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Unfall mit zwei TotenErste Erkenntnisse zur Ursache des Zugunglücks in Hürth

Lesezeit 5 Minuten
04.05.2023, Nordrhein-Westfalen, Hürth: Ein Notfallmanager steigt in eine Lokomotive, die den Unfallzug abschleppen soll. Südlich von Köln kommt es zu einem schlimmen Unfall. Ein Zug fährt in eine Gruppe von Arbeitern. Vieles ist zunächst unklar, fest steht aber: Es gibt Tote. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Notfallmanager steigt am Donnerstagabend in eine Lokomotive, die den Unfallzug abschleppen soll.

Zwei Männer im Alter von 27 und 31 Jahren sterben, einen Tag später bleiben viele Fragen unbeantwortet.

Die beiden Bauarbeiter (27 und 31), die am Donnerstag bei einem Zugunglück in Hürth-Kalscheuren von einem Intercity erfasst und getötet wurden, sollen nach ersten Erkenntnissen der Polizei davon ausgegangen sein, dass die Bahnstrecke für die Arbeiten gesperrt war. Das erfuhr der „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Freitag aus Sicherheitskreisen. Die Deutsche Bahn konnte am Freitag noch keine Angaben über den Unfallhergang machen.

„Wir sind tief betroffen von dem Unfall in Hürth. Unsere Gedanken sind bei den Verstorbenen, Verletzten und ihren Angehörigen. Die Ermittlungen zur Unfallursache hat als zuständige Behörde die Landespolizei übernommen. Die DB unterstützt die Ermittlungsbehörden nach Kräften bei der Aufklärung des Unfalls. Angesichts der laufenden Untersuchungen können wir derzeit jedoch noch keine weiteren Aussagen zu Hergang oder Ursache treffen. Hierfür bitten wir um Verständnis“, heißt es in einer Stellungnahme eines Bahnsprechers in Düsseldorf.

Kabelbauarbeiten für neues Stellwerk

An der Tagesbaustelle waren Kabelbauarbeiten für das neue digitale Stellwerk Linker Rhein vorgesehen. Zu den Sicherheitsvorkehrungen heißt es in der Stellungnahme weiter, dass Mitarbeitende den Gleisbereich grundsätzlich nur dann betreten dürfen, „wenn die vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden.“

Für jede Baumaßnahme werde ein individueller, an die örtlichen Gegebenheiten angepasster Sicherungsplan erstellt, das gelte auch für Tagesbaustellen. „Sicherungskräfte und/oder hochmoderne Technik schützen die Baustellenteams am Gleis vor Gefahren, die von vorbeifahrenden Zügen ausgehen.“

04.05.2023, Nordrhein-Westfalen, Hürth: Ein Zug steht auf der Bahnstrecke nahe des Unfallortes. Der Zug ist in eine Gruppe von Arbeitern gefahren. Bei dem Unfall in Hürth bei Köln sind am Donnerstag nach Angaben der Bundespolizei zwei Menschen ums Leben gekommen. Nach ersten Ermittlungen war ein Zug in eine Gruppe von Arbeitern gefahren. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Dieser Zug fuhr in eine Gruppe von Arbeitern.

Das könnten technische Sicherungsmaßnahmen wie automatische Warnsysteme sein, bei denen die Informationen entweder per Funk oder Kabel übertragen werden. Auch sogenannte feste Absperrungen oder Sicherungsposten sind möglich, die bei Gefahren die Mitarbeitenden direkt warnen. Dabei werden zum Teil Signalhörner eingesetzt. „Alle Sicherungspersonale werden regelmäßig geschult. Vor Ort findet jeweils eine Einweisung in den Sicherungsplan statt“, so der Sprecher.

Die Polizei Rhein-Erft gab am Freitagnachmittag bekannt, dass sie in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Köln die Ermittlungen aufgenommen hätten. „Die Staatsanwaltschaft hat ein sogenanntes Todesermittlungsverfahren aufgenommen. Wir prüfen, ob es mit Blick auf den Tod der beiden Männer Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Fremdverschulden gibt“, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Die Staatsanwaltschaft Köln habe außerdem rechtsmedizinische Untersuchungen angeordnet.

Regeln über Arbeiten im Gleis sind klar vorgeschrieben

Vor allem sei von Bedeutung, die Frage zu klären, „was von den Beteiligten zu dem Arbeitseinsatz vor Ort konkret besprochen worden ist, welche Sicherungsvorschriften für solche Arbeitseinsätze bestehen und wer gegebenenfalls dagegen verstoßen hat“, so Bremer weiter. Details könnten derzeit mit Blick auf das laufende Ermittlungsverfahren nicht mitgeteilt werden. Weitere Angaben zur Art der Arbeiten an den Gleisen oder zur Absicherung der Baustelle machte die Polizei Rhein-Erft am Freitag zunächst nicht.

Die grundsätzlichen Regeln über das „Arbeiten im Bereich von Gleisen“ sind in der Vorschrift 78 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung festgelegt. Die Details werden von der Unfallversicherung Bund und Bahn in einem eigenen Regelwerk erarbeitet. Die konkrete Umsetzung liege direkt bei den versicherten Unternehmen und sei immer für jede einzelne Baustelle zu betrachten, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit.

05.05.2023, Nordrhein-Westfalen, Hürth: Ein Zug fährt an der Unfallstelle vorbei. Nach dem Zugunglück mit zwei Toten südlich von Köln gehen heute die Ermittlungen zu Ursache und Hergang weiter. Der Intercity (IC) hatte gestern bei Hürth zwei Arbeiter erfasst. Die beiden starben noch vor Ort. Foto: Federico Gambarini/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Zug fährt an der Unfallstelle vorbei.

Die DB Netz AG als Infrastrukturbetreiber hat dazu noch eine eigene Rahmenrichtlinie in Kraft gesetzt, die zuletzt im Januar 2023 überarbeitet wurde. Danach trägt der Unternehmer „die volle Verantwortung für die Sicherheit der im Gleisbereich tätigen Menschen“. Bevor auf einer Baustelle gearbeitet werden darf, „muss er einen sogenannten Sicherungsplan erstellen“, heißt es in der Richtlinie.

Auf dieser Grundlage schlägt die DB Netz AG eine Sicherungsmaßnahme vor. Die muss von der Baufirma innerhalb von 24 Stunden geprüft werden. Reagiert sie nicht, wird das von der Bahn als Einverständnis gewertet.

Sicherheit: „Maßstab ist das Können der besten Ingenieure und Praktiker“

Bei der Einhaltung des Regelwerks sind die Standards sehr hoch: Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1978 gilt: „Maßstab ist das Können der besten Ingenieure und Praktiker, nicht der Branchenstandard.“

Jedes auf Bahngleisen tätige Unternehmen habe „eigenverantwortlich für die Sicherheit seiner Beschäftigten zu sorgen“, heißt es in der Rahmenrichtlinie. Aber auch die Bahn trage eine „zusätzliche Sicherheitsverantwortung“.

Bahnunglück in Hürth: Angehörigen der Unfallopfer nahe des Unfallortes werden von Notfallseelsorgern betreut, rund 50 Menschen wurden unterstützt.

Bahnunglück in Hürth: Angehörigen der Unfallopfer nahe des Unfallortes werden von Notfallseelsorgern betreut, rund 50 Menschen wurden unterstützt.

Wie die Polizei mitteilt, sichteten Ermittlerinnen und Ermittler des zuständigen Kriminalkommissariats 11 bis in den späten Donnerstagabend die vorliegenden Beweismittel und werteten die schon vorliegenden Zeugenaussagen aus. „Seit den frühen Morgenstunden am Freitag arbeiten die Mitglieder der eigens eingesetzten Ermittlungsgruppe weiter an der lückenlosen Klärung des Unfallgeschehens“, heißt es von der Polizei Rhein-Erft.

Wie ein Sprecher der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) erklärte, werden Baustellen stets bei DB Netz angemeldet und die Lokführer über Bauarbeiten im Gleis informiert. Für sie wird dann wird zum Beispiel langsamere Fahrt oder „Fahren auf Sicht“ angeordnet. Die Information bekämen die Lokführer etwa bei der Abfahrt am Bahnhof oder durch ein „haltzeigendes Signal“.

Fünf Arbeiter erlitten einen Schock

Zu dem Bautrupp gehörten noch fünf weitere Arbeiter, die den Tod ihrer Kollegen mitansehen mussten und einen Schock erlitten. Vom Zug wurden sie nicht getroffen, sie blieben körperlich unversehrt.

Die Bahn hat für Fälle, in denen ein Zug Menschen überfährt, ein Betreuungsprogramm zur Vermeidung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS). Der Lokführer des Unglücks-IC musste sich laut einem Bahnsprecher in ärztliche Behandlung begeben. Er werde von seinen Führungskräften und gegebenenfalls Psychologen entsprechend betreut, hieß es.

Die Bahn behandelt das Thema eigenen Angaben zufolge präventiv bereits in der Ausbildung. Sollte es zu einem Unglück kommen, werden betroffene Mitarbeiter unmittelbar vor Ort betreut, Lokführer werden bei Personenunfällen von Kollegen abgelöst und nach Hause begleitet. Sie bleiben außer Dienst, bis ihre Belastungsreaktionen abgeklungen sind. Wird ein Lokführer aufgrund der Folgen einer Traumatisierung und trotz Therapie dauerhaft fahruntauglich geschrieben, kann er laut Bahn innerhalb des Unternehmens in eine andere Tätigkeit wechseln. Davon seien pro Jahr rund 20 Lokführer betroffen. (mit dpa)