Interview zur Stilllegung der RB 38„An den Zustand muss man sich gewöhnen“
Rhein-Erft-Kreis – Der Bergheimer Publizist Winfried Kösters ist Experte in Demografiefragen und hat die Erarbeitung eines Tarifvertrags für die Bahn moderiert. Dennis Vlaminck sprach mit ihm über den Krankenstand bei den Lokführern.
Die Deutsche Bahn legt wegen des hohen Krankenstands bei den Lokführern die Linie 38 lahm. Wie kann es dazu kommen?
Kösters: Wir hatten in Deutschland noch nie ein so hohes Durchschnittsalter bei den Beschäftigten. Es liegt bei 45 Jahren. Bei den Lokführern liegt das Durchschnittsalter erfahrungsgemäß noch etwa drei Jahre höher. Und es gibt das Phänomen, dass ältere Mitarbeitende zwar nicht mehr so oft krank werden, aber wenn, dann deutlich länger, etwa wegen einer Krebserkrankung, ausfallen. Und je älter die Belegschaft wird, desto höher wird auch das Risiko der Erkrankung und damit der Krankenstand. Es bleibt zudem ein Problem der Nachwuchsgewinnung insgesamt, denn es verlassen dauerhaft altersbedingt mehr Menschen den Arbeitsmarkt als neu hineinwachsen. Wäre die Bahn zum Beispiel erfolgreich, was würde dann in der Pflege, bei der Polizei, den Bäckern oder bei anderen Berufen passieren?
Ein Zustand also, an den man sich gewöhnen muss?
Ein Zustand, an den man sich gewöhnen muss, der aber auch nicht vom Himmel gefallen ist. Wir wissen, dass 1964 genau 1 357 304 Kinder zur Welt gekommen sind, die 2031 mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen. Wir wissen, dass 2031 der Geburtsjahrgang 2013 mit 18 Jahren in den Arbeitsmarkt eintritt. Das waren 682 069 Geburten. Nur noch jeder zweite Arbeitsplatz wird wieder besetzt werden können. Die andere Hälfte ist gar nicht mehr da. Der Bahn AG stellt sich die Frage: Wenn ich keine Lokführer mehr gewinnen kann, welche Lösungen gibt es stattdessen? Ich gehe davon aus, dass es Züge ohne Fahrer geben wird, zumindest im Nahverkehr, oder kombinierte Angebote von Bus und Bahn, mehr Carsharing, andere Zubringer wie Flixbus oder auch reduzierte Angebote. Dann fährt die Bahn einfach nicht mehr so oft.
Der Beruf des Lokführers war einmal ein Jungentraum. Muss die Bahn da wieder hin? Und wenn ja, wie?
Das hatte etwas mit Technikbegeisterung zu tun. Das hat sich heute hin zur Begeisterung für Kommunikationstechnik entwickelt. Der Berufswunsch Lokführer fällt bei jungen Leuten kaum noch. Es ist aber kein Problem, junge Menschen, insbesondere Jungen, für IT-Technik zu begeistern. Die Bahn müsste also überlegen, welche Technik sie anbieten kann, um Jungen und Mädchen anzuziehen. Zurzeit werden vor allem Menschen aus anderen Berufen umgeschult.
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Als Sie vor zehn Jahren die Verhandlungen der Bahn AG mit der Eisenbahnergewerkschaft EVG über einen „Demografietarifvertrag“ begleitet haben, hatten Sie da den Eindruck, die Bahn hat die Personalproblematik ernst genommen?
Ja. Das Ziel der Bahn AG war damals, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, der die Menschen an sich bindet. Die Bahn AG hat ganz klar erklärt, dass sie 2030 spätestens zu den Top Ten der Arbeitgeber in Deutschland gehören will. Der Tarifvertrag wurde auch verabschiedet. So ein Thema zu befördern, hängt allerdings auch immer von handelnden Menschen ab.