„Das ist ein Knochenjob“Wie Baumkletterer in Kerpen die Wälder sicherer machen

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Das Bild zeigt einen Baumkletterer in einem Baumwipfel. Der Mann ist an einem Seil befestigt und sägt mit einer Motorsäge an einem Ast.

In mehreren Metern Höhe entfernen Baumkletterer abgestorbene Äste.

Den Kerpener Wäldern geht es schlecht. Revierförster Florian Claßen und seine Baumkletterer kümmern sich darum, dass Bürgern dadurch keine Gefahr droht.

Das Heulen der Motorsäge verstummt. Jetzt übertönt ein lautes Knacken den Verkehr an der Schiefbahn – und dann rauscht ein etwa 100 Kilogramm schwerer Ast an einem Seil zu Boden. Was Revierförster Florian Claßen und ein Team von Baumkletterern hier leistet, fällt unter den sperrigen Begriff „Verkehrssicherungsmaßnahmen“. Jedes Jahr sorgen sie von Oktober bis März dafür, dass umstürzende Bäume an den Kerpener Waldrändern keine Menschen in Gefahr bringen.

„Heute gehen wir mit Seilklettertechnik vor. Der Charme daran: Wir müssen nur den Radweg und nicht die ganze Straße sperren“, sagt Claßen. Zwei Kletterer sitzen mit ihren Motorsägen in den Baumwipfeln und entfernen totes Holz und Äste, die abbrechen und herunterfallen könnten. Das Seil, an dem die Kletterer befestigt sind, ist durchschnittssicher. Damit sich die Baumkletterer nicht buchstäblich „den Ast absägen, auf dem sie sitzen“, wie Claßen es ausdrückt. Per Helmfunk sind die Männer in den Baumwipfeln mit drei Sicherungsposten am Boden ständig in Kontakt.

Der Förster geht vor wie ein Arzt

Der Revierförster greift nicht wahllos in den Wald ein. „Platzt die Rinde auf? Hat der Baum Pilze? Wie sieht das Laub aus? Wenn wir Bäume kontrollieren, gehen wir wie Ärzte vor“, erläutert Claßen. „Ein Symptom heißt nicht unbedingt, dass wir den Baum sofort fällen. Jeder Baum muss ganzheitlich betrachtet werden.“ Allerdings ergebe es auch keinen Sinn, einen Baum „totzupflegen“. „Bevor ich jedes Jahr einzelne Äste entferne und dafür ganze Straßen sperren muss, lasse ich den Baum lieber fällen.“ Vergangenes Jahr mussten an der Schiefbahn 80 Bäume weg, Claßen und sein Team rückten mit Kränen und Hubsteigern an. Die Straße war fünf Tage lang gesperrt. Dieses Mal geht es nur um zwei Bäume.

Das Bild zeigt Amtsleiter Detlef Habicht und Revierförster Florian Claßen.

Detlef Habicht, Amtsleiter Bodenmanagement und Liegenschaften, und Revierförster Florian Claßen überwachen Verkehrssicherungsmaßnahmen an der Schiefbahn.

Von ihren Kollegen werden die Baumkletterer scherzhaft als „Affen“ bezeichnet. Die Bezeichnung täuscht darüber hinweg, wie hart der Job ist. Schwindelfreiheit und körperliche Belastbarkeit gehören zu den Grundvoraussetzungen. Selbst bei Regen sind die Kletterer in den Bäumen unterwegs. „Das ist ein Knochenjob. Mit 60 Jahren macht man den nicht mehr“, sagt Claßen. Eigentlich sind die Baumkletterer Förster oder Gärtner. Damit sie in die Wipfel dürfen, müssen sie zahlreiche Zusatzqualifikationen wie eine Seitklettertechnik-Ausbildung haben.

Wer den Wald betritt, macht das auf eigene Gefahr

Um die Verkehrssicherheit in Kerpen kümmert sich immer Revierförster Claßen, um Baumkontrollen nicht. Als Revierförster kontrolliert er nur 60 Hektar Wald im Parrig und 130 Hektar im Kerpener Bruch. Der restliche Wald auf Kerpener Stadtgebiet ist kommunaler Besitz. Für ihn ist Detlef Habicht, Leiter des Amts für Bodenmanagement und Liegenschaften, zuständig. In seinem Auftrag überprüfen ausgebildete Baumkontrolleure das Gehölz. „Wir sind dankbar, wenn Fällungen wie in diesem Fall nur gering invasiv verlaufen“, sagt Habicht. Eine Sperrung von Straßen sei immer mit Aufwand verbunden. „Oft haben wir aber keine andere Wahl. Die Sicherheit der Bürger geht vor.“

Ein Baumkletterer steht in einer orangen Weste vor einem abgesicherten Baum.

Am Boden gibt es zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen für die Baumkletterer. Ihre Kollegen behalten die Kletterer in den Baumwipfeln immer im Auge.

Schwerpunkt der Verkehrssicherungsmaßnahmen sind meist die Stadtteile Horrem und Neu-Bottenbroich. „Wenn Wald an die Straße oder an Wohnhäuser grenzt, sind wir in der Pflicht“, erläutert der Revierförster. Auf Waldwegen sei das anders. „Wer einen Wald betritt, macht das immer auf eigene Gefahr. Dazu gibt es einige Gerichtsurteile.“ Das bedeutet also: Wer im Wald von einem herabfallenden Ast verletzt wird oder über eine Wurzel stolpert, hat in der Regel keinen Anspruch auf Schadensersatz. Anders sei das dort, „wo der Waldeigentümer Menschen zum Verweilen einlädt“, so Claßen. Dazu zählen Sitzbänke, Spiel- und Parkplätze. Doch Claßen entfernt auch entlang des Hauptweges im Parrig Bäume. „Das müsste ich eigentlich nicht. Aber der Weg dort ist sehr stark frequentiert. Das Risiko will ich nicht eingehen.“

Eingeschleppte Krankheiten und Klimawandel setzen Bäumen zu

Es gibt aber auch Ausnahmen, in denen der Förster handeln muss: eine Megabaumgefahr, kurz schlicht als Megagefahr bezeichnet. Darunter versteht der Landesbetrieb Wald und Holz einen Baum oder Ast, der eine oder mehrere Personen schwer verletzen oder sogar töten kann. Der Landesbetrieb empfiehlt, eine solche Megagefahr schnellstmöglich zu beseitigen.

In den vergangenen Jahren musste der Förster immer öfter in den Wald eingreifen. Käfer, Trockenstress und eingeschleppte Krankheiten wie das Eschentriebsterben setzen dem Wald zu. „Wir befinden uns hier in einer sehr trockenen Region. Das macht die Bäume anfällig“, erläutert Claßen. „Der Wald stirbt schneller, als wir Bäume nachpflanzen können. Allein in Kerpen wieder alles aufzuforsten – das wird eine Generationenaufgabe.“ An der Schiefbahn sind die lichten Stellen zwischen den Bäumen schon deutlich zu sehen. Claßen ist deshalb über jeden Einsatz der Baumkletterer froh. Denn sie können für Verkehrssicherheit sorgen ohne ganze Bäume zu fällen.

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