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FachkräftemangelKreishandwerksmeisterin Rhein-Erft im Gespräch: „Die Situation ist ernst“

Lesezeit 4 Minuten
Eine Frau steht vor einem Fenster.

Die Geschäftsfrau Martina Engels-Bremer ist in ihrem Handwerksunternehmen in Wesseling für den kaufmännischen Teil zuständig.

Martina Engels-Bremer spricht im Interview unter anderem über die Situation der Handwerksbetriebe im Rhein-Erft-Kreis.

Martina Engels-Bremer ist 60 Jahre alt. Das Handwerk kennt sie aus dem Effeff, da sie quasi im Betrieb ihrer Eltern groß geworden ist. Zusammen mit ihrem Bruder Michael Engels und ihrem Cousin Georg Engels führt sie das Unternehmen für Energie- und Gebäudetechnik in Wesseling-Berzdorf in der zweiten Generation.

Martina Engels-Bremer ist seit zwei Jahren zudem Kreishandwerksmeisterin. Sie ist zudem Mitglied im Berufsbildungsausschuss der Handwerkskammer Köln. Über den Fachkräftemangel, die Sorge vieler Unternehmer um Nachfolger und über die Situation der Handwerksbetriebe im Rhein-Erft-Kreis sprach mit ihr Margret Klose.

Wie ernst ist die Situation der Handwerksbetriebe wirklich im Rhein-Erft-Kreis?

Engels-Bremer: Hier unterscheidet sich der Rhein-Erft-Kreis nicht von anderen Kreisen oder Städten unserer Region. Die Situation ist ernst. Gerne würden jedoch viel mehr Mitarbeitende oder nachfolgende Generation die Betriebe ihrer Eltern oder Ausbilder übernehmen. Doch sie scheuen oft den hohen Bürokratieaufwand. Eine Umfrage des Zentralverbands des deutschen Handwerks von Juli 2023 hat ergeben, dass 58 Prozent der befragten Betriebe die Selbständigkeit im Handwerk infolge der Bürokratiebelastung zunehmend unattraktiv finden.

Wissen Sie, wie viele junge Leute im Rhein-Erft-Kreis zurzeit im Handwerk ausgebildet werden?

Natürlich. Aktuell sind 633 junge Leute im Rhein-Erft-Kreis im Handwerk in Ausbildung. Lediglich 20 Ausbildungsstellen sind laut Agentur für Arbeit im Handwerk im Rhein-Erft-Kreis zurzeit als unbesetzt gemeldet.

Wie viele Handwerksbetriebe gibt es überhaupt im Rhein-Erft-Kreis zurzeit?

Aktuell haben wir Stand 31. Dezember 2024 im Rhein-Erft-Kreis 5449 Handwerksbetriebe.

Und wie viele Handwerksbetriebe wird es nach aktuellen Prognosen in zehn oder fünfzehn Jahren noch geben?

Pauschal lässt sich das gar nicht sagen. Aber der Rhein-Erft-Kreis ist auch diesbezüglich keine Insel. Ausschlaggebend ist vor allen Dingen die Branche. Metzger und Bäcker zum Beispiel haben schon große Probleme, Auszubildende, aber auch Nachfolger für ihre Betriebe zu finden. In den stark technisch geprägten Berufen wie Elektro, Sanitär und Heizung ist der Trend aktuell sogar zu neuen Firmengründungen groß, auch wenn auf der anderen Seite ältere Betriebe mangels Nachfolger schließen. Nach Schätzungen des Zentralverbands des deutschen Handwerks stehen in den nächsten fünf Jahren deutschlandweit rund 125.000 Betriebe zur Übergabe an.

Gibt es außer der Lebensmittelbranche noch weitere Handwerksbranchen, die Probleme haben, Nachfolger zu finden?

Es gibt nicht die EINE gefährdete Branche. Entwicklungen und Veränderungen in der Wirtschafts- und Berufswelt sind doch ganz normal. Natürlich werden Betriebe verschwinden, dafür werden aber neue kommen. Es öffnen sich sogar ganz neue Berufsfelder – etwa in der Digitalisierung. Sie bietet auch für das Handwerk viele Chancen.

Wie ist die Situation in Ihrem eigenen Unternehmen? Gibt es da schon Nachfolger?

Wir haben die Nachfolge schon vor Jahren geregelt – unser Betrieb bleibt in der Familie. Aktuell bilden wir elf junge Leute aus, Kaufleute und Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik. Ich kann allen Unternehmern wirklich nur raten, die Entscheidungen für die Nachfolge mindestens fünf Jahre vor dem geplanten Ausstieg zu regeln.

Welche Auswirkungen hätte ein Handwerks-Sterben für die Verbraucher?

Wir sprechen hier keinesfalls von einem Handwerks-Sterben. Handwerk wird es immer geben! Klar ist allerdings, wenn es weniger Handwerkerinnen und Handwerker gibt, muss der Kunde länger auf einen Termin warten oder weitere Wege auf sich nehmen.

Was bedeutet die aktuelle Situation für die Zukunft des Handwerks?

Jungen Menschen bieten sich gerade so viele Chancen wie noch niemals zuvor, im Handwerk erfolgreich tätig zu werden. Die Übernahme eines bestehenden Betriebs ist ja genauso eine Existenzgründung, wie die Gründung eines neuen Unternehmens. Deswegen gewährt das Land Nordrhein-Westfalen auch eine Meistergründungsprämie.

Was kann die Kreishandwerkerschaft tun, um den Betrieben bei der Suche nach Auszubildenden, Facharbeitern und möglichen Nachfolgern für ihre Handwerksbetriebe zu helfen?

Da gibt es einiges: Um zum Beispiel junge Leute fürs Handwerk zu begeistern, laden die Handwerkskammer und Kreishandwerkerschaft zu sogenannte Schulhoftourneen ein, bei denen dann Ausbildungsbotschafter aus erster Hand ihren Altersgenossen über ihre jeweiligen Erfahrungen im Berufsalltag berichten. Das kommt richtig gut an. Erfolggekrönt ist aber auch das Azubi-Meetup, egal ob in der Lanxess-Arena in Köln oder auf kleineren Ausbildungsmessen auch im Rhein-Erft-Kreis. Beim Azubi Meetup Handwerk lernen sich Bewerber und Unternehmer direkt und persönlich kennen. Und im besten Fall können die Bewerber direkt mit einem Praktikumsplatz in der Tasche nach Hause gehen.

Außerdem beraten die Handwerkskammer und Kreishandwerkerschaft umfassend zu den Themen Existenzgründung und Nachfolge und machen sehr attraktive Fördermittel zugänglich, die die Kosten und das Risiko deutlich abmildern. Je nach konkreter Konstellation können ja bis zu vier verschiedene Fördertöpfe genutzt werden. Last, but not least engagieren wir uns sogar auf allen politischen Ebenen, um Standortbedingungen für das Handwerk und die Handwerker zu verbessern, etwa durch Bürokratieabbau aber auch mit der Einführung von Azubi-Ticket, einer Verbesserung von Straßen und ÖPNV, der Gleichwertigkeit der akademischen und beruflichen Bildung und einer Reduzierung der Beitragslast für Betriebe.