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HalbzeitbilanzBedburger Bürgermeister Sascha Solbach: „Die Bürokratie macht mich kirre“

Lesezeit 7 Minuten
Es ist Sascha Solbach vor dem Rathaus zu sehen. Er blickt in die Kamera.

Sascha Solbach ist bereits in seiner zweiten Amtszeit als Bürgermeister der Stadt Bedburg.

Bürgermeister Sascha Solbach spricht im Interview über den Aufschwung der Stadt und den Kampf mit den Finanzen.

Sascha Solbach (SPD) hat sich 2014 bei der Kommunalwahl mit 58 Prozent der Stimmen gegen seinen Vorgänger Gunnar Koerdt (CDU) durchgesetzt, bei der Wahl 2020 blieb er mit sogar 73 Prozent der Stimmen Bürgermeister von Bedburg. Dennis Vlaminck sprach mit ihm über die Herausforderungen für die Schlossstadt.

Herr Solbach, 2014 haben Sie bei der Kommunalwahl 58 Prozent der Stimmen geholt, 2020 sogar 73 Prozent. Ihre Prognose für 2025?

Sascha Solbach: Na, die realsozialistischen 98 Prozent sollten schon drin sein (lacht). Im Ernst, 73 Prozent der Bedburgerinnen und Bedburger für sich zu gewinnen, das ist neben der Riesenfreude auch eine große Verantwortung. Denn es bedeutet klipp und klar, die Arbeit in dem Stil weiter voranzubringen – und natürlich noch eine Schippe draufzulegen.

Wenn es mir gelingt, diese Wählerinnen und Wähler weiter von meiner Arbeit zu überzeugen und sie mir weiter vertrauen, dann ist das für mich schon ein großer Gewinn. Mehr Stimmen als vorher dürfen es natürlich immer sein.

Noch mehr große Namen für Bedburg

Herr Solbach, Peek & Cloppenburg und Snipes sind die Ansiedlungen mit den klangvollsten Namen in Ihrer Amtszeit. Was soll noch kommen?

Auf die Ansiedlungen bin ich sehr stolz, denn es war ein hartes Stück Arbeit, das wir in unserer Verwaltung gestemmt und, als interkommunale Industrie- und Gewerbefläche abgestimmt mit Bergheim und Elsdorf, letztlich durchgebracht haben (Anmerkung der Red. BEB 61 ist eine interkommunale Industrie- und Gewerbefläche).

Die großen Namen werden in Kürze noch um ein weiteres internationales Unternehmen erweitert, da sind wir in den finalen Vertragsverhandlungen. Mir ist jedoch wichtig, dass wir neben den großen „Playern“ auch den Mittelstand im Blick behalten. Genau der soll von den neuen Unternehmen profitieren, ebenso wie unser Einzelhandel und die Dienstleister.

Das halten wir, wenn möglich, in den Verträgen fest, wie beispielsweise ein Outletstore von Snipes in Bedburg, das wird viele neue und vor allem junge Besucher anziehen, die wir dringend brauchen. Wir planen weitere Projekte, damit unsere Stadt das Zentrum der Energie bleibt. Zum Beispiel ein sogenanntes Industrial Makerspace zu etablieren.

Viele kluge Köpfe unter einem Dach, die sich interdisziplinär austauschen – das will ich haben. In Bayern läuft es seit Jahren sensationell. Wir brauchen diesen Mut und große Neugier, damit wir in den kommenden Jahren für jede Betriebsgröße neue Wege finden, um Gewinne zu generieren, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.

Selbstverständlich verliere ich bei all dem unsere Betriebe vor Ort nicht aus den Augen. Wir werden unsere Wirtschaftsförderung noch einmal verstärken, damit in diesen dauerhaft turbulenten Zeiten noch mehr Unterstützung seitens der Stadt möglich sein kann.

Das Gewerbegebiet an der A61 war sehr umstritten. Welche Chance bedeutet es im Strukturwandel für Bedburg?

Wir haben die Bedenken der Bürgerinitiative sehr ernst genommen und sind ja sehr zügig auf einen gemeinsamen Nenner gekommen. Ich denke, der gesamte Prozess des Strukturwandels ist für viele Menschen immer noch sehr theoretisch und weit entfernt. Wenn dann Maßnahmen wie BEB61 anstehen, gibt es bei vielen Menschen große Ängste, dass unsere Heimat bedroht ist.

Bedrohung ist aber nicht das Thema: Fakt ist, ohne Veränderung werden wir nicht weiterkommen. Im Gegenteil, wir sind schon sehr spät, um den Wirtschaftsstandort Bedburg von der Braunkohle unabhängig zu machen. Bund und Land sind uns leider in vielen dieser politischen Veränderungen keine große Hilfe und verharren in theoretischen Konstrukten und Bürokratie.

Neue Infrastruktur muss entstehen

Deshalb ist es gut, wenn wir die Veränderungen und Entwicklungen kommunalpolitisch gemeinsam anstoßen. Bedburg liegt mitten im Rheinischen Revier und wir werden mehr als andere Kommunen den wirtschaftlichen Aspekt durch Wegfall der Braunkohle zu spüren bekommen.

Noch ist das Szenario nicht real, aber in wenigen Jahren muss hier eine neue Infrastruktur stehen, wie wir sie mit BEB 61 begonnen haben. Dafür kämpfe ich, auch, wenn es mir nicht nur neue Freunde in der Politik bringt (lacht).

Peek & Cloppenburg ist in Eigenregie in die Insolvenz gegangen. Wie ist der Stand der Dinge, was bedeutet das für Bedburg?

Das neue Logistikzentrum im Industriegebiet Mühlenerft wird von der Mode Logistik aus der Unternehmensgruppe von P&C, betrieben. Wir sind von der Geschäftsleitung informiert worden, dass der Standort Bedburg nach wie als Dreh- und Angelpunkt für den Vertrieb an den gut funktionierenden stationären Handel vorgesehen ist.

Aktuell unterstützen wir mit unseren Möglichkeiten die Personalakquise der Mode Logistik für Bedburg, was nach meinem Verständnis ein gutes Zeichen ist.

Das neue Viertel auf dem Zuckerfabrikgelände sollte längst im Bau sein. Kommt das überhaupt noch?

Ganz ehrlich, der Blick auf die immer noch unbebaute grüne Wiese ist auch für mich eine ziemlich frustrierende Sache: Wenn du siehst, dass eine Vision zu haben ist und dann doch mehr Unwägbarkeiten dem Investor in die Parade fahren, somit also das Projekt in die Länge ziehen, dann ist das alles andere als schön.

Kmplexität sei nicht ungewöhnlich

Dass auf dem Gelände viele Voraussetzungen zu klären waren, wusste der Investor ebenso wie wir. Dass es so komplex wird, ist richtig ärgerlich, aber bei einem solchen Großprojekt offenbar nicht ungewöhnlich. In der Sache ist es letztlich gut, denn jetzt können wir nun wirklich davon ausgehen, dass mit den umfangreichen Bodenuntersuchungen alle Vorarbeiten geleistet sind, um auf diesem Boden solide zu bauen.

Klar, ich gebe zu, manch kritische Eingaben seitens der Kommunalpolitik sind da schwer auszuhalten, denn natürlich will ich auch, dass es vorangeht. Deshalb bin ich froh, dass aktuell die ingenieurstechnischen Vorbereitungen laufen und wir dann hoffentlich in Kürze einen realistischen Zeitplan erhalten.

Große Gewerbeansiedlungen, der Windpark spült Millionen in die Kasse, die Steuern sind hoch angesetzt – und trotzdem klafft das Haushaltsloch. Wie kann das sein?

Kommunale Kassen sind derzeit ein wenig wie das Rennen zwischen Hase und Igel: Immer wenn wir ein Plus verzeichnen, steht die nächste Ausgabe bereits an. Wir haben es vorzeitig aus dem Haushaltssicherungskonzept geschafft und schließen auch 2022 mit einem satten Plus ab.

Doch anstatt jetzt einige der für den Haushalt 2023 zurückgestellten Projekte wieder freizugeben, müssen wir on top mit Ausgaben wie einer erhöhten Kreisumlage und den Kosten für den Tarifabschluss klarkommen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Versäumnisse werden aufgeholt

Wir kommen aus einer jahrzehntelangen HSK-Verwaltung, mein Amtsvorgänger hat Bedburg als eine sich verkleinernde Kommune betrachtet und danach agiert. Jetzt holen wir seit Jahren rasant die Versäumnisse auf. Da ist beispielsweise beim Thema Wohnungsbau mit steigenden Kosten für Energie, Personal und Material ein dickes Brett zu Bohren.

In den letzten Jahren haben wir in dieser Stadt enorm viel nachgeholt, wurden aber durch die bekannten Dauerkrisen, also der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine, mit allen menschlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen wirklich hart an die Grenze des Machbaren gebracht. Wir wollen wachsen, Wohlstand halten und keine Steuern erhöhen – das sind hohe Ansprüche.

In der Geschichte hat der Igel gewonnen, weil er das Rennen mit vielen Kollegen strategisch aufgeteilt hat. Ich hoffe, dass die Kommunen gemeinsam mehr Gehör bei Bund und Land finden. Denn die derzeitigen Finanzierungsanforderungen sind von uns allein so nicht dauerhaft zu stemmen, ohne die Bürgerinnen und Bürger zu belasten.

Ziele bis zur Wahl

Was sind die großen Ziele bis zur Wahl?

Geduldiger werden (lacht). Ich arbeite ja nun wirklich gerne in diesem Amt, aber die Bürokratie in unserem Land macht mich – entschuldigen Sie die Wortwahl – wirklich „kirre“. Beispiel Strukturwandel: In sieben Jahren steigen wir aus der Kohle aus, das ist verdammt wenig Zeit. Wenn dieser Strukturwandel zum Erfolg für diese Region werden soll, müssen gute und aussichtsreiche Projekte schneller genehmigt werden.

Denn ich möchte diese Stadt in den nächsten Jahren weiterbringen und vorzeigbare Ergebnisse haben, damit die Menschen erleben, was wir mit Strukturwandel meinen. Das Wachstum der Stadt muss mit einem Wachstum der Infrastruktur, wie Kitabau, Schulerweiterung und vielem mehr, einhergehen. Derzeit sind unsere Schulen echte Vorzeigeschulen in Sachen Digitalisierung. Ich möchte, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Mit ISEK haben wir die Umgestaltung des öffentlichen Raums in Bedburg begonnen und ich möchte noch in dieser Amtszeit durch den neuen Schlosspark gehen können. Gerne gemeinsam mit unseren neuen Freunden in Israel und anderen Menschen, die wir im Rahmen unseres kulturellen Austauschs kennenlernen. Denn ja, eine Stadt muss funktionieren, vor allem aber sollte sie lebenswert durch fröhliche Menschen mit bunter Kultur sein.