Die Gruppe hinter dem Instagram-Profil „Catcalls of Brühl“ kreidet öffentlich Belästigung an und will mit ihren Botschaften Denkmuster verändern.
„Catcalls of Brühl“Brühlerinnen wollen verhindern, dass Belästigung normalisiert wird
Sie ziehen los, ausgerüstet mit Kreide und ihrem Wunsch, etwas zu ändern. Ihre Botschaften schreiben sie mit Kreide an öffentlichen Plätzen auf den Boden. Da steht dann etwa „Als ich gehen wollte, hat er mich am Armgelenk gegriffen und wollte meine Nummer haben“, oder „Ich war auf der Bonnstraße unterwegs, als mir ein Mann hinterhergepfiffen hat.“ Mit ihren Aktionen wollen die „Catcalls of Brühl“ langfristig zu einer Änderung der öffentlichen Wahrnehmung beitragen und die Menschen für das „Catcalling“ sensibler machen.
„Die Definition von Catcalling ist verbale, sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum“, sagt Beatrice N., die in Bonn im siebten Semester Jura studiert. Die 21-Jährige möchte ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen. „Fremde gehen also auf einen zu, laufen vorbei, sagen etwas, fassen einen an, laufen einem hinterher, machen einfach etwas, das sexuell aufgeladen ist.“ Das Hinterherpfeifen und Kommentieren von Kleidung oder Körpern sei ein klassisches Beispiel, fügt Menja J. hinzu.
Es geht nicht nur um sexuelle Belästigung, sondern auch um Diskriminierung
Die beiden jungen Frauen gehören zu einer Gruppe von etwa acht jungen Menschen aus Brühl, die als Catcalls of Brühl per Instagram oder in E-Mails Geschichten von Menschen sammeln, die in der Öffentlichkeit belästigt wurden. Diese Geschichten kreiden sie dann wortwörtlich an und nennen so auch ihre Aktionen „Ankreidungen“.
Dabei geht es nicht ausschließlich um sexuelle Belästigung. Die Gruppe kreidet auch rassistische, homophobe oder transphobe Belästigung und Diskriminierung gegen schwule, lesbische und trans Menschen an. Die Idee stamme ursprünglich aus Amerika, berichtet Beatrice N., wo sich 2016 das Instagram-Profil der „catcallsofnyc“ für New York City etabliert habe. Auch in Deutschland entstanden bald zahlreiche solcher Profile.
Sexuelle Belästigung kann alle treffen
Vor allem in Großstädten wie München, Berlin oder Köln gibt es die Aktionen. Seit 2020 gibt es sie auch in Brühl. „Ich bin auf das Thema aufmerksam geworden, als ich einen Vortrag des Deutschen Juristinnenbundes gehört habe“, berichtet Beatrice N. „Dort wurde diskutiert, ob Catcalling strafbar sein sollte, und die Veranstalter berichteten auch von den Catcalls-Accounts. Das fand ich super und wollte so etwas auch für Brühl starten.“ Denn Belästigungen seien keine Einzelfälle, und kämen schon gar nicht nur in Großstädten vor.
Für die 20-jährige Menja J., die in Köln eine Ausbildung in Büromanagement macht, ist es deshalb wichtig, die Geschichten von Betroffenen zu sammeln und öffentlich zu machen, weil sonst nicht klar genug werde, dass so ein Verhalten nicht in Ordnung sei. Sexismus gegenüber Frauen spiele dabei oft eine wichtige Rolle, aber nicht ausschließlich. Auch Erfahrungen von Männern, die belästigt worden seien, hätten sie bereits gesammelt. Ein junger Mann habe berichtet, dass ihm eine Frau einfach in den Schritt gefasst habe.
„Es geht vor allem darum, dass viele gar nicht so weit denken, dass ihr Verhalten unangemessen ist und ich mich damit unwohl fühle“, sagt Menja J. Auch ihre Mitstreiterin sieht darin ein großes Problem. „Und vor allem Männer rufen Frauen zum Beispiel aus dem Auto hinterher, weil sie es lustig finden und denken, das sei eine tolle Aktion. Und wir gehen dann nach Hause und fühlen uns unwohl.“
„Es ist eine reine Machtdemonstration“, sagt Menja J. Gegen dieses Verhalten wollen die beiden Frauen mit ihrer Gruppe vorgehen, denn „das ist zwar Belästigung, aber nach Strafgesetzbuch ist Belästigung nur strafbar, wenn sie unter anderem eine Beleidigung oder körperlich, ist“, sagte Beatrice N.
Viele Menschen betrachten Belästigung als alltäglich
Dramatisch sei, dass viele Menschen, mitunter auch Betroffene, Belästigungen und Catcalling als so alltäglich ansähen, dass sie es nicht als Problem wahrnähmen, berichten die jungen Frauen. „Ganz schlimm war für mich einmal die Begegnung mit einem jungen Mädchen“, erzählt Menja J. „Sie war zehn oder elf und sprach uns bei einer Ankreidung an. Als sie verstand, was wir da machen, erzählte sie von ihrer Freundin, die schon einmal belästigt wurde, als wäre es das Normalste auf der Welt.“
Die Freundin sei von einem Fremden am Arm festgehalten worden, der ihr dann Nacktbilder auf seinem Handy gezeigt habe. „Wir fanden das ganz schlimm. Das Mädchen sagte dann zu uns, ihre Freundin sei ja wenigstens nicht entführt worden.“ Menja J. ist anzusehen, wie sehr sie das Gespräch immer noch verfolgt. „So eine Einschätzung kommt nicht von dem Mädchen selbst“, ist sie überzeugt. „Das hat sie nur gesagt, weil ihr Erwachsene das so gesagt haben. Und damit haben sie die Belästigung nochmal runtergespielt und normalisiert.“
Diese Wahrnehmung zu ändern, ist das Ziel der Brühler Gruppe. „Unsere Ankreidungen sind unterschwellige Botschaften, die man immer wieder sieht. Man geht an ihnen vorbei und liest sie ganz unterbewusst. Das funktioniert wie Werbung. Irgendwann dringt es ins Bewusstsein ein“, hofft Menja J.„Wir können natürlich nicht erwarten, dass alles von heute auf morgen funktioniert und besser wird“, sagt Beatrice N. „Aber langfristig können solche Aktionen Denkmuster verändern.“
Orte für Betroffene zurückerobern
Der Begriff „Catcalling“ stammt aus der englischen Umgangssprache und bedeutet wörtlich übersetzt etwa „Katzen-Rufen“. Das Catcalling bezeichnet für gewöhnlich sexuell anzügliches Rufen, Reden und Pfeifen im öffentlichen Raum durch Männer gegenüber Frauen.
„Chalk Back Deutschland“, heißt die Organisation, als deren Teil die Menschen hinter den Instagram-Profilen in der Regel agieren. Das ist ein eingetragener Verein, der als Dachverband aller deutschen Chalk Back (@catcallsof) Accounts fungiert. „Unsere Arbeit findet im öffentlichen Raum sowie auf Social Media statt“, heißt es bei Chalk Back.
Die Freiwilligen der Instagram-Profile sammeln Erfahrungsberichte von Vorfällen verbaler sexueller Belästigung und schreiben sie zusammengefasst – in der Regel mit einem griffigen Zitat – mit Kreide in der jeweiligen Stadt am Ort des Geschehens auf den Boden. Davon stellen sie ein Foto bei Instagram ein und veröffentlichen in Absprache mit den Betroffenen auch den gesamten Vorfall anonymisiert auf ihren Kanälen.
„Damit wollen wir zum einen den Ort für die betroffene Person zurückerobern und zum anderen die Menschen, die an den Ankreidungen vorbeilaufen, darauf aufmerksam machen, dass dort Belästigung passiert“, so der Dachverband.
Weltweit gibt es derzeit 327 Chalk Back Konten, 226 in Europa und 127 in Deutschland. Wer sich in Brühl an die Catcalls of Brühl wenden möchte, kann ihnen auf Instagram und per E-Mail eine Nachricht schicken. Weitere Informationen zu der Organisation gibt es auf der Internetseite von Chalk Back und im Instagram-Profil. (at)