Erftstadt/Köln – Der Anrufer wirkte verärgert. An jenem Tag Anfang Mai schien der ehemalige leitende Beamte bei der Bezirksregierung (BZR) Arnsberg geradezu außer sich zu sein. 20 Jahre lang habe sich niemand für den Damm an der Kiesgrube Erftstadt-Blessem interessiert, polterte der Bergbauspezialist. Umso unverständlicher sei es, so Werner Hubinger (Name geändert), dass er nun nach der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 als Beschuldigter geführt werde. Er und drei Kollegen aus seiner Abteilung im Arnsberger Regierungspräsidium.
Dass seinerzeit Häuser in der unmittelbaren Nachbarschaft der Grube einstürzten, weil deren Damm brach, die Wassermassen über eine Abrisskante hinunter strömten und immense Schäden hinterließen - darauf ging der einstige Tagebaukontrolleur nicht ein. Dutzende Menschen mussten aus den Fluten gerettet werden, der ganze Ortsteil Blessem wurde zeitweilig geräumt. Nur durch ein Wunder kam kein Anwohner zu Tode.
Interessiert hörte der Leiter der Ermittlungsgruppe (EG) Arnapa im Kölner Polizeipräsidium dem Anrufer zu. Die Kommission erforscht im Auftrag der Staatsanwaltschaft die Ursachen für den Einbruch der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem während der Flutkatastrophe vom 14. auf den 15. Juli.
Beschuldigte sollen Kontrollen schlampig durchgeführt haben
Staatsanwaltschaft und Polizei Köln ermitteln in dem Fall gegen insgesamt zehn Beschuldigte. Den Nachforschungen zufolge besteht der Verdacht, dass weder der Grubenbetreiber Rheinische Baustoffwerke GmbH (RBS) noch die zuständige Bergaufsicht der BZR Arnsberg darauf geachtet haben, einen ausreichenden Hochwasserschutz am südlichen Rand der Kiesgrube vorzuhalten.
Die Strafverfolger gehen wohl davon aus, dass die Ortstermine und Begehungen eher schlampig durchgeführt wurden, die Kontrollen nur oberflächlich verliefen. Im trockenen Juristendeutsch laufen die Strafvorwürfe auf das fahrlässige Herbeiführen einer Überschwemmung durch Unterlassen hinaus, der Baugefährdung bis hin zum Verstoß gegen das Bundesberggesetz im Zusammenhang mit der Havarie der Kiesgrube. Für alle Tatverdächtigen gilt die Unschuldsvermutung.
Doch jener Anruf im Mai dieses Jahres wirft Fragen nach gewissenhaften Kontrollen der Kiesgrube auf. Folgt man den Aussagen im protokollierten Telefonat, hält der einstige BZR-Prüfer Hubinger die Verdachtslage der Strafverfolger für haltlos, genauso wie die Durchsuchungsaktion einige Monate zuvor.
Hubinger räumt ein, dass die Kontrollen sich auf Bodenmaterial konzentrierten
Einmal in Fahrt redete sich Hubinger im Gespräch mit dem Ermittlungsleiter dann aber um Kopf und Kragen. Tenor: Seine Abteilung musste eine große Zahl von Tagebau-Gruben beaufsichtigen. Dieser Umstand ermöglichte keine Überwachung in der wünschenswerten Kontrolldichte. Dann räumte er ein, dass sich die Bergaufsicht in Arnsberg in den vergangenen Jahren eher auf die Kontrolle von neuem Bodenmaterial in den Tagebau-Anlagen konzentriert habe. Vor dem Hintergrund, so Hubinger weiter, habe es weitaus wichtigere Gruben gegeben, als Erftstadt-Blessem.
Heißt im Umkehrschluss: Hochwasserschutzkontrollen spielten keine große Rolle. Warum dann aber auch seine Behörde zeitweilig beim Betreiber einen ausreichenden Wall gegen etwaige Flutströme anmahnte, ließ der Bergbau-Experte offen.
Und führte aus, der Damm habe einzig dem Schutz des Grundwassers gedient. In keiner Weise sollte die Barriere das Hochwasser außerhalb des Abbruchgeländes abhalten. So steht es in einem Gesprächs-Vermerk, den der Ermittlungsleiter später anlegte.
Beschuldigter rudert zurück
Auch widersprach Hubinger dem Hinweis, dass der Wall viel zu niedrig angelegt und die Böschungen viel zu steil ausgefallen seien. Seiner Erfahrung nach könne man sich leicht täuschen; gestand aber ein, dass seine Behörde über keine Fachexpertise in Bezug auf Dämme verfüge und deshalb andere Experten hinzugezogen habe. Warum seine Abteilung dann aber den Kiesgruben-Betreiber stets eine Freigabe für neue Betriebspläne erteilte, blieb ebenfalls ungeklärt.
Das könnte Sie auch interessieren:
Die Nachforschungen in der Kiesgruben-Affäre laufen unterdessen weiter. Und es sieht so aus, als würden die Untersuchungen noch weitere Ungereimtheiten zu Tage fördern. Der Ermittlungsleiter machte den Anrufer mehrfach darauf aufmerksam, dass er als Beschuldigter von seinem Schweigerecht Gebrauch machen dürfe. Der ließ sich aber nicht bremsen. Später ruderte er dann doch zurück. Hubinger meldete sich nochmals bei dem Kriminalbeamten: Nach Rücksprache mit seinem Anwalt werde er doch keine Aussage machen.