Pappnas. Und darin sind sich wohl Rathausbesatzung und die diesmal zu Hause geblieben Angreifer tatsächlich einmal einig . . .
Ein Interview mit Bürgermeister Frank Stein zu diesem ungewöhnlichen Karneval ist in unserer Jecken Ecke zu lesen.