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Strukturwandel im Rhein-Erft-Kreis„Wir haben wertvolle Zeit verloren“

Lesezeit 5 Minuten
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Der Tagebau Hambach von Terra Nova aus.

Rhein-Erft-Kreis – Die Region steht vor großen Herausforderungen. Der vorgezogene Kohleausstieg und der Klimawandel erfordern von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft höchste Kraftanstrengungen. Dazu bedarf es außerdem Entschlossenheit, Mut und Kreativität. Doch auch andere Prozesse dürfen nicht hinten anstehen, beispielsweise die Entwicklung der Innenstädte. Darüber und über weitere Themen sprach Jörn Tüffers mit Susanne Kayser-Dobiey, der Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung Rhein-Erft GmbH.

Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf die Wirtschaft aus?

Kayser-Dobiey: Aktuell sind die Auswirkungen noch nicht vollständig absehbar. Jetzt und mittelfristig besteht natürlich die Sorge, dass sich die gestiegenen Energiepreise negativ auf unsere energieintensiven Branchen und alle Unternehmen auswirken. Die Transport- und Logistikbranche ist bereits jetzt massiv durch die gestiegenen Spritpreise betroffen und protestiert schon hör- und sichtbar.

Welche Projekte beschäftigen die Wirtschaftsförderung ?

Das Thema Fachkräftemangel- und Fachkräftesicherung ist schon lange und immer noch das Top Thema der Unternehmen. An Bedeutung nimmt für uns auch das Thema Innenstadtentwicklung und Belebung zu, hier speziell die Situation im Einzelhandel. Viele Einzelhändler mussten pandemiebedingt ihre Geschäfte schließen. Dies hat dazu geführt, dass das Interesse an digitalen Konzepten in diesem Bereich einen erheblichen Schub bekommen hat. Mit unserer Expertise unterstützen wir die Geschäftsleute dabei, die von Bund und Land bereitgestellten Fördermittel in Anspruch zu nehmen. Damit erfahren viele Händler eine finanzielle Unterstützung um entsprechende Digitalisierungsschritte voranzutreiben. Im Rahmen des Strukturwandels ist auch die Frage wichtig, ob im Kreis mehr Unternehmen der Digitalwirtschaft angesiedelt werden können.

Susanne Kayser-Dobiey wird neue Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung Rhein-Erft GmbH.

Worum geht es dabei konkret?

Bei der Entwicklung und Weiterentwicklung von Digitalisierungsmaßnahmen im Einzelhandel geht es nicht vorrangig darum, dass Geschäftsleute ihre Waren auf ihrer Homepage anbieten und zum Kunden nach Hause liefern. Den Wettbewerb können sie allein, aber auch im Verbund mit anderen Geschäftsleuten nicht gewinnen. Da ist Amazon meilenweit enteilt. Wichtiger ist, dass sich der stationäre Einzelhandel durch innovative und digitale Maßnahmen attraktiv präsentiert. Der Fokus muss auf der Belebung der Innenstädte liegen. Was für den Handel gilt, gilt für die Gastronomie gleichermaßen. Auch da sind wir mit vielen Akteuren im Gespräch, beraten und zeigen auf, welche Fördermöglichkeiten es gibt.

Strukturwandel ohne Digitalisierung – geht das?

Eine leistungsfähige Digitalwirtschaft ist eine wichtige Säule für einen erfolgreichen Strukturwandel. Mit den vorhandenen Datenautobahnen und der Energieversorgung sind die Voraussetzungen dafür im Rhein-Erft-Kreis gut. Den gesamten Prozess beschleunigen, könnte die Ansiedlung von Rechenzentren, wo große Datenmengen spielend verarbeitet werden können. Wenn wir beispielsweise über autonomes Fahren reden, das erfordert unfassbar viele Datenmengen, die in Bruchteilen von Sekunden verarbeitet werden müssen.

Die Bestrebungen sind ja im Rahmen des Strukturwandel-Prozesses ja da. Wie stehen die Chancen für die Ansiedlung von Rechenzentren, beispielsweise in Bedburg?

Bedburg ist eine Option, aber nicht die einzige. Ich weiß, dass Produzenten ihr Interesse signalisiert haben, aber da sind wir nicht die einzigen Bewerber. Auch der Rhein-Kreis-Neuss hat interessante Flächen zu bieten. Vielleicht wissen wir schon in ein paar Monaten mehr.

Solche Ansiedlungen schaffen nicht die Masse an Arbeitsplätzen ...

Rechenzentren bieten hoch qualifizierte Arbeitsplätze, die wir infolge des Wegfalls der Kohleförderung dringend benötigen. Viele gut bezahlte Arbeitsplätze können vor allem Digitalparks und Ansiedlungen von Unternehmen aus der Digitalwirtschaft bringen, die die Nähe zu Rechenzentren brauchen. Dazu muss man nur mal nach Frankfurt schauen, dort sind innerhalb weniger Jahre 50 000 Arbeitsplätze rund um den Internetknoten DE-CIX entstanden.

Das erfordert ja alles auch Fläche. Warum ist es ein Trugschluss, dass es die im Rhein-Erft-Kreis im Überfluss gibt?

Für Industrie- und Gewerbeansiedlungen stehen nur noch wenige Flächen zur Verfügung. Wir haben hier im Rhein-Erft-Kreis eine extrem hohe Bodenqualität, die für die Landwirtschaft exzellente Bedingungen bietet. Landwirten tut jeder Acker, der anderweitig genutzt wird, weh. Es besteht eine hohe Flächenkonkurrenz. Auch für den Wohnungsbau werden Flächen benötigt bedingt auch durch großen Druck aus Köln. Und nicht zuletzt der Anspruch der Bevölkerung, dass auch ausreichend Raum für die Naherholung zur Verfügung steht.

Was ist die Lösung?

Wir müssen Gewerbeflächen neu denken. Warum bauen wir nicht häufiger in die Höhe? Und warum müssen es tatsächlich so viele Parkplätze sein? Lasst uns Gewerbe- und Industriegebiete lieber besser an den ÖPNV anbinden!

Ärgern Sie sich heute noch, dass der Regionalrat das geplante Gewerbegebiet Barbarahof zwischen Hürth und Erftstadt abgelehnt hat? Schließlich waren auch Brühl und Wesseling daran interessiert.

Auch wenn es schon über ein Jahr her ist – es fällt immer noch schwer, diese Entscheidung zu akzeptieren. Eine andere vergleichbar große und zusammenhängende Fläche im Süden des Kreises gibt es nicht. Zumal sie an ein bestehendes Gewerbegebiet in Hürth anschließt. Und auch unter Hochwassergesichtspunkten ist dieses Areal ideal. Wir werden bei der Aufstellung des neuen Regionalplans einen erneuten Anlauf unternehmen. Aber zunächst einmal haben wir wertvolle Zeit verloren.

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Welche Stimmung nehmen Sie angesichts des Endes der Kohleförderung und des Wandels wahr?

Bei RWE werden die betroffenen Arbeitsplätze sozialverträglich abgebaut. Im Bereich der vielen Zulieferer gehen viele Arbeitsplätze verloren. Dennoch herrscht Aufbruchstimmung in dem Sinne, dass die Chancen, die dieser Strukturwandelprozess bringt, gesehen werden. Was ich ansonsten vernehme ist Unmut darüber, dass alles so lange dauert oder notwendige Industrie- und Gewerbeflächen nicht geschaffen werden. Diese sind jedoch die Voraussetzung dafür, dass sich Bestandsunternehmen ausweiten sowie neue Unternehmen und Start-ups ansiedeln können, damit auch zukünftig ausreichend qualifizierte Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, bin ich mir sicher, dass wir den Strukturwandel mit vereinten Kräften schaffen werden.