Blessem kämpft sich durchWas nach der Flut wieder aufgebaut ist und was noch ansteht
Erftstadt-Blessem – Die Zeichen der Hoffnung können so unterschiedlich sein. Die Osterkrone, aufgestellt vom Bürgerforum Blessem mitten im Dorf, ist eines. Mit frischem Grün umwunden und mit 300 bunten Plastikeiern geschmückt, macht sie Lust auf Frühling, Hoffnung auf eine neue, bessere Zeit. An der Hauswand dahinter ist ein Kreis aufgesprüht, durchkreuzt von zwei Linien. So haben bei der Hochwasserkatastrophe im Juli vergangenen Jahres die Rettungskräfte alle Häuser gekennzeichnet, die sie durchsucht hatten und in denen sich niemand mehr aufhielt. Und mit jedem dieser Zeichen wuchs die Hoffnung, dass die Flut keine Menschenleben gekostet hat.
Die Normalität kehrt zurück, die Wunden bleiben
Die Hoffnung hat sich erfüllt, in Blessem und ganz Erftstadt sind keine Toten zu beklagen. Doch die Tage, in denen erst Erft und Rotbach über die Ufer traten und die Orte überschwemmten und dann eine Flutwelle durch Blessem rollte, haben unauslöschliche Spuren hinterlassen – an vielen Häusern, vor allem aber in den Seelen der Menschen. Wer heute durch Blessem geht, sieht beides: die Normalität, die langsam zurückkehrt, ebenso wie die Wunden, die noch nicht verheilt sind.
Vieles ist wieder aufgebaut nach den Tagen des Schreckens. In den frühen Morgenstunden des 16. Juli hatte die Erft die Autobahn unterspült und war dann abgebogen in Richtung Kiesgrube. Von dort aus fraßen sich die Wassermassen auf Blessem zu, verschlangen vier Häuser, zwei halbe Reithallen, ein Stück der Radmacherstraße, fluteten unzählige Keller, Erdgeschosse. Die Menschen flohen, zum Teil unter dramatischen Umständen, retteten Hunde, Katzen, Pferde.
Blessem: „Das Dorf wird nicht mehr so, wie es mal war“
Der riesige Krater am Ortsrand wird langsam, aber stetig verfüllt. Wo Trümmer über der Abbruchkante hingen, ist schon wieder ebenes Land. Die Radmacherstraße ist neu aufgebaut. Doch die Lücke, die die versunkenen Häuser hinterlassen haben, wird nicht wieder geschlossen werden. Waltraud und Günter Grothe, 79 und 80 Jahre alt, wohnen zwei Häuser daneben. Kurz vor Weihnachten konnten sie zurück in ihr Haus, aus dem sie damals mit dem Hubschrauber gerettet worden waren. Heizöl aus dem Nachbarhaus hatte eine Mauer durchtränkt, so erzählt es Günter Grothe, sie musste erneuert werden.
Dem Öl, das aus aufgeschwommenen Tanks ausgelaufen war, werden noch einige Häuser zum Opfer fallen, vermutlich auch Grothes Nachbarhaus. Ein bisschen sei es in Blessem wie in einer Geisterstadt, sagt Waltraud Grothe: „Das Dorf wird nicht mehr so, wie es mal war.“
An der Dorfkneipe hängt noch die alte Speisekarte
Am Eschenweg hängt der Geruch nach Heizöl auch neun Monate nach der Katastrophe noch in der Luft. Ein Haus liegt in Trümmern, der Abriss wurde gestoppt, weil Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten worden waren. Andere müssen noch abgebrochen werden. Viele Häuser sind nach wie vor unbewohnt. An einigen sind die Rollläden heruntergelassen. An manchen sehen die Fenster aus, als würden sie jede Woche geputzt, an anderen klebt noch der Schlamm der Flut.
Und immer wieder der durchgestrichene Kreis an der Hauswand, auch am „Blessemer Eck“, über der längst nicht mehr gültigen Speisekarte. Dass dort noch einmal eine Dorfkneipe eröffnet wird, ist unwahrscheinlich. Immerhin stehen vor der „Kleinen Rast“ an der Erft wieder Tische und Stühle in der Sonne. Der Radweg ist erneuert und wird eifrig genutzt.
Die ersten Gärten an der Erft sind wieder hergerichtet
An der Anlage des VfB Blessem hängt zwar noch ein Schild, dass der Platz gesperrt sei, im Vereinsheim wird mächtig gearbeitet. Doch der Rasen präsentiert sich leuchtend grün, am Rad stehen nagelneue Fußballtore. In den Zäunen längs der Erft hängt immer noch, was die Flut dort angespült hat, während dahinter die ersten Gärten wieder bestellt werden.
Blessem steht wieder auf. Auch wenn Günter Grothe beklagt, dass alles nur langsam weitergehe. „Man muss sich gedanklich damit auseinandersetzen, dass es einfach anders ist als vorher“, sagt der 80-Jährige. Er habe kaum noch Nachbarn. Das bedrückt auch seine Frau. Sie sei ängstlich und lasse nachts das Licht draußen am Haus brennen, sagt sie: „Hier ist ja weit und breit niemand.“
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Das wird sich ändern, wenn die Häuser auf der gegenüberliegenden Straße wieder aufgebaut sind. Ein Stück mehr Sicherheit und neuen Schwung für den immer noch langen Wiederaufbau haben die Blessemer gerade erst bekommen: die Nachricht, dass die Kiesgrube ihren Betrieb nicht wieder aufnehmen wird. Auch das ein Zeichen der Hoffnung.