AboAbonnieren

„Diese Taten häufen sich“So groß ist das Problem mit Rechtsextremismus in Rhein-Erft

Lesezeit 4 Minuten
Ein aufgemaltes Hakenkreuz auf einer Lärmschutzwand.

Der größte Teil rechtsextremer und rassistischer Straftaten sind Propaganda-Delikte wie Hakenkreuz-Schmierereien.

Hakenkreuze und rassistische Sprüche finden sich überall im Rhein-Erft-Kreis auf Wänden. Für eine Kerpener Initiative und die Polizei sind das keine Kavaliersdelikte.

„Kein Kölsch für Nazis“ und „Fremdenhass ist keine Meinung“ steht auf bunten Plakaten. Hunderte Menschen drängen sich auf dem Jahnplatz. Aus Boxen dröhnt Musik, die zwischen Feier- und Aufbruchsstimmung schwankt. Redner versichern sich, dass hier für nichts weniger als die Demokratie gekämpft wird. Überall in Deutschland sind die Menschen in den vergangenen Wochen gegen Rassismus auf die Straße gegangen, auch in Kerpen. Doch für viele Menschen bleibt Rassismus Alltag. Erst kürzlich hat ein Mann einem Kerpener Paar mit der Gaskammer gedroht. Wie groß das Problem rechtsextremer Straftaten ist, weiß Patrick Wittkowski vom Kerpener Verein „hab8cht“.

„Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben“, sagt Wittkowski. Das zeigt etwa das Beispiel des Kerpener Paares. „In Kerpen gibt es rassistische Delikte schon lange. Bestimmte Bereiche fallen uns immer wieder auf“, sagt der „hab8cht“-Sprecher. Eine Privatperson habe erst vor Kurzem eine Hakenkreuz-Schmiererei an einem Bolzplatz gemeldet. „Mein Gefühl ist: Diese Taten häufen sich in Kerpen. Eindeutige Beweise habe ich dafür aber nicht.“

Eine Rechtsextreme Partei war früher aktiv in Kerpen

Allerdings gibt es Hinweise darauf, wie präsent rechtsextremes Gedankengut in der Kolpingstadt ist. In den vergangenen Jahren war in Kerpen ein mittlerweile aufgelöster Ortsverband der Partei „Die Rechte“ aktiv. Der Verfassungsschutz stuft die Partei als rechtsextrem ein. Bei der Kommunalwahl 2020 stellte der Ortsverband einen Bürgermeisterkandidaten in Kerpen, der drei Prozent der Wähler überzeugen konnte.

Ehemalige Parteimitglieder der Rechten betreiben heute in Sindorf eine Beratungsstelle für medizinisch-psychologische Untersuchungen. Im Oktober entdeckten Mitglieder des SPD-Ortsverbands im Fenster der Beratungsstelle ein Plakat mit der Aufschrift „Israel mordet“. Auch wenn das Plakat durchaus antisemitische Züge habe, sei es doch nicht strafbar, sagt Wittkowski. „Die Verantwortlichen arbeiten gezielt an der Strafbarkeitsgrenze.“

Antisemitische Parolen und verunstaltete Stolpersteine in Brühl

In Brühl ist Wittkowskis Gefühl der Gewissheit gewichen. „Hier hat die Anzahl rassistischer und antisemitischer Straftaten sowie deren Qualität stark zugenommen“, sagt er. Im Dezember berichtete auch diese Redaktion über einige Vorfälle in Brühl. Darunter verunstaltete Stolpersteine und zerstörte Schilder der „Seebrücke“, die sich für sichere Fluchtwege nach Europa einsetzt. Die Initiative „Gemeinsam für Brühl“ beklagte gegenüber der Redaktion Aufkleber mit antisemitischen Parolen. Auch diese sind Wittkowski bekannt. Die Aufkleber seien an dem Gebäude entdeckt worden, in dem die Ausstellung „Leben mit Rassismus 2.0“ gastierte.

Delikte wie Hakenkreuz-Schmierereien sind laut Polizei die häufigsten Straftaten, die im Zusammenhang mit Rechtsextremismus oder Rassismus stehen. „Hakenkreuz-Schmierereien sind kein Kavaliersdelikt, kein dummer Jungenstreich. Beim Hakenkreuz handelt es sich um ein verfassungsfeindliches Symbol“, erläutert Wittkowski. „Solche Symbole verunsichern Menschen, schränken sie in ihrer Bewegungsfreiheit ein und greifen ihre Menschenwürde an.“ Zumindest für jüdische Menschen sei das Hakenkreuz verletzend und „schwer zu ertragen“. „Bildungseinrichtungen und Behörden sind gefordert, hier mehr Aufklärungsarbeit zu leisten.“ Für das Nutzen verfassungsfeindlicher Symbole drohen im schlimmsten Fall drei Jahre Freiheitsstrafe.

Anzahl rechtsmotivierter Straftaten ist 2023 in Rhein-Erft leicht gestiegen

Sorgen bereitet Wittkowski auch ein Phänomen des Internetzeitalters: Memes. Die im Internet geteilten Bilder sind meist humorvoll, können aber auch diskriminierend oder rassistisch sein. „Memes verbreiten sich sehr schnell. Es ist unmöglich, sie zu kontrollieren, wenn sie einmal im Umlauf sind“, erläutert Wittkowski. Einige Schulen hätten das bereits erkannt. „Sie sensibilisieren bereits für das Thema.“ Doch für Wittkowski muss noch mehr in Sachen Präventionsarbeit passieren. „Es hilft, wenn Menschen wissen, wo sie was anzeigen können. Helfen können auch die Meldestellen des Landes, die diskriminierende Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze aufnehmen.“

Das Land plant seit 2022, ein Netz aus Meldestellen für Diskriminierung unterhalb der Strafbarkeitsgrenze aufzubauen. Sie sollen antisemitische, queerfeindliche, antimuslimische, antiziganistische und weitere Formen von Diskriminierung erfassen. Die Meldestelle für Antisemitismus gibt es bereits. Weil die Meldestellen aber nicht von staatlichen Stellen, sondern von Vereinen betrieben werden, sind sie durchaus nicht unumstritten. Michael Bertrams, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW, fürchtet etwa, dass die Meldestellen nicht neutral sind. Ohne entsprechende Regeln könnten sich die Einrichtungen zu „Denunziationsstellen in privater Hand“ entwickeln.

Zuständig für rechtsextreme und rassistische Straftaten im Rhein-Erft-Kreis ist die Kriminalinspektion Staatsschutz der Polizei Köln. Im Jahr 2022 hat sie im Kreis 36 rechtsmotivierte Delikte erfasst. „Schwerpunkt waren 28 sogenannte Propagandadelikte, zum Beispiel Hakenkreuz-Schmierereien“, sagt Polizeihauptkommissar Christoph Gilles vom Kölner Polizeipräsidium. Gewaltdelikte habe es keine gegeben.

Außerdem seien zweimal Sachbeschädigung, zweimal Volksverhetzung und zwei Beleidigungen erfasst worden. Laut Gilles ist die Gesamtzahl der rechtsextremen Delikte 2023 leicht angestiegen. Noch unterliegen die aktuellen Zahlen dem Vorbehalt des nordrhein-westfälischen Innenministeriums. Veröffentlicht werden sie im April. Sowohl 2022 als auch 2023 hat die Polizei jeweils jede dritte rechtsmotivierte Straftat aufgeklärt.