Selbsthilfegruppe gegründetWie ein Frechener nach 24 Jahren vom Alkohol loskam

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Zu sehen ist ein Mann mit Kapuze von Hinten.

Stefan D. aus Frechen war jahrelang vom Alkohl abhängig. Jetzt ist er trocken und hilft anderen.

Seit mehr als zehn Jahren ist der Frechener nun „trocken“, heute hilft er anderen Suchtkranken im Rhein-Erft-Kreis und in Frechen. 

Ganz normal um 8 Uhr morgens kam Stefan D. aus Frechen (Name geändert) früher pünktlich auf die Baustellen. Doch der Schreiner, der sich als Selbstständiger auf den Fenster- und Treppenbau spezialisiert hatte, begann nicht gleich mit der Arbeit. Erst einmal durchsuchte er hastig seinen Werkzeugkasten, denn dort hatte er etwas versteckt, das damals seinen Tagesablauf bestimmte – Alkohol.

„Ich habe nicht gearbeitet, sondern erstmal den Jägermeister rausgeholt, dann noch ein Bier drauf“, schildert der 51-Jährige, dessen Leben sich 24 Jahre lang fast nur um seine Sucht drehte. Nach einem harten und langen Weg mit mehreren Entziehungskuren und Rückfällen, gepflastert von Streitigkeiten mit seiner Frau, Scham gegenüber seinen beiden Kindern sowie Problemen und Ausfällen im Alltag, ist er nun seit mehr als zehn Jahren „trocken“.

Alkoholkranker aus Frechen: Die Sucht bestimmte jeden Tag

„Im August 2013 habe ich im Urlaub mein letztes Bier getrunken, wenn ich heute Alkohol schmecke, finde ich das abstoßend“ , erzählt er mit ruhiger Stimme. Nach einer Ausbildung als Kunsttherapeut und Heilpraktiker für Psychotherapie ist er heute in einer Einrichtung für die Wiedereingliederung von Suchtkranken im Rhein-Erft-Kreis und als Ehrenamtler in der Gama-Selbsthilfegruppe in Frechen tätig. Seine eigene Erkrankung thematisiert er im beruflichen Umfeld nicht, um seinen Arbeitsplatz zu schützen. „Nur die Patienten wundern sich manchmal, wie gut ich mich in sie hineinversetzen kann“, schildert Stefan D.

Das erste Bier im Alter von 14 Jahren, viele Partys und Karnevalsfeiern, die Zeit bei der Bundeswehr – irgendwann sei es normal gewesen, viel Alkohol zu trinken. „Die Sucht diktierte mein Leben, Drogen, Alkohol – bis auf Heroin habe ich alles konsumiert, die Sucht bestimmte den Tag“, berichtet der 51-Jährige. Gerade Alkohol sei ein „richtig krasses Suchtmittel“: „Es wurde immer mehr, immer intensiver, immer stärker und über immer längere Zeiträume.“

Das ständige Negieren oder Relativieren ist einfach Selbstbetrug.
Stefan D. aus Frechen

Oft sei er von Freunden oder der Familie auf seinen Konsum angesprochen worden, dies habe aber erstmal nichts verändern können. Auch die Geburten seiner beiden Kinder 2008 und 2010 brachten zunächst keine Wende. „Ich war mit Restalkohol im Blut am Kindergarten oder bin eingeschlafen, wenn ich für sie verantwortlich war und habe sie nicht abgeholt.“

Beim Einkaufen sei er betrunken oder nachts um eins noch zur Tankstelle unterwegs gewesen, um Nachschub zu holen. „Es war ein ständiges Versteckspiel. Der Druck steigt, man ahnt die Sucht, will es aber nicht wahrhaben, auch wenn es von außen bestätigt wird“, schildert der Frechener. „Das ständige Negieren oder Relativieren ist einfach Selbstbetrug.“

Nach Entzug: Frechener organisiert Therapie und Selbsthilfegruppe

So habe er sich auch 2012 nach einem begleiteten Entzug in einer Privatklinik gesund gefühlt – und doch nur vier Stunden nach seiner Entlassung wieder getrunken. Auch das von manchen Seiten empfohlene „kontrollierte Trinken“ nach einem Entzug sei Unsinn und eine mehr als schlechte Beratung.

Den Durchbruch brachte für ihn dann 2013 ein Entzug in der Uniklinik Essen und einer Klinik in Ratingen. „Es war schwierig, in acht Wochen sind nicht 24 Jahre Sucht einfach weg. Ohne meine Kinder hätte ich das alles nicht geschafft“, bekennt Stefan D. Schon vorher habe er sich eine anschließende Therapie und eine Selbsthilfegruppe organisiert, die er einmal in der Woche besucht. Heute arbeitet er dort ehrenamtlich als Betreuer, ist für die PR-Arbeit und das 24-Stunden-Notfall-Telefon verantwortlich.

Man muss sich Hilfe holen – das ist nichts, wofür man sich schämen muss.
Stefan D. aus Frechen

„Ich kenne nur wenige, die es so geschafft haben“, sagt er. „Ich habe jetzt eine andere Haltung, eine andere Gefühlsebene entwickelt.“ Die neue Energie steckt der Familienvater in Capoeira, einen brasilianischen Kampftanz, in seine Kreativität und ins Singen. Das Wichtigste für ihn ist: „Ich habe meine Freiheit wieder, ich bin unabhängig, im wahrsten Sinne des Wortes.“

Für Menschen, die darum kämpfen, von einer Sucht loszukommen, hat Stefan D. mehrere Ratschläge, die seiner schmerzvollen Erfahrung entstammen: „Man muss in Kontakt gehen, man muss sich Hilfe holen – das ist nichts, wofür man sich schämen muss. Es gibt kein Patentrezept, man muss sich Zeit nehmen, um herauszufinden, was individuell das Richtige ist.“ Wichtig sei vor allem, zu sich selbst zurückzufinden. Und er macht allen Hoffnung: „Irgendwo im Hirn versteckt sich ja immer eine Zeit ohne Sucht. Die gilt es wiederzufinden.“


Hilfe bei Alkohol- und Medikamenten-Abhängigkeit

Vor 25 Jahren gründete sich in Frechen die Gama-Selbsthilfegruppe (Gegen Alkohol- und Medikamenten-Abhängigkeit), die sich selbst als die „andere“ Selbsthilfegruppe bezeichnet. Sie richtet sich an Alkoholiker, Drogen-, Medikamenten- und Coabhängige sowie ihre Angehörigen. Das gemeinsame Ziel der Gruppe mit zurzeit rund 30 Mitgliedern ist ein bewusstes, zufriedenes Leben ohne Drogen.

Unter dem Motto „Reden hilft“ können dort Betreuerinnen und Betreuer kontaktiert werden, mit denen offen und persönlich über die eigenen Probleme gesprochen werden kann. „Machen Sie den Schritt aus der Anonymität in den geschützten Raum der vertrauten Gruppe“, ermutigt die Gama Betroffene. „Wir sind Menschen, die aufgrund persönlicher Erfahrungen versuchen, Abhängigen, deren Partnern und Angehörigen durch Gespräche Unterstützung zu geben.“

In Gruppen- und Einzelgesprächen wird über medizinische und psychologische Hilfsangebote informiert, zwischenmenschliche Kontakte ermöglicht und es werden Erfahrungen ausgetauscht. Zudem will die Gruppe die Gestaltung des Alltags unterstützen. Die wöchentlichen Gruppentreffen finden dienstags, 18 bis 20 Uhr, im Pfarrsaal an St. Audomar, Othmarstraße 3, in Frechen statt. Ebenfalls dienstags werden von 17.45 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung eine Beratung sowie Einzelgespräche angeboten. Zudem gibt es ein Info- und ein 24-Stunden-Notfall-Telefon unter 01590/3165592, das streng vertraulich ist. „Wir sind immer für alle offen, auch für Rückfälle“, versichert Stefan D.

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