AboAbonnieren

Kerpenerin hilft Schülern bei Integration„Wurde vor dem berüchtigten Viertel gewarnt“

Lesezeit 4 Minuten

Im Klassenraum des Internationalen Zentrums hilft Claudine Stutzer Kindern bei den Hausaufgaben.

Kerpen – Der wache Blick und die feste Stimme fallen bei der Begegnung mit Claudine Stutzer auf. Beides setzt die eher hagere 76-jährige Frau mit schlohweißem Haar gern ein. Von ihrer Stimme ist man schon nach kurzem Telefonat beeindruckt. Verbindlich und aufgeräumt, es ist eine Stimme, der man auch Sorgen anvertrauen möchte.

Claudine Stutzer engagiert sich seit langem ehrenamtlich in der Hausaufgabenhilfe des Internationalen Zentrums. Davor war sie jahrzehntelang in der Telefonzentrale eines weltweit vernetzten Unternehmens tätig. „Damals hieß das Unternehmen noch Rheinbraun.“ Manchmal hatte sie mit Chinesen zu tun, „die kaum einen Brocken Englisch sprachen“, und hat es hinbekommen.

Claudine Stutzer wird vor „berüchtigtem Viertel“ in Kerpen gewarnt

Und auch mit den Herren des türkischen Cafés schräg gegenüber, die ihre Stühle ins Freie stellten, kommt sie ins Gespräch, wenn sie vor der Tür der Hausaufgabenhilfe eine Zigarette rauchte. Sie sei sich bewusst, dass die Anwesenheit von Frauen im Café nicht erwünscht sei, sagt Claudine Stutzer, und sie spreche die Männer trotzdem an, kassiere schon mal kritische Blicke, als sei sie „ein Trampel“. Aber es lohne sich, bei den Vätern für die Hausaufgabenhilfe zu werben. Letztlich schickten diese ihre Söhne oder Töchter zu ihr mit der Hoffnung auf bessere Noten. „Sie haben Respekt vor mir. Und die Kinder lernen was“, sagt sie.

Unterrichtsmaterial hält Claudine Stutzer für alle Fälle bereit, darunter auch reich bebilderte Lehrbücher für Grundschüler.

Als sie vor gut zwei Jahrzehnten mit der Arbeit im Stadtteil angefangen hat, habe man sie vor dem „berüchtigten Viertel“ gewarnt: „Da sind nur Ausländer. Pass auf dein Portemonnaie auf.“ „Ich lasse mein Portemonnaie immer offen liegen, und es ist in all den Jahren noch nicht weggekommen“, erzählt sie mit einem Lachen.

Kinder können nicht einmal Sprache ihres Herkunftslandes schreiben

Respekt genieße sie auch bei ihren Schülern. Im Klassenraum der Hausaufgabenhilfe des Internationalen Zentrums sei alles ruhig, spätestens, wenn sie „einen Brüll“ loslasse, schildert sie. Wenn das passiere, müsse es allerdings schon sehr drunter und drüber gegangen sein, macht sie deutlich. Denn sie pflege einen liebevollen Umgang mit den Kindern. „Nicht selten fließen Tränen, angesichts der Überforderung, sich in einer fremden Sprache ausdrücken zu müssen“, sagt Stutzer.

Viele Kinder, die zu ihr kämen, aber auch ihre Eltern, seien kaum in der Lage, in der Sprache ihres Herkunftslandes zu schreiben, geschweige denn, auf Deutsch Hausaufgaben zu machen. Das werde zuweilen auch von ihren fleißigen Helfer nicht richtig eingeschätzt. Die Helfer, das sind Schüler des Gymnasiums und der Realschule, die sich in der Hausaufgabenhilfe in Mathematik oder Fremdsprachen engagieren. Diese Schüler seien mitunter „sehr streng“. Sie selbst nehme die Kinder auch schon mal in den Arm und spende Trost. Das helfe.

Seit Corona ist es bei der Kerpener Hausaufgabenhilfe leer

Seit Corona gehe das aber nicht mehr. Zurzeit sei die Beteiligung ohnehin schlecht, die Eltern fürchteten, die Kinder könnten sich anstecken. Dabei finde der Unterricht sowieso in kleinem Rahmen mit maximal fünf Schülern hinter Glasscheiben und mit Masken bei offener Tür statt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Sie selbst lebt am Rande des Europaviertels seit Ende der 80er Jahre zusammen mit ihrem Mann Christel Johannes Thoma. Sie ist Mutter zweier mittlerweile erwachsenen Töchter: Nadine und Britta. Geboren wurde sie im ostpreußischen Insterburg während des Zweiten Weltkrieges. Mit den Eltern flüchtete sie damals in den Westen.

Wenn auch die Schulen wieder öffnen, will sie die Hausaufgabenhilfe im Jugendtreff des Internationalen Zentrums am Nordring 52 wieder anbieten. Sie findet immer dienstags, mittwochs und donnerstags von 14 Uhr bis 17 Uhr statt.

Infobox: Das internationale Zentrum in Kerpen

Am Nordring in Kerpen unterhält die Arbeiterwohlfahrt Rhein-Erft das Internationale Zentrum. In dem Viertel, in dem viele Menschen ausländischer Herkunft wohnen, leistet die Einrichtung neben der Integrations- und Migrationsberatung auch Stadtteilarbeit.

In enger Kooperation mit dem Jugendamt der Stadt Kerpen gibt es regelmäßige Angebote für Kinder und Jugendliche, darunter Hausaufgabenhilfe, Bewerbungstraining, Musik- und Tanzprojekte. Für Kinder und Jugendliche ist es dienstags, mittwochs und donnerstags von 14 bis 20 Uhr geöffnet.

In der Migrations- und Integrationsberatung hilft das Internationale Zentrum Flüchtlinge etwa bei Behördengängen und bietet Integrationskurse an. Es leistet auch eine rechtliche Beratung.

Mit dem Altenheim in der Nachbarschaft gibt es eine gemeinsame Seniorenarbeit, es gibt eine interkulturelle Frauengruppen und eine Koch- und Handarbeitsgruppe. (wm)