Zweiter Weltkrieg im Rhein-Erft-KreisKinder erlebten traumatische Situationen
- Arnold Widding war ein zehnjähriger Junge, als US-Truppen 1945 in den Rhein-Erft-Kreis vorrückten
- Die deutsche Wehrmacht war größtenteils abgezogen, so konnte die Army schnell ein Dorf nach dem anderen besetzen.
- Widding erinnert sich.
Kerpen/Bergheim – „Wenn ich über die Chaussee von Sindorf nach Heppendorf fahre, taucht auch heute noch das schreckliche Bild vor meinem geistigen Auge auf“, erzählt Arnold Widding mit ernster Miene. „Diesen amerikanischen Soldaten, der mit aufgerissener Schädeldecke in sich zusammengesunken sterbend an einem Baum hockte, das werde ich nie vergessen.“ Nein, die Zeit habe auch nach mehr als sieben Jahrzehnten nicht alle Wunden geheilt, vor allem nicht die unsichtbaren. „Schreckliche Erlebnisse aus Kindertagen belasten die Seele ein Leben lang“, sagt Widding. „Ich weiß, wovon ich spreche.“
Fast auf den Tag genau 75 Jahre ist es nun her, dass US-Bodentruppen in den letzten Februar- und den ersten Märztagen 1945 von Westen kommend die Erft überquerten und auf ihrem Vormarsch nach Köln in das Gebiet Bergheim, Kerpen, Elsdorf und Bedburg einrückten. Die deutsche Wehrmacht war größtenteils abgezogen, so konnte die Army schnell ein Dorf nach dem anderen besetzen.
Während die Invasoren in den noch umkämpften Gebieten die letzten Posten der Wehrmacht einnahmen, zogen die Frauen, Kinder und alten Männer unter amerikanischer Aufsicht in bereits eingenommene Nachbarorte. Einige deutsche Soldaten gaben allerdings nicht auf, sondern kämpften bis zuletzt, so dass noch Tote auf beiden Seiten zu beklagen waren.
„Da wussten wir: Für uns war dieser Zweite Weltkrieg endlich zu Ende“
„Wir wurden Ende Februar von den Amerikanern in einem großen Tross von Sindorf nach Heppendorf geführt. Weil auf der Landstraße auch viel US-Militär unterwegs war, nahmen uns die letzten noch kämpfenden deutschen Soldaten aus der Ferne unter Feuer. Kurz vor mir brach ein Mädchen getroffen zusammen“, berichtet Arnold Widding. „Nach ein paar Tagen durften wir zurück in unser zerstörtes Dorf. Da wussten wir: Für uns war dieser Zweite Weltkrieg endlich zu Ende – zwei Monate vor der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945.“ Einige Unverbesserliche hätten das zwar anders gesehen, aber die meisten Menschen hätten den Einmarsch der Amerikaner als Befreiung empfunden.
Der heute 85-Jährige hatte zuvor die von amerikanischen Luftangriffen geprägten Monate und Jahre als kleiner Junge in Sindorf erlebt. „Das war eine ganz schlimme Zeit. Angst und Schrecken, Tod und Zerstörung waren allgegenwärtig, auch lange vor jenem Februar 1945“, schildert er jene Zeit. „Immer wieder mussten wir bei Luftangriffen Hals über Kopf im Keller des ehemaligen Pastorats notdürftig Schutz suchen.“
Schon im Juli 1940 waren die ersten Bomben auf Kerpen gefallen. Bis zum 28. Februar 1945 gab es laut Unterlagen des Stadtarchivs 1920 Mal Fliegeralarm. Dabei kamen in Kerpen und Langenich 63 Personen ums Leben. Allein beim Fliegerangriff am 25. Februar 1945 starben laut den Aufzeichnungen 28 Menschen.
Kerpen war Ende Februar 1945 zu 42 Prozent zerstört. Auch in Türnich, Horrem, Mödrath und Manheim gab es zahlreiche Fliegerangriffe mit Toten, Verletzten und materiellen Schäden. In Horrem starben 58 Menschen bei Fliegerangriffen, davon 17 bei einem Angriff am 27. September 1944, 16 am 11. November 1944. Jedes zweite Wohnhaus wurde beschädigt. In Türnich kamen 71 Einwohnerinnen und Einwohner ums Leben. In Mödrath starben elf Menschen, in Manheim drei.
Ähnliches berichtet für die Bergheimer Ortschaften der Lokalhistoriker Helmut Schrön. Im Beitrag „Yankees at Bergheim“ für den Band 27 der Bergheimer Jahrbücher beschreibt er die letzten Kriegstage und die amerikanische Operation sehr detailliert.
Plünderungen und Racheglüste
Viele Zeitzeugen kommen dabei zu Wort, wobei unterschiedliche Erinnerungen über das Verhalten der amerikanischen Soldaten überliefert sind. Manche berichten von Plünderungen und Rachegelüsten, andere von Hilfsbereitschaft und Mitgefühl für die notleidende Zivilbevölkerung.
Bei Arnold Widding überwiegt ein positives Bild. Vor allem rechnet er den US-Soldaten hoch an, dass sie bei ihren militärischen Operationen durchaus Rücksicht auf die Zivilisten genommen hätten. „Ich war dabei, als Jagdbomber im Tiefflug zweimal über eine Gruppe von Menschen in einem landwirtschaftlichen Betrieb am Ortsrand von Sindorf hinweg düsten. Wir waren in Panik und Todesangst, denn sie hätten uns alle auf einen Schlag einfach auslöschen können. Aber sie haben eben nicht angegriffen, sondern erst genau geschaut, was da unten los ist. Und sie haben uns verschont, als sie sich vergewissert hatten, dass wir keine Gefahr darstellten.“
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Der frühere Lehrer hat seine Erinnerungen in mehreren Büchern festgehalten und hält bis heute Vorträge über die letzten Kriegsjahre. Für den 85-Jährigen ist das einerseits ein Weg, seine traumatischen Erlebnisse für sich selbst zu verarbeiten. „Aber ich halte es auch für wichtig, den nachfolgenden Generationen zu schildern, was Krieg wirklich bedeutet und was er vor allem mit den unschuldigen Kindern macht.“ Das sage er heute auch bewusst mit Blick auf Syrien. „Denn ich kann nur zu gut ermessen, was diesen kleinen Menschen körperlich und seelisch angetan wird.“