Vertreter der Grauen Wölfe rekrutieren in Deutschland Menschen mit türkischen Wurzeln. Warum das so gefährlich ist, erklärt Psychologin Lale Akgün.
Bewegung aus der TürkeiLale Akgün über Graue Wölfe: „Suchen nach einem Grund, den Frieden zu stören“

Psychologin Lale Akgün in ihrer Wohnung in Köln. Sie spricht in Kerpen über die Grauen Wölfe.
Copyright: Elena Pintus
Dr. Lale Akgün, Psychologin und Psychotherapeutin und ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD, tritt am Donnerstag, 13. März, 19.30 Uhr, im Quirinum, Piusstraße 6, in Kerpen auf.
Thema des Vortrags ist die ultranationalistische türkische Bewegung „Graue Wölfe“. Organisiert wird der Analysevortrag mit Gespräch durch den Verein Hab8cht.
Graue Wölfe haben seit Jahrzehnten Machtpositionen in der Türkei
Was genau sind die Grauen Wölfe und warum sind sie so gefährlich? Wer ist besonders gefährdet, Teil dieser Bewegung zu werden? Und welchen Zusammenhang gibt es zur deutschen Bundespolitik? Lale Akgün erklärt das Wichtigste im Interview mit Elena Pintus.
Frau Akgün, in Kerpen sprechen Sie am Donnerstag über die Grauen Wölfe. Mit diesem Thema beschäftigen Sie sich schon seit geraumer Zeit, wie kam es dazu?
Lale Akgün: An dem Thema kommt man nicht vorbei, wenn man sich für die türkische Politik interessiert. Graue Wölfe, ist eine der bekannten Bezeichnungen für die rechtsradikalen Organisationen in der Türkei.
Die Grauen Wölfe haben sich Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei etabliert und haben in der türkischen Politik immer eine Rolle gespielt. Auf eine ungute Weise, wie ich hinzufügen muss. Sie waren sehr gewaltbereit gegen politische Gegner und diese Gewaltbereitschaft wurde von der Führungsetage gutgeheißen.
Wird der Begriff Graue Wölfe auch in der Türkei genutzt oder ist das eher eine deutsche Bezeichnung?
Der Begriff wird in der Türkei auch genutzt, daneben hat sich aber auch der Begriff der „Ülkücü“, also der Idealisten-Bewegung, etabliert.
Der „Grauer Wolf“ geht auf unterschiedliche Gründungsmythologien des Türkentums zurück. Der Asena-Sage zufolge soll die Wölfin Asena den Stammvater der Göktürken gesäugt haben. Nach der Ergenekon Sage hat der Wolf die Türken aus dem Tal Ergenekon in Zentralasien nach Anatolien geführt.
Aus der Sicht der Nationalisten ist der Wolf ein Machtsymbol des Türkischen. Und der Wolfsgruß ist ihr Erkennungszeichen. Denken Sie an den Skandal bei der EM letztes Jahr nach dem Wolfsgruß des türkischen Nationalspielers Merih Demiral.
Enge Verbindung mit dem sunnitischen Islam
Bei den Grauen Wölfen handelt es sich um Nationalisten. Wie äußert sich das?
Ich würde die Grauen Wölfe als Ultra-Nationalisten bezeichnen. Wie alle Ultra-Nationalisten überhöhen sie ihr eigenes Volk. Das türkische Volk ist in ihren Augen allen anderen Völkern überlegen und sollte mächtiger sein als alle anderen.
Das spiegelt sich auch in der Symbolik der drei Halbmonde wider, die die Grauen Wölfe von der Osmanischen Fahne übernommen haben und die für das Machtstreben auf den drei Kontinenten, Asien, Europa und Afrika stehen. Genau wie Rechtsradikale in anderen Ländern sind sie stark an eine Blut und Boden Ideologie gebunden.
Zusätzlich hat sich dieses nationale Bewusstsein immer mehr mit einem sunnitischen Islam verbunden zu der sogenannten „Türkisch-Islamischen Synthese“. Sodass der wahre Türke eben nur ein reinblütiger Türke ist und dazu sunnitischer Muslim.
Dadurch werden natürlich alle anderen ausgeschlossen. Denken Sie an die Aleviten oder die Kurden. Weitere Feindbilder sind Juden und Griechen. Nicht vergessen werden sollten Homosexuelle oder emanzipierte Frauen. Denn zu dieser Ideologie gehört auch eine männliche Identität, die sich durch Machogehabe und Aggressivität auszeichnet.
Ein weiteres Merkmal ist die Verleumdung des Genozids an den Armeniern. Sie nimmt viel Platz ein und erfüllt auch noch das Opfermuster; dass nämlich die Türken von aller Welt zu Unrecht beschuldigt werden. Dazu passt der Slogan „Türken haben keine Freunde; der Freund des Türken ist allein der Türke.“
Türkei: Land mit vielfältiger Kultur und bewegter Historie
Dabei hat gerade die Türkei eine äußerst vielfältige kulturelle Geschichte und Bevölkerung, korrekt?
Ja. Und wenn Sie einmal durch eine Stadt in der Türkei gehen, dann sehen Sie plastisch, dass die Türkei der Rest eines Vielvölkerstaates ist. Die Türkei ist das zusammengeschrumpfte Osmanische Reich. Sie begegnen Menschen mit blonden Haaren, mit dunklen Haaren, schwarze Menschen, helle Menschen, blauäugige, kleine, große Menschen. Sie haben die ganze Vielfalt.
Dieses Bild ist über Jahrhunderte durch das Zusammenleben unterschiedlichster Völker entstanden und setzt sich aus vielen Ethnien zusammen. Das ist eine ganz andere Wirklichkeit als der von den Grauen Wölfen konstruierte Begriff der „reinen“ türkischen Identität. Diese Konstruktion wirft die Frage auf, wer dazu gehört. Der Fokus auf diesen Identitätsbegriff dient dem Ausüben von Macht, und nicht mehr.
Graue Wölfe agieren auch in Deutschland
Man hört immer wieder davon, dass die Grauen Wölfe auch in Deutschland aktiv sind. Was bedeutet das für uns?
Ja, für uns ist es spannend, was die hier machen. Sie versuchen hier eine Art Diaspora-Identität von Europa-Türken aufzubauen. Das ist für sie wichtig, weil Europa aus ihrer Sicht auch zu ihrem Machtbereich gehört. Also versuchen sie mit ihrer rechtsradikalen Ideologie auch in Deutschland, junge Leute an sich zu binden und von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen.
Ein gleichberechtigtes Dasein ist für Menschen mit rechtsradikalem Gedankengut nicht möglich. Wenn Sie das Gefühl haben, einer besonderen Rasse, einer auserwählten Rasse anzugehören, sind die anderen immer minderwertig.
Rechtspopulismus verstärkt Zuwachs für die Grauen Wölfe
Denken Sie, dass diese ultranationalistischen Ideologien in Deutschland gerade auf fruchtbaren Boden treffen, aufgrund unserer eigenen politischen Lage?
Natürlich. Wenn Integration nicht gelingt, weil man Menschen mit türkischen Wurzeln nicht auf Augenhöhe wahrnimmt, ist das Wasser auf den Mühlen der Rechten. Wenn die Leute in der Gesellschaft vernachlässigt und diskriminiert werden, dann heißt es von türkischen Nationalisten: „Du bist etwas Besonderes, du bist höherwertig“, das schmeichelt natürlich gerade jungen Menschen. Gerade junge Leute wollen dazugehören. Das sind bei den Grauen Wölfen ganz ähnliche Gründe wie bei der Anhängerschaft der AfD.
Wie werben die Grauen Wölfe denn neue Mitglieder an?
Das geht über ihre Idealisten-Vereine, über Kampfsport und Fußball. Sie sind sehr gut vernetzt innerhalb von Europa und natürlich mit der Türkei. Wenn diese Leute nicht gerade den Vereinen der „türkisch-islamischen Synthese“ angehören, treten sie auch sehr modern auf. Das sind schicke junge Leute, Frauen mit kurzen Hosen, mit offenen Haaren.
Sehr gut zu beobachten sind diese Leute während Fußballturnieren, wenn die Türkei ein Fußballspiel gewonnen hat. Nicht alle Türken, die mit ihren Autos hupend nach einem gewonnenen Spiel durch die Stadt fahren, gehören dieser Idealisten-Bewegung an. Aber umgekehrt bleiben die Idealisten nicht zuhause, wenn sowas ist.
Nationalstolz als übergreifendes Merkmal
Ist es möglich, dass viele dieser angeworbenen jungen Menschen eher aus einem Zugehörigkeitsgefühl mitmachen, als aus nationalistischen motivierten Gründen?
In der Führungselite gehört die rechte Ideologie zum Weltbild. Aber beim Fußvolk ist das nicht so einfach zu sagen. Aber natürlich müssen die Beteiligten, auch auf der unteren Ebene, die rechte Blut- und Bodenideologie schon internalisiert haben. Es gehört dazu, daran zu glauben, dass die Türken die Größten, die Besten, die Auserwählten sind. Immer wieder wird auch auf diese Erzählung verwiesen, dass „unsere Väter vor den Toren Wiens gestanden haben“.
Wer ist besonders gefährdet, in diese Bewegung hineingezogen zu werden?
Junge Leute, für die die eigene Identität ein Fragezeichen ist. Junge Leute mit geringer Bildung, unsichere junge Leute. Schauen Sie einfach auf die Anhängerschaft der AfD, das ist quasi identisch.
Warum ist die Auseinandersetzung mit den Grauen Wölfen aus Ihrer Sicht aktuell so wichtig?
Zahlenmäßig ist diese Bewegung nicht so groß. Aber mit Blick auf die Stärkung der AfD mache ich mir Sorgen, dass die Idealisten-Bewegung viel mehr Zulauf erhalten wird. Und dann ist klar, dass es den sozialen und gesellschaftlichen Frieden stört. Denn diese Bewegung sucht nur nach einem Grund, um den Frieden zu stören. Sie wollen auftreten, sie wollen sich präsentieren. Und sie sind in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich.
Ein Kampf zwischen jugendlichen AfD-Anhängern und Anhängern der Grauen Wölfe, das würde beiden Seiten noch in die Karten spielen. Das ist in meinen Augen äußerst beunruhigend.