Junge Fahrer sind überproportional oft in Verkehrsunfälle verwickelt. Eine heute 24-Jährige spricht über den Tag, der ihr Leben zum Albtraum machte.
„Genick gebrochen“Junge Fahrerin spricht über die Folgen ihres schweren Unfalls in Rhein-Erft
Junge Autofahrer sind überproportional oft in Verkehrsunfälle verwickelt. Vielleicht ist es ja das Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit, das viele leichtsinnig macht und dazu verführt, zu schnell zu fahren oder sich Autorennen zu liefern. Meistens geht das ja zum Glück gut.
Doch manchmal enden solche Fahrten auch in einem Albtraum. Nur ein Augenblick der Unachtsamkeit, eine Sekunde der Selbstüberschätzung – und die Katastrophe passiert. Auch im Rhein-Erft-Kreis gab es in den vergangenen Monaten mehrere tragische Fälle.
Zuletzt starben in Pulheim-Brauweiler zwei Menschen, wahrscheinlich weil ein junger Mann (24) nachts zu schnell und noch dazu alkoholisiert unterwegs war. Gegen zwei 20-jährige Nachwuchsspieler des 1. FC Köln wird wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und Teilnahme an einem verbotenen Autorennen ermittelt. Möglicherweise hat ihr Übermut im Dezember 2023 eine Mutter und ihre Tochter das Leben gekostet.
Junge Fahrerin wurde bei schwerem Unfall lebensgefährlich verletzt
Ein 44-jähriger Beifahrer, der im Fahrzeug eines 20-jährigen Autofahrers saß, erlitt Ende April 2023 tödliche Verletzungen. Der junge Mann war auf der Bonnstraße in Hürth-Fischenich in der Tempo-30-Zone so schnell unterwegs, dass er bei einem Bremsmanöver die Kontrolle über seinen Wagen verlor und gegen einen Ampelmast krachte. Ende Juli dieses Jahres war ein 19-Jähriger auf der Villenstraße gegen einen auf dem Parkstreifen stehenden Lkw geprallt – er und drei jugendliche Beifahrer wurden schwer verletzt.
Wahrscheinlich war auch Nadine (24) viel zu schnell unterwegs, als ihr Fahrzeug Ende Oktober 2021 auf der Bonnstraße in Brühl-Schwadorf im Tempo-30-Bereich außer Kontrolle geriet und im Morgengrauen gegen einen Baum krachte. Aufgrund der Spurenlage geht die Polizei davon aus, dass sie am Steuer eingeschlafen war. Die damals 21-Jährige wurde lebensgefährlich verletzt.
Erinnerungen an den Unfall hat sie nicht. Nur aus Gesprächen später mit der Polizei, ihren Eltern und den Ärzten weiß sie, wie knapp sie dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Länger als drei Monate lag sie auf der Intensivstation der Uniklinik, fast zwei Monate davon im Koma – Wochen, in denen ihre Eltern, ihr Bruder und ihre Freunde um ihr Leben bangten.
„Aber ich habe überlebt“, sagt Nadine. Es sei ein Wunder. „Ich hatte mir das Genick gebrochen“, sagt sie. Ihr Kopf sei jetzt mit Platten und Schrauben an der Wirbelsäule befestigt. Ihr rechtes Bein war mehrfach gebrochen. Der Sicherheitsgurt hat ihr beim Aufprall den Bauch und den Darm aufgeritzt. „Richtig gesund werde ich nicht mehr“, sagt sie. Mindestens zweimal in der Woche müsse sie bis heute zum Arzt – oft sei es der Schmerztherapeut. „Es gibt Tage, an denen ich mich vor Schmerzen kaum bewegen kann“, sagt sie.
Für Nadine gibt es ein Leben vor dem Unfall und eines danach. Das Leben vor dem Unfall ist vorbei. Damals war sie eine fröhliche junge Frau in der Ausbildung zur Chemiemeisterin. „Ich hatte gerade die Zwischenprüfung bestanden“, erzählt sie. In der Unfallnacht war sie mit Freundinnen unterwegs, sie hatten in einen Geburtstag hineingefeiert. „Ich habe dann noch alle heimgefahren und war auf dem Weg zu meinem Freund“, berichtet sie.
Heute sei sie Rentnerin. Arbeitsunfähig. Kinder wird sie nie bekommen können. Sie kann sich schlecht konzentrieren. Ihr Kurzgedächtnis lässt sie manchmal im Stich, belastbar ist sie nicht mehr. Am schlimmsten aber sind die chronischen Schmerzen. „Ich musste mein Leben völlig neu aufstellen“, sagt sie. Wieder selbst Auto fahren? Daran möchte sie nicht einmal denken.
„Crash-Kurs NRW“ soll junge Autofahrer aufrütteln
Sie überlegt jetzt, ihre Erfahrungen jungen Leuten beim Präventionsprogramm der Polizei „Crash-Kurs NRW“ im Rhein-Erft-Kreis weiterzugeben. Die Veranstaltung wurde 2011 ins Leben gerufen, um junge Autofahrer und -fahrerinnen aufzurütteln. Unfallärzte, Sanitäter, Polizisten, Notfallseelsorger und Betroffene berichten bei den Veranstaltungen in Schulen und Ausbildungsbetrieben über ihre Erfahrungen am Unfallort.
Und sie klären darüber auf, wie sehr ein solcher Unfall das Leben einer ganzen Familie und das eines jungen Menschen verändert. „Für mich war der Unfall schlimm, aber für meine Eltern, meine Freunde und meinen Bruder war es noch viel schlimmer“, sagt Nadine. Denn während sie sich bewusst und unbewusst ins Leben zurückkämpfte, konnten ihre Angehörigen gar nichts tun, außer warten: „Sie mussten die Situation aushalten – tage- und wochenlang.“
„Junge Leute wollen sich austesten – immer auch mit dem Gedanken: Mir kann nichts passieren“, sagt Polizeihauptkommissar Hans-Dieter Ehlert. Er leitet das Projekt Crash-Kurs NRW im Rhein-Erft-Kreis. „Ich fahre doch nur die erlaubten 20 Stundenkilometer zu schnell“, sagten ihm die Jugendlichen öfter, wenn er sie auf ihre Fahrweise anspreche. Damit meinen sie, dass sie während ihrer Führerschein-Probezeit dann noch keinen Punkt bekommen, wenn sie erwischt werden. „Junge Autofahrer können die Gefahren der Geschwindigkeiten gar nicht abschätzen – und erst recht nicht die möglichen Folgen“, sagt Ehlert.
Aus Sicht des ADAC ist es wichtig, dass die Polizei viel kontrolliert
Das sieht Johannes Giewald vom ADAC anders: Für einige junge Leute sei es ein Adrenalinkick, Tempolimits zu überschreiten. „Der Kick entsteht dabei nicht nur durch das Rasen selbst, sondern auch durch das bewusste Regelbrechen“, sagt er. Sie nähmen billigend in Kauf, dass sie sich und andere Verkehrsteilnehmer in Gefahr brächten. Aus Sicht des ADAC ist es wichtig, dass die Polizei viel kontrolliert. Doch nur wenn angemessene Strafen und eine hohe Wahrscheinlichkeit, ertappt zu werden, zusammenwirken, besteht laut ADAC zumindest eine Chance, die Raser auszubremsen.
„Rasen gehört in den Garten“, heißt einer der Slogans, mit denen die Polizei NRW junge Autofahrer auf die Gefahren von Autorennen hinweist. Seit 2022 bietet sie mit der Veranstaltung „Verantwortung stoppt Vollgas – Autorennen sind eine Straftat“ ein Bildungskonzept in Schulen an, das Heranwachsende nachdenklich machen soll.
Dass auch verstärkt kontrolliert wird, hat jüngst auch ein junger Autofahrer erfahren, der Samstagnacht auf der A 555 einige Kilometer mit mehr als Tempo 200 unterwegs war. Die Polizei stoppte ihn. Die Polizisten hätten ihn sehr bestimmt darauf hingewiesen, dass so schnelles Fahren gefährlich sei. Danach hätten sich die Beamten freundlich verabschiedet und noch eine sichere Heimfahrt gewünscht, schildert die Polizei.
Besteht aber der Verdacht, dass ein illegales Rennen stattgefunden haben könnte, leiten die Beamten ein Strafverfahren ein. „Hier gilt die Null-Toleranz-Strategie. Menschen, die durch Rasen im Straßenverkehr das Leben von Unbeteiligten gefährden, werden durch die Polizei konsequent, unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten verfolgt“, heißt es aus dem Landesinnenministerium.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW hat die Bundesregierung mehrfach aufgefordert, ein generelles Tempolimit auf den Weg zu bringen, um so die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten insbesondere auf den Autobahnen deutlich zu reduzieren. Allerdings ist aus Berlin diesbezüglich zurzeit keine Änderung zu erwarten: „Die Koalitionsparteien haben vereinbart, dass es kein generelles Tempolimit geben wird“, heißt es aus dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). „Diese Position ist unverändert.“ Bei Wesseling soll sogar das Lärmschutz-Tempolimit auf der A 555 wieder aufgehoben werden, wenn die Lärmschutzsanierung beendet ist.