Einst mit Wader und BAP aufgetretenBedburger verlor durch eine Krankheit seine Beine
Bedburg-Pütz – Vor 40 Jahren veröffentlichte Konradin Maria von Wershofen die Schallplatte „Kann nicht lauter singen als das Gewehr“. Es war seine erste. Es folgten bewegte und erfolgreiche Jahre im Leben des vielseitig begabten Künstlers. Dann erlitt er eine Sepsis, in deren Verlauf er beide Beine, den linken Arm und die ersten Fingerglieder seiner verbleibenden Hand verlor. Drei Monate habe er auf der Intensivstation gelegen, zweimal sei er von den Ärzten ins Leben zurückgeholt worden, berichtet der heute 69-Jährige.
Konradin schildert die Ereignisse ohne Klagen, sachlich. Er habe einiges lernen müssen, sagt er, inzwischen könne er sich allein anziehen, zur Toilette gehen, duschen. Natürlich spiele er nicht mehr Gitarre, aber er lese viel, male, dichte und singe auch. Rückhalt finde er bei seiner Frau Martina. Und so manche gute Stunde erlebe er im Sommer am Lagerfeuer im Garten.
Früher sang Konradin von Wershofen für den Frieden
Früher sang er zur Gitarre, ganz in der Tradition der Liedermacher damaliger Zeit, für den Frieden. Das Cover der ersten Platte zeigt einen nachdenklich blickenden jungen Mann in Schwarz-Weiß. Es war das Jahr 1981, die Zeit des Nato-Doppelbeschlusses und der großen Friedensdemonstrationen im Westen des geteilten Deutschlands.
Es positionierte sich damals eine breite Front gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen, die Atomsprengköpfe mit Flugziel Sowjetunion tragen sollten, Pershing II, Tomahawk, Cruise Missile. Und in Brokdorf hieß es: „Atomkraft? Nein Danke“.
Früher spielte der Bedburger mit Hannes Wader, Udo Lindenberg und BAP
Konradin mit seiner Gitarre ist auf vielen Fotos, die er aus Schachteln und Aktenordnern kramt, auf den Bühnen zahlreicher Demos und Ostermärsche von damals zu sehen. Da habe er mit Ina Deter, Tommy Engel, Hannes Wader, Udo Lindenberg und BAP gespielt, erzählt er.
Den Rollstuhl hat der Künstler dicht an den Küchentisch im Pützer „Hexenhaus“ geschoben, als er nach Bildern von Aktionen in der Bergheimer Fußgängerzone sucht. Er war mit einer Laute unterwegs mit einer Herde Schafe und gab Konzerte in der Stadthalle. Eine Fotosammlung dokumentiert die selbst gepinselten Banner und Spruchbänder, die die Friedensinitiativen Bergheim und Pulheim bei Demos jener Zeit getragen haben.
Fein säuberlich zusammengerollt lagern die Stoffbanner heute noch in Konradins Malstudio. Überhaupt gibt es kaum einen der dutzend Räume im Untergeschoss seines Hexenhauses – ursprünglich drei ineinander verschränkte Häuser, gebaut um den Kern einer Sägemühle aus dem 17. Jahrhundert – der nicht mit wenigstens einem bis unter die Decke reichenden Regal ausgestattet ist. Hier lagern Schallplatten, Bücher, Aktenordner mit Zeitungsausschnitten, bis zu 500 eigene Malereien, Entwürfe und Texte oder Materialien zur Historie Bedburgs. Hinter dem Küchentisch befinden sich neun laufende Meter Literatur zum Thema Volksmusik, eines seiner Studienfächer.
Konradin von Wershofen: Der „erste Totalverweigerer“ der Bundesrepublik
Zur Zeit der Friedensdemos habe er, der seine Jugend in der Südstadt verbracht habe, bereits in Buir sein „Koordinationsbüro für die Friedensbewegung des Erftkreises“ eingerichtet und als Berater der Deutschen Friedensgesellschaft Kriegsdienstverweigerer, Soldaten und Zivildienstleistende „ans Händchen genommen“. Da sei es vor allem um Tipps zur besseren Formulierung der Gewissensgründe gegangen. Da kannte er sich aus. Schließlich sei er der „erste Totalverweigerer“ der Bundesrepublik gewesen, berichtet Konradin.
Was hat ihn 1969 zur Totalverweigerung bewogen, also zur Ablehnung des Kriegs- und auch des militärischen Ersatzdienstes? „Ich weiß nicht, wo das herkam“, sagt er. Und nach einigem Nachdenken: vielleicht wegen seines Elternhauses, wo er „Ermutigung, Respekt, Humor, rundum Liebe“ erfahren habe. Die Eltern seien Heilpädagogen gewesen, der Vater habe ihm auch das Gitarrespielen beigebracht. Er habe keine Lust gehabt, in einem Bundeswehrbüro oder einem Lager mit militärischer Ausrüstung Dienst zu schieben, Zivildienst habe es damals ja noch nicht gegeben, der sei erst nach Erfahrungen mit Totalverweigerern erfunden worden.
Konradin: „Klar habe ich Wut, aber ich lass die Faust in der Tasche“
Er habe eine schwierige Zeit erlebt, mit vielen Auftritten vor Prüfungsausschüssen und bei Gerichtsverfahren. 14 Jahre lang habe man ihn „gequält“. Neun Verfahren bis zur Einstellung der Sache 1984 habe es gegeben. Immerhin sei er „als Totalverweigerer anerkannt“. Sieben Verteidigungsminister habe das Land in den 14 Prozessjahren verschlissen, sagt Konradin schmunzelnd.
Die Haltung als Totalverweigerer hat Konradins Leben geprägt. Aus der katholischen Kirche sei er ausgetreten, als Kardinal Höffner Pershings und Cruise-Missiles gesegnet habe. Überhaupt sei beinahe alles gesegnet worden, „Hunde, Zäune, Streichhölzer, nicht aber die Liebe“, erst recht nicht die gleichgeschlechtliche. Die Partei der Grünen, deren erste Ortsverbände er im Kreis mitbegründete, habe er 2002 verlassen, als sie den Einsatz von Soldaten in Afghanistan beklatschten. „Klar habe ich Wut, aber ich lass die Faust in der Tasche“, sagt er.
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Eine Haltung, die er mit Liedern und seiner Gitarre zum Ausdruck brachte. Mit seiner Gitarre habe er 1971 im Alter von 20 Jahren als jüngster Dozent in der Geschichte der VHS Nordrhein-Westfalen frischen Wind in die Kölner Volkshochschule gebracht. Für all jene, die der mühevollen Übungen auf der Konzertgitarre müde geworden seien, sei er damals als Gitarrenlehrer angeworben worden. Denn: „Die Leute wollten schrummeln, Akkorde spielen und dazu singen.“
Was ist eine Sepsis?
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) bezeichnet eine Sepsis (aus dem Altgriechischen für „Fäulnis“ oder „Gärung“ ) als „lebensbedrohliche Reaktion auf eine Infektion“. Nach der Definition von Mervyn Singer von 2016 ist eine Sepsis eine „lebensbedrohliche Organdysfunktion verursacht durch eine fehlregulierte Wirtsantwort auf eine Infektion“. Durch eine fehlgeleitete Reaktion des Körpers auf eine Infektion kommt es zu Verletzungen am eigenen Gewebe oder den Organen. Mögliche Folgen sind Organversagen, ein septischer Schock und der Tod.
Laut einer kürzlich veröffentlichten Publikation sterben jährlich elf Millionen Menschen weltweit an einer Sepsis. Eine genaue Zahl sei jedoch schwer zu nennen, teilt die WHO mit, die 2017 eine Resolution zur „Verbesserung der Prävention, Diagnose und des klinischen Managements von Sepsis“ verabschiedet hat. Die Weltgesundheitsorganisation hat dieser Resolution global eine hohe Priorität eingeräumt und ihre 194 Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Forderungen in die nationalen Gesundheitsstrategien aufzunehmen. (nip)