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Grüne KandidatinAnnika Effertz will die Kerpener Verwaltung umkrempeln

Lesezeit 6 Minuten
Das Foto zeigt Annika Effertz, die an einem Tisch sitzt.

Annika Effertz will die Stadtverwaltung digitalisieren, effizienter machen und die Atmosphäre bessern.

Sie will keine grüne Bürgermeisterin werden, sondern eine Kerpener Bürgermeisterin, betont Effertz. Vorgenommen hat sie sich so einiges.

Die 49-jährige Annika Effertz von den Grünen will Bürgermeisterin in Kerpen werden. Damit ist sie im Rennen um den Posten eher der David als der Goliath. Doch die Kerpener Grünen engagieren sich in der Kolpingstadt öffentlichkeitswirksam. Was sich Effertz von ihrer Kandidatur erhofft, wie sie ihre Chancen einschätzt und was sie verändern will, verrät sie im Interview mit Elena Pintus.

Frau Effertz, wenn Sie Bürgermeisterin von Kerpen werden würden, was würden Sie ändern?

Ich bin Rechtsanwältin im Arbeitsrecht, ich habe mein Leben lang im Personalwesen gearbeitet oder in der arbeitsrechtlichen Beratung mittelständiger Unternehmen. Neben den vielen anderen Baustellen sehe ich daher vor allem die Funktionalität und Effizienz der Verwaltung als Kernproblem. Wir haben da hervorragende Leute sitzen, ein unglaubliches menschliches Potenzial. Diese Menschen sind im Moment hauptsächlich mit der Mangel- und Selbstverwaltung beschäftigt.

Effertz: Unzufriedenheit unter Stadtmitarbeitern ist hoch

Wenn ich mit den Leuten spreche, merke ich: Die Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern der Verwaltung ist hoch, der Krankenstand ist hoch. Daran kann man im Personalwesen immer merken, dass etwas nicht stimmt. Ich glaube, dass eine Vision fehlt, eine Führung und es auch an der Digitalisierung mangelt.

Ich glaube, dass wir die Verwaltung so aufstellen müssen, dass die Bürger merken: Die Verwaltung ist für uns da. Und die Mitarbeiter sollten merken: Hier bewegt sich etwas, unsere Arbeit kommt an und wird wertgeschätzt. Da muss man mit klassischen Personaler-Methoden die richtigen Fragen stellen, woran es liegt.

Was wären gute Maßnahmen, um die Arbeitsatmosphäre auf der Verwaltung zu bessern?

Ich habe nicht vollen Einblick in alle Daten und Fakten. Man muss fragen, warum sind so viele Leute krank, warum so viele Abteilungen ineffizient? Man muss mit den Leuten sprechen. Und man muss auch eine Atmosphäre schaffen, in der sich Leute trauen, ihre Meinung zu äußern und neue Ideen einzubringen. Die Stadtverwaltung hat den schlechten Ruf, keine gute Arbeitsatmosphäre zu haben und deshalb bekommen wir auch nicht immer die Leute, die wir haben wollen.

Kandidatin will keinen Stillstand mehr in der Kolpingstadt

Die Digitalisierung ist auch ein ganz wichtiger Punkt, also dass die Leute durch die Digitalisierung entlastet werden. Ein weiterer Punkt wäre, dass man das Rathaus wieder offener gestaltet. Momentan ist das ja zugangsbeschränkt. Natürlich ist das auch einem Sicherheitsaspekt geschuldet. Ich glaube aber, den kann man auch anders bereitstellen. Man kann die Mitarbeiter auch vor Übergriffen schützen, ohne das ganze Rathaus abzusperren.

Warum braucht es einen Wechsel im Bürgermeister-Amt?

Ich empfinde Kerpen in einem Stillstand. Und wenn sich etwas ändert, dann eher zum Schlechten, sei es nun Nahversorgung oder die Situation in den Innenstädten. Das ist nicht zufriedenstellend. Wir haben zu wenig Kitas. Unsere Schulen sind in einem furchtbaren Zustand. Wir haben nichts, womit wir groß Werbung machen können, weil nichts passiert ist.

Was bekommen die Kerpenerinnen und Kerpener mit Ihnen? Wofür stehen Sie?

Ich stehe natürlich für die Lust an der Politik, die Freude für die Veränderung und dem Engagement für das Miteinander. Konkret neben der Erhöhung der Effizienz der Verwaltung, ist für mich sehr wichtig die Stadtplanung, Stichwort Verkehrskonzept und ÖPNV-Konzept. Wir brauchen ein Konzept für Baulücken.

Auch klassisch grüne Themen im Portfolio

Natürlich ist auch ein ganz großer Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung. Im Moment passiert da in Kerpen ganz wenig und das wird uns auf die Füße fallen.

Und last but not least unsere Schulen. Wir müssen über das Europagymnasium sprechen. Die Kosten sind so hoch, dass wir uns das schlicht nicht leisten können. Für die anderen Schulformen fehlt dringend benötigtest Geld. Das klingt nach Klientelpolitik und hat mit Bildungspolitik nichts zu tun.

Mit Aussicht auf die eher prekäre Haushaltslage der kommenden Jahre sehen Sie dann nicht auch viele Herausforderungen auf sich zukommen? Insbesondere bei der Realisierung von Vorhaben?

Das ist ganz klar eine Herausforderung. Wir befinden uns im Strukturwandel und haben in den vergangenen Jahren auch Einnahmen eingebüßt. Die Stadt kann nur an wenigen finanziellen Stellschrauben drehen. Das sind in allererster Linie immer die Gewerbesteuer und die Grundsteuer. An die Grundsteuer würde ich ungern weiter drangehen, das würde wieder die Bürgerinnen und Bürger treffen.

Kerpen: Voraussetzungen für Gewerbe verbessern

Die Gewerbesteuereinnahmen hingegen kann man erhöhen, indem man es Unternehmen und Gewerbetreibenden vereinfacht, bei uns Geld zu verdienen. Das ist im Moment nicht gegeben. Wir haben den Leerstand in den Innenstädten. Wir lassen uns von Großunternehmen gängeln, die aufgrund ihrer Markt- und Machtposition in der Lage sind, bestimmte Dinge durchzusetzen, die uns als Stadt eher schaden.

Zudem gehen 15 Prozent der Einkommenssteuer und zwölf Prozent der Kapitalertragssteuer in die kommunalen Kassen. Heißt: Je besser es unserem Gewerbe und unseren Bürgerinnen und Bürgern geht, desto besser geht es uns auch als Stadt.

Wie wollen Sie die Ansiedlung in Kerpen für Gewerbetreibende attraktiver machen?

Wir haben ein Flächenproblem. Das heißt, für neues Großgewerbe wird es schwierig. Als Grüne ist man immer im Zwiespalt, wie viel und vor allem welche Fläche man versiegeln will. Das ist mir besonders wichtig. Der Kerpener Süden zum Beispiel hat Bodenwerte von 95 bis 100, das sind die wertvollsten Böden. Wir sind eine Kommune mit viel Landwirtschaft. Wir müssen auch unsere Landwirte schützen. Ich kenne einen Landwirt, der durch diese geplante Transformationsfläche seine komplette Pachtfläche verlieren würde, 30 Hektar Land.

Wirtschaftliche Zukunft im Energiesektor

Stattdessen müssen wir neu denken. Wir müssen Strukturwandel neu denken. Die Player, die wir haben, wie die großen Energieanbieter, die haben ja zu großen Teilen schon umgedacht in Wind, in Photovoltaik und andere erneuerbare Energien. Auch in diesen Bereichen kann man Arbeitsplätze schaffen und Gewinne generieren. Und das machen wir in Kerpen ja im Grunde schon seit vierhundert Jahren.

Das heißt, Sie sehen die wirtschaftliche Zukunft der Stadt weiter im Energiesektor?

Sicher. Wir haben einen großen Partner, der ist immer gut in unserer Region gefahren, Geld mit der Energiegewinnung zu verdienen. Das machen sie auch gut und sehr fortschrittlich, die RWE hat auch schon umgedacht, der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Was in Kerpen derzeit lediglich unverständlich ist: Wir haben hier kein einziges Windrad stehen. Wir haben keine großen Photovoltaik-Flächen. So sehe ich keine Zukunftsvision, wie wir den Strukturwandel überleben sollen.

Vor allem, weil wir es auch versäumt haben, im großen Stil Fördermittel für den Strukturwandel zu akquirieren. Hier muss man herausfinden, warum so wenig passiert ist.

Sie sind im Vorstand der Energie-Genossenschaft „WirEnergieRheinErft“. Wenn Sie Bürgermeisterin werden, treten Sie von diesem Posten zurück?

Ja. Dieses Amt würde ich aufgeben. Das wäre weder zeitlich noch inhaltlich angemessen, weiter diese Vorstandstätigkeit auszuüben.

Wie schätzen Sie ihre Chancen auf den Posten ein?

Man sieht es in den Städten um uns herum, dass durchaus auch grüne Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gewählt worden sind. Mein Optimismus hat viel damit zu tun, dass ich authentisch für Kerpen bin, da ich hier aufgewachsen bin. Ich möchte auch keine grüne Bürgermeisterin für Kerpen sein. Ich möchte Kerpener Bürgermeisterin sein. Für alle.