„Sie beschimpften mich als Scheißjude“Bergheimerin spricht erstmals über ihre Wurzeln
Bergheim – Inessa Bergs ist zwölf, als sie mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Deutschland auswandert. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft folgten die Bergs der Einladung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl an die Bürger der früheren Sowjetunion, wieder so viele Juden in Deutschland anzusiedeln wie vor dem Zweiten Weltkrieg.
Seit 2012 lebt Inessa Bergs in Bergheim und hat sich dort ihren Kindheitstraum erfüllt: Eine eigene Tanz- und Ballettschule, die Menschen aus verschiedenen Kulturen verbindet. Die Jüdischen Kulturwochen waren der Anlass für die 42-Jährige und ihre Tochter Evin, erstmals über ihre Wurzeln zu sprechen.
Bergheimerin in der Ukraine aufgewachsen
„Ich habe es niemals verschwiegen, dass ich Jüdin bin, es aber auch nie an die große Glocke gehängt“, sagt Inessa Bergs. Geboren 1979 in Kiew, war sie es gewohnt, ihre Religion besser geheim zu halten. Ihre Eltern tauften ihr kleines Mädchen gregorianisch-orthodox, um es zu schützen. In den Schulen gab es eine Quote, die nur eine bestimmte Zahl jüdischer Kinder erlaubte. „Mein Bruder wurde geschlagen und beschimpft, für uns gab es in der Ukraine keine Zukunft“, schildert Inessa Bergs.
Als Jüngste in der Familie hatte sie es schwer, sich unter den Jungen zu behaupten. Als sie zum ersten Mal eine Ballettaufführung im Opernhaus in Kiew sah, war es um das Mädchen geschehen: „Von da ab wusste ich, dass ich Tänzerin werden wollte“. Im Alter von neun Jahren ging sie auf die Staatliche Balletthochschule in Kiew und schloss ihre Profiausbildung nach dem Umzug nach Deutschland 1997 an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln ab.
Jüdische Gemeinschaft fehlt der Bergheimerin
In Bergheim, wo es keine jüdische Gemeinde gibt, ist es die Gemeinschaft, die ihr am meisten fehlt. „Ich habe das all die Jahre von mir weggeschoben, und mir gesagt, »Ich brauche das alles nicht – Religion ist Privatsache«.“ Zwischen Tanzschule und Auftritten sei schlicht keine Zeit gewesen, den Sabbat aufwendig vorzubereiten. Alles Jüdische außer dem Essen und Tanzen ist aus dem Alltag verschwunden, zum Feiern geht es nach Köln und Frankfurt, oder zur Oma nach Hannover. Die Tochter, inzwischen 15 und in der elften Klasse des Gutenberg-Gymnasiums, erzog sie frei, sie soll selbst entscheiden.
Den Antisemitismus in der Gesellschaft sieht Inessa Bergs mit großer Sorge: „Natürlich habe ich Angst. Meine Mutter hat mir abgeraten, aber ich will mich nicht länger verstecken.“ Sie war um die 20, als sie auf dem Nachhauseweg von einer Gruppe Jugendlicher angegangen wurde: „Ich musste einen großen Platz überqueren und sie fragten mich nach einer Zigarette, die ich nicht hatte. Als sie meinen Davidstern sahen, beschimpften sie mich als Scheißjude – da ich bin nur noch gerannt.“ Seitdem trägt sie ihre Halskette nicht mehr in der Öffentlichkeit.
Disqualifikation wegen „Schindlers Liste"
Inessa Bergs Tochter sind solche Erlebnisse bisher erspart geblieben – wirklich diskriminiert fühlte sich Evin Bergs nur bei einem Tanzwettbewerb: Ihre Gruppe sei disqualifiziert worden, weil sie sich für ihre Aufführung die Filmmusik von „Schindlers Liste“ und damit angeblich ein Tabuthema ausgesucht hätten. „Ich bin heute noch wütend und sehr verletzt über diesen Ausschluss.“
Die Idee, dass Musik und Tanz auf der ganzen Welt Gemeinschaft und Zusammenhalt fördern und die Welt ein bisschen besser machen, steht auch hinter der Gründung von Inessa Bergs Tanzschule Belaro. Hier begegnen sich akademische und traditionelle Tanzkunst – vom klassischen Ballett bis zum Jazz, Modern Dance oder Folklore. Diese verbindende Kraft will die Ballettmeisterin, Choreographin und Tanzpädagogin an junge Menschen weitergeben – zum Beispiel in Workshops an Schulen wie zuletzt beim Zeitzeugen-Projekt der Gesamtschule Bergheim anlässlich der Jüdischen Kulturwochen.
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Was anfangs mit der für Jugendliche typischen Distanz zum lästigen Lernstoff begann, endete beim Abschlussfinale im Bürgerhaus von Quadrath-Ichendorf jetzt Hand in Hand mit fröhlichem Lachen. „Ich würde mir wünschen, dass das Judentum nicht nur in einem negativen Kontext geäußert wird, sondern dass das Positive eine stärkere Rolle spielt“, sagt Evin Bergs. „Wir sollten mehr aufeinander zugehen und das Gemeinsame entdecken.“