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Größte Stadt in Rhein-ErftKerpen hat jetzt mehr als 70.000 Einwohner

Lesezeit 5 Minuten
Das Rathaus in Kerpen.

Die Kolpingstadt Kerpen ist die mit Abstand größte Stadt im Rhein-Erft-Kreis.

Seit Jahren wächst Kerpen ungebremst. Jetzt hat die Stadt still und leise eine neue Einwohnermarke geknackt.

Wenn im Kerpener Rathaus die Sektkorken geknallt haben, dass muss das äußerst dezent von sich gegangen sein. Nicht mehr als ein kurzes „Plopp“. Vielleicht auch deshalb, weil die Nachricht keine Überraschung mehr war: Schon seit längerer Zeit war absehbar, dass die Kolpingstadt zum Jahresende 2023 die magische Zahl erreichen würde: 70.000.

So viele Einwohner hat Kerpen nun seit Ende November. Um genau zu sein: Es sind 70.002. Das sind 472 mehr als zum selben Zeitpunkt 2022. Den größten Anteil daran haben Sindorf, Brüggen und Manheim-neu mit dem zahlenmäßig meisten Zuwachs. Es gibt aber auch Stadtteile, die Einwohner verloren haben: Kerpen, Mödrath, Manheim, Horrem und Neu-Bottenbroich.

Kerpen spielt in einer Liga mit Ingolstadt

Dies geht aus der Einwohnerstatistik hervor, die die Pressestelle verschickt hat - so wie viele andere zuvor auch. Ein Hinweis darauf, dass die „7“ nun vorne steht, fehlt gänzlich. Dabei spielt die Kolpingstadt von nun an in einer Liga mit Ingolstadt in Bayern, wo Audi produziert wird. Oder aber der hessischen Universitätsstadt Gießen, Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern oder Lünen in Nordrhein-Westfalen.

Das Bild zeigt Oldtimer-Fahrer im Innenhof des Schlosses Loersfeld.

Kerpen ist die Heimat von Rennsportlegenden wie Michael Schumacher und Wolfgang Graf Berghe von Trips. An Letzteren erinnert eine jährliche Gedächtnisfahrt auf Schloss Loersfeld.

281 der 468 Neu-Kerpener sind Sindorfer. Das ist etwa die Hälfte der Menschen, die bis Dezember in die Kolpingstadt gezogen sind. Der Sindorfer Ortsvorsteher Hans-Jürgen Bröcker hat auch eine Erklärung, warum das so ist. „Wir haben einen S-Bahnhaltepunkt, viele Geschäfte, große Arbeitgeber wie Boll und Kirch Filterbau“, sagt Bröcker. „Und wir haben Investoren, die im Akkord neue Wohnungen bauen.“

In Sindorf schlummert noch ein gewaltiges Bevölkerungsplus für Kerpen. Bröcker rechnet damit, dass der Ortsteil um etwa 3000 Personen in den nächsten Jahren wachsen könnte. Im geplanten Neubaugebiet Hüttenstraße könnten es etwa 2000 Neubürger werden, in der Bodelschwinghstraße noch einmal 1000. „Für das geplante Quartier Bodelschwingh haben sich schon jetzt viele Menschen auf die Warteliste setzen lassen“, sagt Bröcker.

Kerpens Nachbarn im Rhein-Erft-Kreis sind von der 70.000-Einwohner-Marke ein gutes Stück weit entfernt und werden es vermutlich auch bleiben: Die Stadt mit den zweitmeisten Einwohnern im Kreis ist Bergheim. Ende 2022 wurden dort laut Landesbetrieb Information und Technik NRW 62.376 Einwohner registriert. Rang 3 nimmt Hürth mit 60.969 Einwohnern ein, gefolgt von Pulheim mit 55.530 und Frechen mit 52.811 Einwohnern.

Die Wirtschaft profitiert laut BBK vom Zuzug

Noch vor acht Jahren sind die Demografie-Experten im Rathaus nicht davon ausgegangen, dass Kerpen in die Riege der Städte mit 70.000 Einwohnern aufsteigen würde. Bei damals rund 65.000 Einwohnern hieß es, dass dies auch 2030 noch der Wert sein werde.

Nach Ansicht von David Held ist das Erreichen der 70.000-Einwohner-Marke eine gute Nachricht für Kerpen. Es zeige, dass die Stadt auf dem richtigen Weg ist und sich zu einer wichtigen Region im Rhein-Erft-Kreis entwickelt, sagt der Vorsitzende des Bürger Bündnisses Kerpen (BBK) auf Anfrage dieser Redaktion. Als Faktoren, die das Bevölkerungswachstum in Kerpen begünstigen, nennt er gestiegene Steuereinnahmen. Diese ermöglichten der Stadt, in Infrastruktur und Angebote für die Bürgerinnen und Bürger zu investieren. Zudem führe das Bevölkerungswachstum zu einem Zuzug von Fachkräften. „Dies ist gut für die Wirtschaft der Stadt“, sagt Held.

Günstige Verkehrslage als Wachstumsmotor

Natürlich bringe das Bevölkerungswachstum auch Herausforderungen mit sich. So sei der Wohnungsmarkt in Kerpen bereits angespannt. Die Stadt müsse daher in den Wohnungsbau investieren, um den Bedarf zu decken. Auch der ÖPNV müsse ausgebaut werden, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Schon heute gilt die Verkehrsanbindung in Kerpen als Wachstumsmotor. Mit Horrem, Buir und Sindorf gibt es drei Bahnhöfe in Kerpen, in denen auch eine S-Bahn hält. Außerdem liegt Kerpen günstig an den Autobahnen 61 und 4.

Die Kölner Straße in Sindorf.

Die Stadt Kerpen hat die Marke von 70.000 Einwohnern geknackt. Das liegt vor allem am Ortsteil Sindorf.

Die Grünen-Vorsitzende Annika Effertz (48) ist begeistert: „Wow! Zu meiner Jugend waren es knapp 50.000. Jetzt gehen wir mit großen Schritten auf die Top-100-Städte in Deutschland zu.“ Dies sei erstaunlich, insbesondere, wenn man sich Kerpen genau betrachte. Seit den 1980er Jahren habe sich die Infrastruktur kaum verändert.

Das sehe in vergleichbaren Städten anders aus: „Wenn ich an Städte wie Lippstadt, Dinslaken, Celle, Arnsberg, Detmold oder Rüsselsheim denke: Das sind Städte mit großen Industrien, Krankenhäusern, Innenstädten mit Fußgängerzonen, Fachhochschulen, Landestheatern, Sitz der Bezirksregierung und Bahnhöfen mit ICE Anbindung."

Selbst direkte Nachbargemeinden mit bis zu 20.000 Einwohnern weniger stünden deutlich besser da als Kerpen, findet Annika Effertz. Als Beispiele nennt die Grünen-Politikerin Hürth, Frechen und Brühl. Es zeige sich, was in Kerpen in den vergangenen Jahrzehnten verschlafen worden sei. Es reiche eben nicht aus, nur Einfamilienhaus-Siedlungen im Außenbereich zu planen. Erforderlich sei echte Infrastruktur: „Zukunftsplanung mit Entwicklungspotenzial fehlt hier einfach völlig! Als Kerpenerin macht mich das eher traurig.“

Bei Kitas und Schulen muss die Kolpingstadt aufholen

Auf Nachfrage äußerte sich auch Bürgermeister Dieter Spürck (CDU). „Grundsätzlich ist das sehr erfreulich. Ich habe spaßeshalber schon immer gesagt, dass Kerpen die größte und möglicherweise schönste Stadt im Kreis ist. Unser Wachstum untermauert das“, sagt er. „Neben der günstigen Verkehrslage liegt das vor allem an unseren Zusammenhalt. Die Menschen kommen nach Kerpen, weil man hier gut zusammenleben kann.“

Ihm sei aber auch wichtig, dass Kerpen nicht wuchert, sondern in angemessenen Umfang wächst. „Und damit komme ich zur Kehrseite: Die Infrastruktur, Schulen und Kitas, hinkt seit einigen Jahren hinterher. Wir haben die Anzahl der Kitas zwar massiv ausgebaut. Aber es bleibt ein Dauerproblem.“ Er wolle sich deshalb weiter für den Ausbau der Infrastruktur einsetzen, zum Beispiel mit der dritten Grundschule in Sindorf.

Für den starken Bevölkerungswachstum der Kolpingstadt gibt es laut Spürck noch einen weiteren Grund: den Flüchtlingszuzug. Aktuell weisen Bund und Land der Stadt 15 Menschen pro Woche zu. Ende des Jahres werden es bis zu 720 sein.