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Hochwasseropfer aus Blessem„Haben uns überlegt, welche Todesart die einfachere wäre“

Lesezeit 7 Minuten
Susanne und Holger Eich

Susanne und Holger Eich

Erftstadt-Blessem. Es ist die Todesangst in den letzten Minuten vor ihrer Rettung, dieses Gefühl, das Susanne Eich nie vergessen wird. „Wir dachten, es kommt keiner mehr. Und wir haben uns dann tatsächlich überlegt, welche Todesart die einfachere wäre: Ertrinken oder im Haus bleiben. Mein Mann sagte, Ertrinken geht schneller. Das fand ich irgendwie furchtbar. Dann dachte ich, vielleicht wirst du von irgendetwas erschlagen, das geht doch schneller.“ Und dann, zum Schluss, als es bereits ausgemachte Sache zu sein schien, dass es jetzt „zu Ende ist“, habe sie sich gefragt: „Willst du noch jemanden anrufen?“

Susanne und Holger Eich aus Erftstadt-Blessem haben beim Juli-Hochwasser ihr ganzes Hab und Gut verloren. Im letzten Moment wurden sie mit einem Hubschrauber gerettet. Dem Ehepaar gehörte das mittlere der drei Häuser, das samt dem Grundstück in einem Krater versunken ist. Die Fotos der Grube sind weltweit zum Symbol des Unglücks geworden.

Flutopfer aus Blessem: Hausrat und Grundstück waren nicht versichert

Das Gebäude war zwar versichert. Der Hausrat und das Grundstück, das im Erdboden versunken ist, aber nicht. „Ich bin Anfang September wieder arbeiten gegangen. Es muss ja weitergehen, ich bestehe doch nicht nur aus dieser Katastrophe. Wir haben eine Perspektive, eine gute, hoffe ich“, sagt Susanne Eich. Mit ihrem Mann ist sie zur Miete nach Hürth gezogen. Sie sitzt an dem Wohnzimmertisch ihrer Wohnung und lacht.

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Die Versprechungen waren kurz nach dem Unglück groß gewesen. Spendengeld aus einem Entschädigungsfonds sollten schnell ausgezahlt werden. Und die Bürgermeisterin aus Erftstadt hatte ein neues Grundstück versprochen. „Wochenlang aber war dann Funkstille“, ärgert sich Holger Eich, der neben seiner Frau sitzt. „Das war wie abgeschnitten, auf Anrufe und Mails wurde nicht reagiert. Obwohl wir doch auf keine Entscheidung gedrängt haben, uns nur mal nach dem Zwischenstand erkundigen wollten. Aber da kam gar nichts, das war enttäuschend.“

Ehepaar verliert Haus durch Flut: Erftstadt hat neues Grundstück angeboten

Sie habe gedacht, „dass wir vielleicht vergessen werden“, ergänzt seine Frau. Umso größer sei die Freude gewesen, als vergangene Woche „Bewegung in die Sache gekommen ist“. Der Fonds habe gezahlt. Und es habe neue Gespräche mit der Stadt wegen einer Entschädigung für das Grundstück gegeben.

Das Unwetter hat Teile des Orts Blessem im Rhein-Erft-Kreis zerstört.

Das Unwetter hat Teile des Orts Blessem im Rhein-Erft-Kreis zerstört.

„Es ist noch ein Leben im Umbruch, das wir führen“, sagt Susanne Eich. Die Erinnerungen an die Katastrophe, die Sorge um die Zukunft und ein neues Heim, das sich noch nicht wie ein Zuhause anfühlt. „Die Stühle beispielsweise, auf denen wir gerade sitzen, haben wir erst seit zwei Wochen. Das Sofa kommt erst Mitte des Monats und die Küche ist auch noch nicht da.“

Na ja, man müsse halt Geduld haben, sagt Holger Eich – und wechselt das Thema „Was einem klar wird jetzt, etwa bei TV-Berichten aus Kriegsgebieten, dass die Menschen, die auf der Flucht sind, alles hinter sich lassen mussten. Ein bisschen fühlen wir uns auch so, auf der Flucht, ohne etwas mitnehmen zu können.“

Die undatierte Aufnahme zeigt den Ortsteil Blessem (l.) und die Kiesgrube (r.).

Die undatierte Aufnahme zeigt den Ortsteil Blessem (l.) und die Kiesgrube (r.).

Oder wenn es in anderen Teilen der Welt zu Naturkatastrophen komme, wie etwa beim Vulkanausbruch in La Palma, pflichtet seine Frau ihm bei. „Da denke ich dann, denen verbrennt alles. Auf dem einen Teil der Insel, die haben jetzt den Verlust zu beklagen, und ein Stück weiter, wo die Lava nicht hinkommt, denen geht’s gut. Und ich finde das dann so befremdlich, wenn ich mir vorstelle, nur einen Kilometer weiter, da ist den Leuten auch bei unserem Hochwasser nichts passiert. Dass das so nah beieinander liegt, das kriegt man nicht in den Kopf.“

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Er hätte früher in Rente gehen können, sagt Holger Eich. Vor dem Unglück, vor dem Verlust des Grundstücks, des Hauses und der gesamten Einrichtung. Jetzt brauche er die Arbeit, um sich abzulenken. „Was es so schwer macht, dass man etwas geschaffen hat, wo man gesagt hat, das ist jetzt dein Lebenswerk.“ Es sei die Heimat, die Schutzburg, sogar die eigene Vergangenheit, die in den Trümmern untergegangen ist. „Das Herzblut, das da drin steckt, da fühlt man sich wie amputiert“, sagt der 62-Jährige. Wenn er daran denke, habe er gelegentlich „so leichte Zitteranfälle oder ich merke zumindest eine starke innere Anspannung“. Vor allem, wenn es stark regne wie am Unglückstag. Bei der Einrichtung der neuen Wohnung achte er jetzt darauf, dass nichts an früher erinnert, betont Eich.

In Erftstadt-Blessem wurden viele Häuser völlig zerstört. Die Betroffenen können in Kölner Hotelzimmer unterkommen.

In Erftstadt-Blessem wurden viele Häuser völlig zerstört. Die Betroffenen können in Kölner Hotelzimmer unterkommen.

Sie habe lange Zeit vom Haus geträumt, sagt seine Frau. „Ich bin immer dadurch gegangen und habe die ganzen Sachen gesehen. Völlig verrückt, teilweise völlig unwichtige Sachen, jede Nacht. Aber es ist besser geworden, ich habe das jetzt nicht mehr.“ Was ihr bei der Verarbeitung wohl auch helfe, sei eine Hausrat-Aufstellung für den Wiederaufbau-Fond. „Ich mache das vielleicht zu akribisch, aber das ist für mich eine Möglichkeit mich von jedem Teil zu verabschieden“, sagt die 57-Jährige.

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„Den Keller hat sie schon gemacht und jetzt geht sie sozusagen ins Erdgeschoss“, ergänzt ihr Mann und lächelt. Was ihm, außer den Gesprächen mit seiner Frau, in den vergangenen Monaten Kraft gegeben habe, sei die Unterstützung von Freunden, Kollegen und Fremden. „Also das war jetzt keine unüberschaubare Summe im Ganzen. Aber es hilft halt. Vor allem moralisch, dass da Menschen sind, die an einen denken.“

Ist er seit der Katastrophe noch einmal in Blessem gewesen? Nein, sagt Holger Eich. Und er werde sich die Stelle, an der sein Haus stand, auch zukünftig nicht anschauen. „Niemals. Es ist nichts mehr da. Warum soll ich noch einmal dahin? Damit ich noch einmal die Schmerzen empfinde? Das würde nämlich passieren. Aber das tue ich mir nicht an.“

Einige Nachbarn seien oft zur Unglücksstelle gefahren, ergänzt Susanne Eich: „Die haben mir gesagt, die brauchten das, um sich zu verabschieden. Aber auch für mich ist dieser Ort für alle Zeiten Sperrgebiet. Wir fahren auch wirklich weiträumig drum herum, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind.“ Neulich, als es nicht anders ging, sei er auf der A61 gefahren, sagt Holger Eich. „Wo diese Trennwände weg sind, und man links in die Richtung gucken kann, wo unser Haus gestanden hat. Ich habe den Kopf nach rechts gedreht.“

Gut, sie habe hingeguckt, sagt Susanne Eich: „Aber man sieht ja nichts mehr.“ So richtig „kapiert, so dass man es verinnerlicht hätte“, habe sie immer noch nicht, was am Einsturztag passiert ist. „Wir haben immer gedacht, wenn hier ein schlimmes Hochwasser kommt, wenn es richtig schlimm kommt, haben wir ein bisschen Wasser im Erdgeschoss stehen.“ Dabei sei sie aber davon ausgegangen, dass die in der Nähe liegende Erft über die Ufer treten könnte. An die Kiesgrube nahe der Autobahn, die während des Juli-Hochwassers zunächst den angrenzenden Acker und dann das Haus verschlungen hat, habe sie nicht gedacht.

Erftstadt-Blessem: „Mir war die Grube immer schon unheimlich“

Auch wenn es „ein bisschen komisch klingen könnte“ sagt Holger Eich: „Mir war die Grube mit ihren extrem steilen und tiefen Ausschachtungen immer schon unheimlich. Der habe ich nicht getraut, habe auch deshalb 1999 bei unserem Einzug ins Haus eine Gebäudeelementar-Versicherung abgeschlossen.“ Dass sich die düsteren Vorahnungen bewahrheitet hätten, sei ihr bewusst geworden, als sie während ihrer Rettung am Hubschrauberseil hing, ergänzt Susanne Eich: „Den Anblick werde ich nie vergessen. Dieser riesige Krater, das ganze Feld war ja eingebrochen. Und die Einbruchkante war schon an unseren Garagen angekommen.“

Das alles aber habe in diesem Moment keine Rolle gespielt, bestätigt Holger Eich: „Da war einfach nur Dankbarkeit, dass wir uns noch hatten. Wir können das Leben wieder neu aufbauen. Alleine hätte ich es - ich weiß nicht, was ich gemacht hätte.“ So langsamen aber entstehe jetzt der Plan, wo es in Zukunft hingehen soll. „Zumindest gibt es schon eine Tendenz“, sagt Eich. Er könne sich vorstellen, statt einer finanziellen Entschädigung ein von der Stadt angebotenes Grundstück in Erftstadt-Borr zu nehmen.

„Da sind die Bedingungen aber noch nicht klar“, ergänzt Susanne Eich: „Die Grundstücke sind noch nicht parzelliert. Und es steht auch noch nicht endgültig fest, ab wann dort gebaut werden kann.“ Er hoffe, dass letztlich alles passt, sagt Holger Eich. Falls ja, würde er gerne ein Fertighaus bauen lassen.

Das dauere dann etwa zweieinhalb Jahre, bis das fertig ist. „Was für mich dann wichtig wäre, an diesem Haus: Dass man vielleicht wieder eine Vergangenheit aufbauen kann, die wir jetzt ja nicht mehr haben. Meine Mutter hatte da immer einen unglaublichen guten Satz für. Die sagte: Es muss nach euch riechen.“