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Interview mit zwei Pfarrern„Hoffnung geben in einer zerrissenen Welt“

Lesezeit 7 Minuten

Die Krippe in St. Servatius in Rösrath-Hoffnungsthal

  1. An Weihnachten sind die Kirchen voller als sonst. Chance oder Spagat für die Seelsorger?
  2. Was wollen sie den Menschen mit auf den Weg geben?
  3. Was haben sie ihrer Gemeinde insbesondere in diesem Jahr zu sagen?

Mit dem katholischen Kreisdechanten Norbert Hörter und dem Pfarrer der evangelischen Gnadenkirche in Gladbach, Thomas Werner, hat Guido Wagner gesprochen.

Gibt es ein Thema, das in diesem Jahr in der Weihnachtspredigt nicht fehlen darf?

Hörter: Die zentrale Botschaft ist, dass Gott einer von uns wird. Diese Liebe, die er uns in der Menschwerdung zeigt, ist etwas, das wir auch in diesem Jahr dringend brauchen. Am Ende geht unser Leben, geht Leben in unserer Stadt, in unseren Kirchen nur mit mehr Liebe, also mit mehr Menschwerdung Gottes.

Werner: Den Menschen, die an Heiligabend in die Kirche gehen, geht es nicht nur um Gefühlsduselei. Das bekommen sie woanders leichter. Ob das nun Lieder wie „Jingle Bells“ von der CD sind, oder die Turmbläser an Heiligabend auf dem Rathaus.

Was suchen die Menschen dann?

Werner: Sie wollen neben den weihnachtlichen Traditionen, zu denen ja auch unser Liedgut gehört, wirklich etwas hören und sind dankbar für ein gutes Wort. Insofern steht für mich jede Weihnachtspredigt unter dem Aspekt der Hoffnung: Den Menschen Hoffnung geben in einer zerrissenen Welt. Was aktuell 2019 neben der Migrationsproblematik und dem interreligiösen Dialog dazu kommt, ist für mich das gestiegene Bewusstsein für die uns bedrohende ökologische Katastrophe. Dabei ist der Generationenkonflikt sicher auch ein Thema: Was hinterlassen wir unseren Kindern und Kindeskindern?

Hörter: Ich glaube zunächst einmal, dass Tradition etwas Gutes ist. Wenn ich Sätze höre wie „Die kommen nur aus Tradition“, dann kräuselt es mich schon. Denn es ist schön, dass die Menschen kommen. Wenn dann hier um 16 Uhr an Heiligabend 900 Menschen in St. Laurentius sind und die Kirche aus allen Nähten platzt . . .

Werner: Die Gnadenkirche ist etwas kleiner. Dafür haben wir unser Angebot von drei auf vier Gottesdienste ausgebaut, weil die Nachfrage so groß ist.

Hörter: Ja, also das ist doch wunderbar. Da kommen Menschen, die bewusst an diesem Tag zu uns kommen – aus Tradition die einen, aus tiefem Glauben die anderen. Die dritten vielleicht, weil da irgendwas in diesem Jahr passiert ist, was sie diesem Kind in der Krippe mit in die Krippe legen möchten. Und da bin ich bei meinem Mitbruder: Ja, die Menschen wollen ein gutes Wort hören, aber sie wollen über dieses gute Wort hinaus eine Feier mitfeiern, die sie in ihrem Leben berührt. Mit dem Alltag, den sie in diesem Jahr erlebt haben.

Der evangelische Pfarrer Thomas Werner (links) und dem katholischen Kreisdechanten Norbert Hörter zur Predigt an Weihnachten 2019.

Werner: Ja, die persönlichen Nöte und Sorgen jedes Einzelnen gehören immer dazu. Die Spannungen, die Menschen bewegen. Gerade die Vorweihnachtszeit ist ja oft geprägt durch Stress, Hektik und Konsumterror. In vielen Familien gibt es meiner Erfahrung nach auch vor Weihnachten einiges an Spannungen. Das Evangelium von der an Weihnachten Mensch gewordenen Gnade Gottes hat eine friedensstiftende Kraft. Und es liegt an uns, diese für den Gottesdienst fruchtbar zu machen.

Hörter: Und das widerspricht gar nicht dem, was Pfarrer Werner gesagt hat: Wir versuchen, den Menschen ein Gesamtpaket zu bereiten, das aber immer das Leben berühren muss. Das ist die Schwierigkeit und die Kunst.

Predigen Sie an Weihnachten anders als an Tagen, an denen Ihre Kirche nicht aus allen Nähten platzt?

Hörter: Am Ende nicht. Ich bemühe mich immer, ob an einem Sonntag im Advent oder an einem Sonntag in den Sommerferien, die, die da sind, in ihrem Leben mit Gott in Berührung zu bringen.

Werner: Und dabei schauen wir natürlich immer nach den Menschen, die da kommen: Im Familiengottesdienst mit Kleinkindern um 14.30 Uhr spricht man natürlich anders mit den Menschen als in der Christvesper um 18 Uhr. Die Botschaft ist natürlich immer dieselbe, aber die Form der Vermittlung ist eben eine andere.

Sie sind ja beide schon einige Jahre als Seelsorger aktiv, hat sich der Zugang der Menschen zu Weihnachten über die Zeit verändert?

Hörter: Ich glaube nicht, dass sich der Zugang der Menschen zu diesem Fest verändert hat. In jedem Fall hat sich unsere Feierkultur verändert. Wir sind früher viel mehr über das Wort gegangen, heute schaffen wir einen Gesamtrahmen mit Musik, mit Texten, mit Bildern. Das spricht eine emotionale Eben an, die vor 15 Jahren noch nicht so stark war.

Werner: Wir leben in der Zeit der dritten industriellen Revolution, einer von Medien geprägten Welt, die alle Sinne fordert. Früher waren die Menschen dankbar, wenn der Pfarrer eine gute Predigt gehalten hat. Heute beziehen wir auch neue Medien und Musik ein. Aber das ist nicht die leere Hülle, die wir draußen mit „Jingle Bells“ und „Last Christmas“ erleben.

Hörter: Ich halte nichts davon zu sagen: Das da draußen ist nur leere Hülle. Mein Weg ist immer, die Botschaft in einen positiven Rahmen zu setzen und nicht zu sagen: Das ist schlecht oder das . . .

Werner: Na, ich frage schon nach dem Sinn.

Hörter: Wer Spaß daran hat auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, soll auf den Weihnachtsmarkt gehen. In der Predigt finde ich es schwierig zu sagen: Das ist alles Konsumterror. Vielleicht im persönlichen Gespräch, wenn es denn dann auf die E0inzelnen zutrifft, aber nicht in der Predigt.

Werner: Ich versuche schon, die Menschen in ihrer Situation anzusprechen und erlebe schon stressgeplagte Mütter, die gucken müssen, wie sie die Wünsche ihrer Kinder händeln, Väter, die in ihrem Büro am Ende des Jahres auf dem letzten Loch pfeifen. Und dann noch die Umtriebigkeit in unsere Städten . . . Da stelle ich schon die Sinnfrage.

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Herr Werner, Sie sprachen davon, dass es diesmal in Ihrer Predigt auch um die aktuelle Diskussion über Ökologie gehen wird. Wie politisch darf, wie politisch muss eine Predigt vielleicht sogar sein?

Werner: Jede Predigt ist auch politisch, auch wenn sich der Pfarrer vielleicht dessen nicht immer bewusst ist. Natürlich ist die Diskussion um die ökologische Katastrophe auch ein Thema, bei dem es um den Erhalt der Schöpfung geht.

Hörter: Christlicher Glaube hat immer etwas mit Gemeinschaft zu tun. Es gibt nicht: Ich und der liebe Gott, sondern es geht immer um mich, die anderen und Gott. Schon dass Gott aus Liebe zu den Menschen Mensch geworden ist, ist ja ein politisches Statement. Ich tue mich persönlich oft schwer, auf aktuelle Hypes aufzuspringen. Dann versucht man immer auf einen Zug aufzuspringen. Und der Umgang mit Ressourcen beschäftigt uns ja schon nicht erst seit diesem Jahr.

Das Thema sexueller Missbrauch hat in diesem Jahr viele Menschen in Bergisch Gladbach beschäftigt, weil hier der erste und später ein weiterer Tatverdächtiger eines landesweiten Pädophilen-Netzwerks festgenommen wurde. Sprechen Sie in Ihrer Predigt auch über dieses Thema?

Hörter: Das Thema ist hochsensibel. Das eignet sich nicht dafür, um es in der Predigt anzusprechen. Auch weil man den Opfern nicht gerecht wird. Sicher aber wird das Thema im fürbittenden Gebet vorkommen.

Werner: Richtig, das lässt sich nicht in zwei Sätzen sagen. Gleichzeitig ist es wichtig, es nicht zu tabuisieren. Ich denke auch, dass wir im Gebet darauf eingehen werden.

Gibt es Menschen, die nach dem Gottesdienst an Weihnachten den Faden mit Kirche, mit ihrem Glauben wieder aufnehmen?

Werner: Ich erlebe das jedes Jahr. Und man trifft in der Kirche an Weihnachten ja auch Menschen wieder, die man vielleicht lange nicht mehr gesehen hat.

Hörter: Vielleicht findet der eine oder andere wieder zum Glauben, in der Kirche. Aber wir feiern nicht Weihnachten, damit die Menschen wieder in die Kirche kommen, sondern weil wir Menschen die Erfahrung ermöglichen wollen, dass Gott in ihrem Leben ist. Punkt! Wenn das an diesem Tag gelingt, ist das gut. Dass Menschen den Weg zurück in die Kirche finden, möglicherweise in Erinnerung an das Weihnachtsfest 2019 in der Gnadenkirche oder St. Laurentius, kann ja auch viele Jahre später sein, wenn Pfarrer Werner und ich schon längst irgendwo miteinander unseren Rollator durch die Gegend schieben.

Sie haben über Weihnachten eine Menge zu tun. Wann ist für Sie persönlich Weihnachten?

Hörter: Das ist banal und doch nicht banal. Bei uns ist es ein alter Brauch, dass der Zelebrant am Ende der Christmette das Christkind in die Krippe legt. Dann ist für mich Weihnachten.

Werner: Für mich beginnt Weihnachten an Heiligabend mit dem Glockengeläut zum ersten Gottesdienst. Dann kann ich mich auch in das Weihnachtsfest fallen lassen.