Schon im April haben die Erftstädter Grünen Thommy Mewes als Bürgermeisterkandidaten nominiert. Im Interview spricht er über seine Ziele.
Grüner Bürgermeisterkandidat„Im Erftstädter Rathaus muss sich alles ändern“
Der 54-jährige Thommy Mewes ist erst seit Ende 2021 Mitglied der Partei. Er ist in Norwegen geboren, hat Informatik und Japanologie studiert und arbeitet als IT-Manager in einem international agierenden Unternehmen. Mewes ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ulla Jürgensonn sprach mit ihm.
Herr Mewes, schon bevor die CDU ihre Kandidatin nominiert hatte, war der Versuch, als Grüner Bürgermeister in Erftstadt zu werden, wagemutig. Ist Ihre Kandidatur ein Zeichen von unverbrüchlichem Optimismus oder von besonderer Leidensfähigkeit?
Weder noch. Optimismus würde ja heißen, ich würde Frau Weitzel und die CDU nicht ernstnehmen. Das tue ich sehr wohl. Leidensfähigkeit ja, das mag sein, aber das ist allgemein eine Fähigkeit, die man im Politikgeschäft mitbringen sollte und nicht speziell nur in dieser Rolle. Wobei ich glaube, dass in dieser Rolle die Leidensfähigkeit an sich gar nicht so groß sein muss. Klar, man muss ein bisschen was aushalten, sobald man in der Öffentlichkeit steht. Ich bin nicht unbedingt der typische Grüne. Ich habe grüne Werte in mir drin, was Klimaschutz und all diese Sachen angeht, aber wenn wir ehrlich sind: Die meisten davon sind für eine Leitungsfunktion in einer Verwaltung – und darum geht es im Endeffekt – erstmal nicht relevant. Der Bürgermeister ist gebunden an die Entscheidungen des Stadtrates und an die Gesetzeslage. Mein Wunschkonzert kann ich hier also nicht durchsetzen, ich kann nur versuchen, Arbeitsaufträge so durchzusetzen, wie es meinem Wertesystem entspricht.
Aber was ist Ihre Motivation, viel Arbeit zu investieren mit wenig Aussicht auf Erfolg?
Ich habe ein bisschen Spaß an der Rolle des nennen wir es mal Underdogs, der sich jetzt schon an die Öffentlichkeit gewagt hat. Wenn ich zurückschaue, muss ich sagen, das war die richtige Entscheidung. Denn seitdem rotieren hier eine ganze Menge Menschen. Ich habe einfach nur den Wunsch: Es muss sich in Erftstadt endlich mal etwas ändern. Inzwischen würde ich aber sagen, dass meine Aussicht auf Erfolg so gering gar nicht ist.
Das wäre jetzt die nächste Frage: Was reizt Sie an dem Job?
Der Titel Bürgermeister an sich ist für mich ehrlich gesagt ziemlich irrelevant. Ich denke nicht in Hierarchien. Mein aktueller Arbeitgeber – wir sind knapp 18 000 Leute –, hat keine Hierarchien. Klar, es gibt Personalvorgesetzte und Arbeitsrecht, aber das ist auch schon alles. Ich will mit Menschen zusammenarbeiten. Wenn ich sehe, wie die Verwaltung hier ist – einen derartig hierarchischen Aufbau habe ich selten gesehen. Ich hab viele Projekte geleitet, unter anderem bei der Bundeswehr, auch die ist naturgemäß hierarchisch strukturiert, aber hier ist es noch viel schlimmer. Es muss sich nicht nur etwas ändern, es muss sich alles ändern. Dass wir in ein paar Jahren nicht alles von links auf rechts drehen können ist jedem klar. Aber wir können versuchen, den Bürgerinnen und Bürgern das Leben besser zu gestalten als es aktuell ist in Erftstadt.
Aber da macht Ihnen ja die Finanzlage einen Strich durch die Rechnung.
Jein. Die öffentliche Diskussion über den Haushalt ist einerseits geprägt von vielen Eigeninteressen Einzelner. Das meine ich nicht negativ, jeder hat das im Blick, was für ihn persönlich wichtig ist. Und andererseits von unheimlich viel Halbwissen. Nicht jeder muss sich mit städtischen Finanzen auskennen. Aber ich kann nun mal Bilanzen lesen. Fakt ist: Wir haben zu wenig Geld und zu hohe Ausgaben. Aber es ist nicht so, als ob wir komplett pleite wären. Nothaushalt klingt dramatisch, ist aber letztlich nur ein regulatorisches Konzept, um die langfristige Handlungsfähigkeit sicherzustellen.
Wie wollen Sie die Finanzlage verbessern?
Wir haben ein Einnahmenproblem. Das resultiert daher, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nichts passiert ist. Die Gewerbesteuer ist einer der größten Posten, die man beeinflussen kann. Man kann natürlich alle anderen Steuern und Gebühren erhöhen, ich würde aber die Finger davonlassen.
Gewerbesteuer generieren heißt Unternehmen ansiedeln.
Das ist eine der Optionen. Die zweite ist, bestehende Unternehmen zu unterstützen. Mehr Umsatz heißt mehr Gewerbesteuer.
Aber wie kann die Stadt ein Unternehmen befähigen, mehr Umsatz zu machen?
Da geht es um Standortvorteile. Die wichtigste Frage ist der Steuersatz. Die Gewerbesteuer zu erhöhen ist das falsche Signal, damit schrecken wir Investoren ab. Aber auch das andere Extrem, die Gewerbesteuer stark zu senken, halte ich für fatal, damit kannibalisieren sich die Kommunen gegenseitig. Ich denke, man muss mit den Nachbargemeinden reden und sich auf einen Satz einigen, um diese Konkurrenzsituation zu entschärfen. Wir in Erftstadt haben erhebliche Standortvorteile. Und – auch wenn das viele nicht gern hören mögen: Wir haben viel Platz, also viel Raum für Entwicklung auch zwischen den Stadtteilen.
Aber die Idee, weitere Flächen zu versiegeln, muss doch Ihrem grünen Herzen wehtun.
Dafür kann man Ausgleichsflächen schaffen. Wenn ich 10 000 Quadratmeter mit Lagerhallen versiegele, kann ich die Dächer begrünen, auch die Fassaden. Wenn ich dann noch den Energiebedarf durch PV-Anlagen decke, ist das für mich am Ende eine positive Geschichte. Ich glaube sogar, dass es manchmal besser sein kann, Flächen zu versiegeln und sie zu entwickeln, als sie einfach so zu lassen, wie sie sind.
Nun ist gerade die weitgehende Abwesenheit von Industrie das, was Erftstadt in den vergangenen Jahren für viele als Wohnstadt attraktiv gemacht hat.
Ja, das war attraktiv. Aber heute stehen wir vor der Frage, ob wir uns weiter in Richtung Schlafstadt entwickeln wollen. Dann können wir jegliche weitere Ansiedlung stoppen, aber dann müssen wir auch alle freiwilligen Ausgaben kappen. Oder wollen wir versuchen, eine Balance zu finden zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und der Lebensqualität? Erftstadt ist viel zu schade, um nur ein Hotel zu sein.
Die Schullandschaft ist ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor. Würden Sie das Thema Gesamtschule nochmal angehen?
Angehen auf jeden Fall. Würde ich es umsetzen wollen? Ich weiß es nicht. Viel wesentlicher, als was ich möchte, ist, was die Elternschaft möchte. Ich glaube, dass das einer der großen Punkte ist in Erftstadt. In ganz vielen Themenbereichen sollte man mal nachhören, was die Bürgerinnen und Bürger eigentlich wollen. Beim Thema Gesamtschule sollte man genauer nachschauen, was die damaligen Umfragen und Entscheidungsformate ergeben haben. Und dann stellt sich die Frage: Wie bringt man einem Stadtrat nahe, Entscheidungen zu treffen, die pro Bürgerschaft sind und nicht dem entsprechen, was die Politiker wollen. Ich sehe zwischen Stadtrat und Bürgerschaft eine nicht unerhebliche Entkopplung.
Erftstadt ist auf dem Weg zur Hochschulstadt. Der Weg scheint aber doch gewundener zu sein, als man sich vorgestellt hat, jedenfalls was die Ansiedlung der TH angeht.
Das Thema steht bei uns Grünen ganz weit oben, für mich ist es ein Herzensthema. Hier kommen uns das Aus der Ampel und die bevorstehende Neuwahl des Bundestags zugute, weil etliche Ministerposten interimsweise neu besetzt wurden. Letztlich ist es eine Frage der Zuständigkeiten, wer finanziert welchen Teil, Land oder Bund. Der Hochschulstandort ist eine wunderbare Sache, er bringt Leben in die Stadt.
Erftstadt ist eine der wenigen Städte, die keine echte Fußgängerzone haben.
Ja, traurig. Ein Grund, warum das so ist, heißt FDP und Mobilitätskonzept. Es hat aber auch den historischen Grund, dass Erftstadt nicht das eine Stadtzentrum hat. Niemand traut sich, einen Schlussstrich zu ziehen und zu sagen, wir entwickeln jetzt den einen Mittelpunkt. Für mich bietet sich die Bonner Straße in Lechenich an. Natürlich müssen die Interessen des Einzelhandels und der Kunden bedacht werden. Aber es ist machbar, auch ohne dass der Einzelhandel stirbt.
Haben Sie sich Gedanken gemacht, mit wem Sie Mehrheiten schmieden könnten?
Wir haben in Erftstadt volatile Entscheidungsfindungsprozesse. Es gibt ein paar Verlässlichkeiten. Über Mobilität ist mit der FDP schwer zu diskutieren, beim Thema Jugendarbeit stoße ich bei der CDU auf wenig Resonanz. Über das Thema Industrie ist mit den Grünen, auch wenn es meine eigene Partei ist, etwas schwieriger zu reden, da muss man schon gut argumentieren. Und die Freien Wähler wissen selbst nicht genau, wofür sie stehen. Wichtig ist, dass wir bei der Kommunalwahl Verhältnisse hinbekommen, dass nicht nur CDU plus FDP plus Bürgermeisterin gleich Mehrheit sind. Und dass da vielleicht ein bisschen mehr Absprachen möglich sind zwischen den Fraktionen.