AboAbonnieren

Mediziner warnenAn der Cannabis-Freigabe scheiden sich in Rhein-Erft die Geister

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Foto ist zu sehen, wie jemand einen Joint in der Hand hält.

Öfter kann es jetzt in der warmen Jahreshälfte passieren, dass Passanten auch der süßliche Duft eines Joints in die Nase weht. Es darf gekifft werden.

Während Ärzte vor den Risiken warnen und die Polizei glaubt, dass weiter gedealt wird, sehnt der Cannabis-Club Brühl den 1. Juli herbei.

Viele Cannabis-Clubs sind auch im Rhein-Erft-Kreis bereits gründet oder bereiten sich darauf vor. Und überall scheint es, als können die Mitglieder es kaum mehr abwarten, bis sie endlich an den Start gehen dürfen. Tatsächlich gibt es inzwischen sogar einen Dachverband deutscher Cannabis Social Clubs (CSC) als Interessenvertretung und Sprachrohr, um die Bedürfnisse der CSC gegenüber der Politik und Medien zu vertreten.

„Wir sind vorbereitet, wenn ab 1. Juli 2024 die Clubs an den Start dürfen“, erklärt Sven Steiger, Vorsitzender des Brühler Cannabisclubs (CCC-Brühl). Der Club wurde schon im Mai 2023 aus der Taufe gehoben. „Unser Ziel ist es unter anderem, künftig auch Cannabis für unsere Mitglieder selber anzubauen“, erklärt er. Die Nachfrage auf eine Mitgliedschaft sei aktuell groß. Mitglied dürfe aber nur werden, wer 18 Jahre und älter ist.

Der menschliche Körper ist mit 21 Jahren einfach fertiger entwickelt
Janni

„Noch besser wäre es, wenn die Freigabe erst für junge Erwachsene ab ihrem vollendeten 21. Lebensjahr gelten würde“, ergänzt Vereinsmitglied Janni (27). Auch er ist aktiv im Club. „Der menschliche Körper ist mit 21 Jahren einfach fertiger entwickelt.“ Schließlich sei ja nie auszuschließen, dass auch die Psyche unter dem Konsum leiden kann. Auch deswegen soll Aufklärung ein wichtiges Standbein der Vereinsarbeit des CCC-Brühl werden.

Cannabis-Freigabe: Das bedeutet sie für den Rhein-Erft-Kreis

Dem Vereinsvorstand ist es zudem wichtig, dass die Arbeiten und Aufgaben im Verein von vielen Schultern getragen werden. Jedes Mitglied dürfe aktiv mitmachen, beim Anbau, der Vergabe, vor allen Dingen aber auch bei der Prävention.

Auf dem Foto sind Janni und Sven Steiger vom Cannabis-Club Brühl zu sehen. Sie stehen vor Schloss Brühl und rauchen einen Joint.

Es ist nicht mehr verboten, einen Joint auf der Straße zu rauchen, so wie es Janni (l) und Sven Steiger vom CCC Brühl vor dem Brühler Schloss tun.

Steiger erinnert sich noch gut an die Zeit, als er mit dem Kiffen begann. 16 Jahre war er alt. „Öffentliche Aufklärungskampagnen und Präventionsprogramme in den Schulen, Freizeiteinrichtungen oder Jugendclubs hat es damals nicht gegeben“, berichtet. „Meine erste Aufklärung bekam ich zwangsverordnet, als ich als Jugendlicher zum ersten Mal vor einem Richter stand.“ Weil er beim Konsum von Cannabis erwischt worden war, wurde er verurteilt, zu einer Drogenberatung zu gehen.

„Früher war das Gras auch noch wesentlich sauberer“, erklärt er. Heutzutage finde er künstliches THC und sogar Glassplitter darin. „Wer das raucht, der dreht danach regelrecht am Rad“, warnt Steiger. Mit der Cannabisfreigabe verbindet er deswegen auch den Wunsch, dass das Hippiegras zurückkommt. Auch deswegen hält er die Freigabe für eine gute Sache. Als Vorsitzender des CCC-Brühl hofft er auch, dass der Schwarzmarkt eingeschränkt wird und dadurch möglicherweise sogar Kriminelle aus den Städten oder Ortschaften gehalten werden.

Experten befürchten, dass Schulen auf das Thema nicht genügend vorbereitet sind

Die Euphorie aufseiten der Konsumenten steht allerdings im krassen Gegensatz zu den Bedenken der Polizei und der Landesregierung. Auch Therapeuten, Lehrer und Fachleute sind in Sorge. Bei einer Informationsveranstaltung in der Oberberg Fachklinik Konraderhof in Hürth zum Thema wiesen Teilnehmer unter anderem darauf hin, dass Schulen noch gar nicht auf das Gesetz vorbereitet worden seien. Wie sollen Jugendliche künftig geschützt werden? Fachleute und Therapeuten befürchten, dass der Cannabishandel an Jugendliche über den Schwarzmarkt sogar ansteigen könnte.

„Es ist nicht anzunehmen, dass langjährige, professionelle Akteure des organisierten Betäubungsmittelhandels nach einer Legalisierung von Cannabis ihre Tätigkeiten einstellen“, heißt es dazu aus dem NRW-Innenministerium. Mehrfach hätten die Behörde auch darauf hingewiesen, dass das vorgelegte Cannabisgesetz kaum kontrollierbar ist und dass durch die Legalisierung keine Entlastung, sondern eher ein Mehraufwand für die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder entstehe, auch wenn dieser nach aktuellem Sachstand nicht konkret zu beziffern sei.

Auf dem Foto sind Dr. med. Andrea Stippel (l), Chefärztin an der Fachklinik Konraderhof in Hürth, mit ihrer Kollegin, Oberärztin Clara Heidkamp zu sehen. Bei einer internen Veranstaltung setzten sich Fachleute, Lehrer, Therapeuten und Ärzte mit der Legalisierung von Cannabis auseinander.

Dr. med. Andrea Stippel (l), Chefärztin an der Fachklinik Konraderhof in Hürth, mit ihrer Kollegin, Oberärztin Clara Heidkamp. Bei einer internen Veranstaltung setzten sich Fachleute, Lehrer, Therapeuten und Ärzte mit der Legalisierung von Cannabis auseinander.

Innenministerium rechnet mit steigenden Unfällen unter THC-Einfluss

Das Schulministerium des Landes zeigt dagegen auf, dass den Lehrkräften sowie den Schülerinnen, Schülern und Eltern sehr wohl frühzeitig Handlungsempfehlungen und Aufklärungsmaterial im Bildungsportal zur Verfügung gestellt worden seien. Zusammen mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales seien im Bildungsportal.NRW auch aktuelle Informationen und bestehende Präventionsangebote zusammengeführt worden.

Viele Fragen wirft auch die geplante Anhebung der nachweisbaren Grenzwerte von Cannabis im Straßenverkehr auf. Im Innenministerium rechnet man mit steigenden Unfällen unter THC-Einfluss, aber auch damit, dass bei Verkehrskontrollen vermehrt entsprechende Verstöße festgestellt werden.

Doch wie sollen diese künftig bei den Kontrollen gemessen werden? Selbst wenn im Schnelltest ein Konsum nachgewiesen wird, reicht das alleine künftig nicht mehr aus, um einen Bluttest anzuordnen. „Es wird zusätzlich erforderlich sein, dass Anzeichen eines akuten Cannabiskonsums festgestellt werden“, so der Behördensprecher. Dazu meint der ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino: „Die klare Botschaft muss sein, wer kifft, fährt nicht. Man kann sich an keinen Grenzwert herankiffen.“