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20 Jahre nach dem Zug-Unfall in BrühlRetter haben viel aus dem Unglück gelernt

Lesezeit 5 Minuten

Die Retter hatten es nicht einfach, die Zuginsassen aus den Trümmern zu befreien.

  1. 20 Jahre sind seit dem Zug-Unfall in Brühl vergangen. Neun Menschen kamen damals ums Leben.
  2. Noch heute sind die Erinnerungen daran allgegenwärtig - vor allem für die Helfer von damals.
  3. Erkenntnisse aus Unglücken wie diese helfen den Rettern, ihre Arbeit zu verbessern.

Brühl/Rhein-Erft-Kreis – Der Rettungsdienst entwickelt sich stetig weiter. Erkenntnisse aus täglichen Einsätzen, Katastrophen und Terrorlagen fließen in die Arbeit ein. Sowohl strukturell als auch technisch sowie bei der Ausbildung wird der Rettungsdienst permanent modernisiert. Heute sei die Situation kaum noch vergleichbar mit der im Jahr 2000, sagt Harald Band, ehemaliger Leiter der Feuerwehr Frechen, der beim Zugunglück Abschnittsleiter in der Straße Am Inselweiher war. Damals hatte nahezu jede Feuerwache ihre eigene Leitstelle, wo die Notrufe aufliefen. Niemand dort wusste genau, welche Fahrzeuge in den anderen Kommunen einsatzbereit auf der Wache standen oder gerade unterwegs waren.

Kreisweite Koordination hat sich bewährt

Seit 2005 ist das zentralisiert. Kurz vor dem Weltjugendtag ging die Kreisleitstelle mit Standort Kerpen in Betrieb, kommunale Grenzen für die rettungsdienstliche Einsatzdisposition wurden aufgehoben. Die Mitarbeiter der Kreisleitstelle haben einen Überblick, wo sich welches Fahrzeug – egal ob Feuerwehr- oder Rettungswagen – gerade befindet. Die kreisweite Koordination hat sich gerade bei Großeinsätzen bewährt. Die Krankenhäuser müssen permanent – elektronisch unterstützt – einen Bettennachweis erbringen, so dass die Leitstelle immer einen Überblick hat, wo wie viele Betten frei sind. Gegliedert seien die Informationen nach Fachbereichen, erklärt Branddirektor Bernd Geßmann aus Erftstadt, der viele Jahre bei der Berufsfeuerwehr Köln den Bereich Einsatzplanung Rettungsdienst und Krisenmanagement verantwortete.

Klare Kommunikation

Unter dem Stichwort MANV, was für „Massenanfall von Verletzten“ steht, sind feste Abläufe hinterlegt. Wird über die Leitstelle beispielsweise „MANV 10“ (etwa zehn Verletzte) ausgelöst, rücken innerhalb von wenigen Minuten eine vordefinierte Anzahl an Feuerwehrfahrzeugen, Rettungswagen und Notärzten aus, um möglichst schnell adäquate Versorgungsmöglichkeiten für alle Betroffenen zu leisten. Dieses MANV-System ist in verschiedene Stufen eingeteilt. Bei Großeinsätzen wie in Brühl würde heute unter anderem „Ü-MANV-S“ ausgelöst. Das steht für „Überörtlicher Massenanfall von Verletzten – Sofort“. Wenn diese Anforderung von der Kreisleitstelle in Kerpen beispielsweise an die Kreisleitstelle in Siegburg gestellt wird, ist genau hinterlegt, was an Personal und Rettungsmittel ausrücken muss. Unspezifische Funksprüche bei größeren Einsätzen unter den Zentralisten auf den kommunalen Leitstellen aus den 90er Jahren wie „Schick mir mal alles, was du hast“, gehören der Vergangenheit an. Zum Zeitpunkt des Zugunglücks in Brühl befand sich das MANV-System gerade im Aufbau.

Seit dem Zugunglück in Brühl am 6. Februar 2000 ist der Rettungsdienst kontinuierlich weiterentwickelt worden.

Zu diesem System gehören auch sogenannte Patientenanhängekarten in verschiedenen Farben. Bei Großlagen wird zunächst eine Vorsichtung vorgenommen. Dann wird jedem Verletzten einen Karte umgehängt. Grüne Karte bedeutet „leicht verletzt“, gelbe Karte steht für „schwer verletzt mit baldmöglichster ärztlicher Versorgung“, rot steht für akute „vitale Bedrohung mit schnellstmöglicher Versorgung“ und schwarze Karte bedeutet „offensichtlich tot“. Nachfolgende Rettungskräfte wissen dann, um wen sie sich zuerst kümmern müssen.

Schulungen

Nach dem Zugunglück in Brühl sind die Erfahrungen aus dem Einsatz dokumentiert worden. Harald Band, damals Leiter der Feuerwehr Frechen und Abschnittsleiter Am Inselweiher, und Branddirektor Bernd Geßmann, damals bei der Feuerwehr Kerpen und in der Technischen Einsatzleitung, ist heute stellvertretender Feuerwehrchef in Aachen, gaben die Erkenntnisse in Vorträgen an Feuerwehrschulen an leitende Führungskräfte der Feuerwehren in der Republik weiter. Band war Mitglied der Rheinischen Projektgruppe MANV und entwickelte in einem Arbeitskreis auf Landesebene den Rettungsdienst weiter.

Bereits beim Zugunglück in Brühl stand fest, dass es nicht sinnvoll war, die Verletzten einfach nur in die umliegenden Krankenhäuser zu bringen. Damit wären die Notaufnahmen überlaufen und das Personal überfordert gewesen. Transportstopp nennen die Rettungsdienste das. Daher wurden die Patienten, die leicht oder mittelschwer verletzt waren, zunächst an Ort und Stelle behandelt. Dazu wurde in der Nacht das Bahnhofsgebäude genutzt. Dabei fiel auch der in Rettungskreisen in Erinnerung gebliebene Ausspruch des damaligen Bürgermeisters Michael Kreuzberg: „Wenn das nicht reicht, brechen wir das Schloss auf.“ Damit war das Schloss Augustusburg gemeint. Dazu kam es jedoch nicht. Neben dem Bahnhofsgebäude wurden mehrere Zelte zu einem Behandlungsplatz aufgebaut.

Festgelegte Größen

Das nächstgelegene Krankenhaus, das Marienhospital, würde heute nicht angefahren. Die Erfahrung zeigt, dass bei Unglücken mit vielen Verletzten auch Menschen im Schockzustand zu Fuß oder mit dem Taxi ins nächste Krankenhaus fahren oder gehen und die Aufnahmekapazität somit schnell erreicht ist.

Neun Tote und 149 Verletzte forderte das Zugunglück in Brühl. Damals wurde ein Behandlungsplatz, der aus mehreren Zelten bestand, auf der Wiese vor dem Bahnhof aufgebaut.

Jeder Kreis oder jede Großstadt muss heute Katastrophenschutzeinheiten vorhalten. Diese besteht unter anderem aus einem Patiententransportzug (vier Rettungswagen, vier Krankentransportwagen, zwei Notärzte) einem Betreuungsplatz für bis zu 500 Menschen und einem Behandlungsplatz für maximal 50 Verletzte. „Diese Einheit muss so organisiert sein, dass sie innerhalb von einer Stunde auf den Weg gebracht werden kann“, berichtet Band, der Mitglied der Rheinischen Projektgruppe MANV und im Arbeitskreis Rettungsdienst auf Landesebene war. An den Rhein-Erft-Kreis grenzen Köln und fünf Kreise. Das würde im Ernstfall bedeuten, dass in kurzer Zeit neben den eigenen Rettungseinheiten zusätzlich 24 Rettungswagen, 24 Krankentransportwagen, jeweils mit zwei Sanitätern pro Wagen, und zwölf Notärzte am Unglücksort wären.

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Auch die Kommunikation hat sich verändert. Der Analogfunk ist durch digitale Technik abgelöst worden. Das ermöglicht, auf wesentlich mehr Kanälen gleichzeitig Informationen austauschen zu können. Das Fax wurde durch E-Mail abgelöst, und heute können Patientendaten bereits aus dem Rettungswagen ins Krankenhaus geschickt werden. Organisiert ist auch die sogenannte Personenauskunftsstelle. Dort werden auf der einen Seite die Daten der Verletzten eingegeben, auf der anderen Seite können legitimierte Mitarbeiter bei Anfragen von Angehörigen Auskünfte geben.