Blessemer Ehepaar„Wir haben überlegt, welche Todesart weniger qualvoll wäre”
Erftstadt – Ein Grundstück ist gefunden, vor einigen Wochen wurde der Notarvertrag unterschrieben. „Wir bauen neu, endlich“, sagt Holger Eich und lächelt. Am Rand des Erftstadter Stadtteils Erp. 450 Quadratmeter hat die Parzelle, rund 140 Quadratmeter Wohnfläche soll das Fertighaus haben, eineinhalb Geschosse ohne Keller, mitten im Grünen, aber trotzdem nicht weit weg von der Arbeit. „Schlüsselfertig“, ergänzt Susanne Eich. Und etwa neun Kilometer entfernt von dem Ort, den ihr Mann niemals mehr sehen möchte.
Susanne und Holger Eich aus Erftstadt-Blessem haben beim Juli-Hochwasser des vergangenen Jahres ihr ganzes Hab und Gut verloren. Im letzten Moment wurden sie mit einem Hubschrauber gerettet, wenig später brach ihr Haus zusammen. Dem Ehepaar gehörte das mittlere der drei Häuser, das samt dem Grundstück in einem Krater versunken ist. Die Fotos der Grube sind weltweit zum Symbol des Unglücks geworden.
„Wir haben überlegt, welche Todesart wohl die weniger qualvolle wäre”
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Eichs schon mehrfach besucht und über ihren Überlebenskampf sowie die Zeit danach berichtet. Die Erinnerungen an das Desaster und den Schock danach kamen Stück für Stück zurück. Damals, in den letzten Minuten im Haus, habe sie gedacht, es komme keine Rettung mehr, hat Susanne Eich einmal berichtet. Eine Not, die zu einem unvorstellbaren Gespräch führte. „Wir haben überlegt, welche Todesart wohl die weniger qualvolle wäre.“
Draußen in den Fluten ertrinken gehe wohl schneller, habe ihr Mann gesagt. „Ich dachte dann aber, vielleicht wirst du im Haus von irgendetwas erschlagen, wenn die Wände einstürzen, das geht doch schneller.“ Als der Hubschrauber dann doch gekommen ist, und er gesehen hat, wie seine Frau am Seil nach oben in den Hubschrauber gezogen wurde, „da war ich so glücklich, das kann ich nicht beschreiben“, hat Holger Eich wenige Wochen nach der Katastrophe ergänzt. Seine Stimme versagte bei diesen Worten, die Tränen kamen.
Noch immer verarbeiten sie das Flut-Geschehen
„Auch heute, ein Jahr danach, haben wir noch damit zu tun, das Geschehene zu verarbeiten“, sagt er. Die Trauer, „mit dem Haus die Heimat und auch einen Teil unserer Vergangenheit“ verloren zu haben, die hole ihn manchmal ein. Die Sicherheit des 1999 gekauften und anschließend liebevoll sanierten Gebäudes, das zugleich „Schmuckstück und Lebenswerk“ gewesen sei, die fehle ihm dann so sehr. „Das schwappt dann über mich weg wie eine riesige Welle.“ Niemals mehr wolle er deshalb zurück an die Stelle, an der einmal sein Grundstück gewesen ist. „Das holt mich dann alles wieder ein, das weiß ich genau. Warum soll ich mich dem aussetzen, wenn ich eh‘ nichts mehr ändern kann?“
Das Gebäude war zwar versichert. Der Hausrat und das Grundstück, das im Erdboden versunken ist, aber nicht. Die Eichs, beide berufstätig, wohnen seit etwa einem Dreivierteljahr in Hürth zur Miete. Neben der Arbeit noch unzählige Termine, um verloren gegangene Unterlagen wieder zu beschaffen. Ein Fernsehsessel und zwei Hocker für die Küchentheke der Mietwohnung, schon lange bestellt, sind vor zwei Wochen erst gekommen.
Blessemerin Susanne Eich: „Ich vermisse so vieles”
Im Traum geht Susanne Eich immer noch durch ihr untergegangenes Haus. Sieht die zahlreichen Dinge, die sie und ihr Mann besessen haben. Und dann kommt irgendwann immer das Wasser. „Ich vermisse so vieles“, sagt sie. Es sind nicht die teuren Besitztümer, die ihr in den Sinn kommen. Der ehemalige Hausschlüssel ihres Elternhauses. Ein schon auseinanderfallendes Gebetsbuch aus dem Jahr 1895, das die eine Oma durch zwei Weltkriege getragen hat. Oder ein altes Familien-Fotobuch, das die andere Oma bei der Vertreibung im Zweiten Weltkrieg nicht zurücklassen wollte.
„Das ist es, was fehlt. Und dann mache ich mir Vorwürfe, dass ich es bin, die diese Dinge verloren hat. Obwohl ich, rational betrachtet, ja gar nichts dagegen tun konnte“, weiß die 57-Jährige. Auf der Suche nach ein paar Erinnerungsstücken an „die Zeit vor der Flut“, bittet sie seit einiger Zeit Verwandte und Bekannte, in ihren Fotoalben zu kramen. „Das kostet zwar echt viel Kraft, dann immer wieder über die Geschehnisse reden zu müssen, dass jetzt alles weg ist, aber die Mühe lohnt sich unter dem Strich.“
Noch stehen die Pferde auf der Weide
Bei der Suche nach ihrem neuen Grundstück sind die Eichs in den vergangenen Monaten von der Stadtverwaltung in Erftstadt unterstützt worden, haben von der Behörde mehrere Angebote erhalten. „Derzeit stehen noch Pferde auf der Weide“, sagt Susanne Eich. Mit dem Bauen werde es zwar noch etwas dauern, aber ihre Vorfreude sei schon „riesengroß“. Im Sommer 2024, so der Plan, werde sie mit ihrem Mann wohl ins neue Haus einziehen können.
Auch für Maria Dunkel hat sich einiges zum Guten gewendet. Die 68-Jährige war eine Nachbarin der Eichs in Blessem. Ihr Haus steht auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Auf der Seite, auf der die Gebäude zwar überflutet wurden, aber in keinen Krater stürzten. Im Erdgeschoss ihres Hauses sind gerade die Wände frisch gestrichen worden.
Die Sanierung hat viel Geld gekostet, insgesamt etwa 100.000 Euro. Doch 80 Prozent davon müssen Maria Dunkel und ihr Mann Ulrich wohl nicht selbst aufbringen. Zwei Tranchen aus dem Wiederaufbaufonds seien schon ausgezahlt worden, sagt ihr Sohn Thomas. „Damit haben wir hier glücklicherweise vieles bezahlen können.” Die versprochenen Zuschüsse sind also kein leeres Versprechen geblieben - der Staat hat Wort gehalten.
Seit April steht fest: Die Kiesgrube in Blessem wird nicht weiterbetrieben
Eine Ursache für die Katastrophe im Juli 2021 war in den Augen vieler Anwohner die angrenzende Kiesgrube, die sich immer weiter ausgedehnt hatte. Seit dem 8. April diesen Jahres steht fest: Die Kiesgrube wird nicht mehr weiterbetrieben. Stattdessen soll langfristig ein Naherholungssee daraus werden. Der entstandene Krater selbst soll mit Erde gefüllt und in ein Auengebiet verwandelt werden. Die Erft soll mehr Platz bekommen, so dass künftige Überschwemmungen ohne solch katastrophale Folgen bleiben.
Die politische und strafrechtliche Aufarbeitung der Hochwasser-Katastrophe indes läuft noch. Ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag hat unter anderem dazu geführt, dass die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zurückgetreten ist. Als die Betroffenen in den Überflutungsgebieten noch um ihre Existenz kämpften, hatte die Ministerin ihre Geschäfte zeitweise von Mallorca aus geführt.
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Die Staatsanwaltschaft Köln beschäftigt sich bei der Frage, wie es zu den Überflutungen in Blessem kommen konnte, vor allem mit der dortigen Kiesgrube. Konkret richten sich die Ermittlungen gegen den Eigentümer und Verpächter des Tagebaus in Erftstadt, gegen fünf Beschuldigte des Betreibers sowie vier Beschuldigte der Bezirksregierung Arnsberg, die die zuständige Aufsichts- und Genehmigungsbehörde ist. Ermittelt wird wegen des Verdachts des fahrlässigen Herbeiführens einer Überschwemmung durch Unterlassen und Verstoß gegen das Bergbaugesetz. Berichten zufolge könnten die Böschungen der Grube nicht wie vorgeschrieben für extreme Hochwasserereignisse ausgelegt gewesen sein.
Ganz weg ist der Schock noch nicht
Dass die Kiesgrube dichtgemacht wird, hat jedenfalls wesentlich zu Maria Dunkels Seelenfrieden beigetragen. Ganz weg ist der Schock allerdings nicht: Sobald es stark regnet, steht sie am Fenster und beobachtet, ob sich irgendwo Wasser sammelt. „Das ist ein Trauma“, sagt sie. Bei Sturm ist es ähnlich. „Mit allem hat man Angst“, sagt Ulrich Dunkel.
Der 74-Jährige sitzt manchmal unterm Dach und denkt darüber nach, was passiert wäre, wenn ihr Haus auch im Krater versunken wäre. „Die ganzen Erinnerungen vom Karneval. Sie war Prinzessin, ich war Prinz! Wir haben Bilder, wir haben Orden. Wenn das alles weg gewesen wäre...“ Die Nachbarn wie die Eichs, die alles verloren haben. „Kein Bild von den Eltern mehr, nichts. Da läuft's mir kalt den Rücken runter, wenn ich darüber nachdenke. Das ist noch lang nicht vergessen. Das kann man gar nicht vergessen!“
Im Gartenteich der Dunkels läuft wieder Wasser ein. Tiere sind noch keine drin. Die ursprünglichen rund 15 Goldfische wurden bei der Flut rausgespült. Einen haben sie noch lebend wiedergefunden und in der Erft ausgesetzt. Maria Dunkel geht zur Kraterkante. Dahin, wo mal das Haus der Eichs stand. Da hinten soll also mal ein See entstehen. Ob sie das noch erleben? „Ich sage immer, wenn's soweit ist, dann mach ich für die Touristen Currywurst mit Fritten und mein Mann zieht mit einem Bauchladen mit Eis los“, sagt Maria Dunkel und lacht. (mit dpa)