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Tafeln im Rhein-Erft-KreisHier gibt es genug zu essen für alle

Lesezeit 10 Minuten

Christina Ebert (l.) und ihr Team warten bei der Tafel in Oberaußem auf den großen Ansturm. Die Auslage für die Kunden ist vorbereitet.

Rhein-Erft-Kreis – Die Entscheidung der Essener Tafel, keine Ausländer mehr als Neukunden anzunehmen, hat bundesweit für Diskussionen gesorgt. Die Arbeit der Tafeln geriet dadurch wieder in den Fokus.

In allen Kommunen des Rhein-Erft-Kreises sind Dutzende ehrenamtlicher Helfer unterwegs, um Beziehern staatlicher Leistungen zur Existenzsicherung das Leben etwas zu erleichtern. Auch viele Läden und Discounter helfen, indem sie Ware, die sie nicht mehr verkaufen dürfen oder die kurz vor Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums steht, an die Tafeln weiterreichen.

Tafeln wollen keine Einschränkungen vornehmen

So unterstützt seit Jahrzehnten die Lidl-Vertriebsgesellschaft mit Sitz in Kerpen-Türnich die Tafeln im Kreis. Neben den Lebensmittelspenden versucht die Kette, ihre Mitarbeiter für die Thematik zu sensibilisieren. „Wir veranstalten immer mal wieder soziale Tage“, so Heike Seul, Beauftragte für Mitarbeiter und Soziales in der Vertriebsgesellschaft. An solchen Tagen nehmen Führungskräfte und auch Azubis an Essensausgaben in Tafeln teil.

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Außerdem können Kunden Pfandgeld über Lidl direkt an die Tafeln weiterleiten. In den vergangenen fünf Jahren seien so bereits mehr als zehn Millionen Euro zusammengekommen, so Seul. Um es vorwegzunehmen: Die Tafeln im Rhein-Erft-Kreis haben keine Einschränkungen bei der Aufnahme von Neukunden vorgenommen und planen dies auch in Zukunft nicht.

Bedburg, Berheim, Elsdorf und Kerpen: So sieht es an den Tafeln aus

Hermine Moll hat eingeschweißte Wurstwaren und Hygieneartikel im Angebot.

Bedburg

Wir helfen allen, die die Voraussetzungen erfüllen, egal welcher Herkunft oder Religion. Wir begegnen allen unseren Kunden auf Augenhöhe, mit Respekt und Wertschätzung“, sagt Heinz Köllen, Leiter der Bedburger Tafel, stellvertretend für alle. Wenn es allerdings zu einem Fehlverhalten komme, müsse man ebenfalls ohne Ansehen der Person konsequent handeln. Köllen bemängelt die Öffentlichkeitsarbeit im Fall der Essener Tafel: „Wenn Probleme auftauchen, muss man die intern lösen.“

Bergheim

Manchmal müsse man eingreifen, weiß auch Hans-Werner Hader von der Bergheimer Tafel. Das sei immer schon so gewesen, auch vor 2015 und dem Einsetzen der Flüchtlingswelle, als der Ausländeranteil noch sehr gering gewesen sei. Im Großen und Ganzen aber erführen die Helfer, die alle ehrenamtlich tätig seien, viel Zuspruch und Dankbarkeit bei ihrer Tätigkeit. Hader stellt klar, dass die Tafeln nicht da seien, um die Existenz der Menschen zu sichern. „Wer Leistungen der Sozialhilfe erhält, muss in Deutschland nicht hungern. Wir wollen den Menschen nur helfen, den ein oder anderen Euro einsparen zu können.“

Bei einem Besuch der Ausgabestelle in Oberaußem zeigen sich die Kunden sehr diszipliniert. Nummern werden an die Wartenden vergeben, dann werden sie in kleinen Gruppen vorgelassen, sie entrichten ihren Ein-Euro-Beitrag und gehen zur Warenausgabe: Brot, Obst, Gemüse, eingeschweißte Wurstwaren, Molkereiprodukte, Süßigkeiten, auch Hygieneartikel. Das Angebot ist reichlich. Es sei nicht immer gleich, klärt Teamleiterin Christiane Ebert auf. Es komme eben immer darauf an, was die Supermärkte gerade abgeben.

Elsdorf

„Die Ware wird weniger“, stellt Dieter Buschmann in Elsdorf fest. Die Märkte kalkulierten mittlerweile anders als noch vor wenigen Jahren und versuchten über Sonderangebote, noch Artikel zu verkaufen, die sonst an die Tafeln abgegeben worden seien. Größeres Konfliktpotenzial zwischen deutschen und ausländischen Kunden sieht Buschmann nicht. „Als die Zahl der Flüchtlinge plötzlich angestiegen ist, sind ein paar unserer deutschen Kunden eine Zeit lang nicht mehr gekommen, aber das hat sich inzwischen wieder eingependelt, zumal der Ausländeranteil sinkt.“

Kerpen

Das stellt auch der Leiter der Kerpener Tafel, Manfred Pillen, fest. Zeitweise habe der Ausländeranteil bei rund 70 Prozent der Kundschaft gelegen. „Inzwischen hat sich das Verhältnis fast umgekehrt“, sagt er. Bei anderen Tafeln liegt der Ausländeranteil zwischen 40 und 50 Prozent. Ansonsten gebe es bei derKerpener Tafel klare Regeln, an die sich alle unabhängig von der Herkunft halten.

So ist die Situation in Wesseling, Brühl und Erftstadt

Christa Döhler (r.) und Erika Schnettker bedienen die Kunden in der, wie sie sagen, „Boutique“ der Bergheimer Tafel.

Wesseling

„Klar kommt es vor, dass wir zu wenig haben. Es gibt aber auch Tage, da haben wir zu viel Lebensmittel.“ Von Ausschreitungen gegen Mitarbeiter wie in Essen kann Angelika Schaefer, Vorsitzende der Wesselinger Tafel, nicht berichten. Aber Streit komme gelegentlich unter den Bedürftigen schon auf. „Neider gibt es immer. Da gibt es schon mal Bemerkungen, wenn beispielsweise einer keinen Blumenkohl mehr bekommt. Das muss man dann erklären, und die Leute haben dann auch ein Einsehen.“

150 Bedürftige können sich zweimal wöchentlich bei der Wesselinger Tafel versorgen. Gegen eine Gebühr von fünf Euro bekommen sie Lebensmittel für sich und ihre Familien, die von 14 Geschäften in Wesseling gespendet werden.

Mariam Ghazi ist eine von 15 ehrenamtlichen Helferinnen, die fast täglich in der Tafel beim Einräumen und Verteilen der Lebensmittel hilft. „Wir haben rund 50 Prozent Deutsche und Russen, die kommen, und rund 50 Prozent Flüchtlinge“, sagt die Libanesin, die vor 17 Jahren nach Deutschland gekommen ist und mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Ihre Arabischkenntnisse sind im Umgang mit den Flüchtlingen Gold wert. „Die Leute kommen ja nicht nur wegen der Lebensmittel“, sagt die Frau, die seit zehn Jahren bei der Tafel hilft und auch Mitglied des Integrationsrates ist.

„Die Leute haben ja auch Fragen, was ihr Leben in Deutschland betrifft.“ Häufig brächten sie Post von Behörden mit und bäten darum, den Inhalt der Schreiben übersetzt zu bekommen, oder suchten Rat. Dass manchmal wegen der Verteilung der Lebensmittel gestritten werde, sei auch schon vorgekommen, bevor so viele Flüchtlinge hier gewesen seien.

Schaefer sagt, es sei richtig, die Mitarbeiter vor Anfeindungen zu schützen, sie hätte aber die Tafel für alle Bedürftigen eine Weile geschlossen statt nur für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe.

Brühl

In der Brühler Tafel an der Bonnstraße verläuft die Essensausgabe in der Regel friedlich. „Die meisten Kunden sind sehr dankbar und gut gelaunt“, sagt Valery Barkan. Er leistet in der Einrichtung seinen Bundesfreiwilligendienst ab. Hin und wieder gebe es Nörgler – Deutsche wie Ausländer. Bernt-Walther Ernst, einer Ehrenamtler des Tafel-Teams, berichtet auch von Problemen: „Die Ansprüche der Kunden sind sehr hoch. Die Tafel sei kein Supermarkt. Manchmal beschwerten sich die Kunden über die Auswahl. Das Team der Ehrenamtler könne aber nur das verteilen, was da sei – und auch nur so viel, wie da sei, sagt Hildegard Kiehnel. Bei der Essensausgabe müsse jeder Kunde eine Wartenummer ziehen. Das rufe hier und da Unmut hervor – in den letzten Jahren häufiger.

Die Diskussion um die Essener Tafel findet das Team überzogen. Positiver Effekt sei aber, dass die Arbeit der Einrichtungen wieder mehr Aufmerksamkeit bekomme. Auch das Problem der Rentnerarmut rücke stärker in den Vordergrund. „Armut bekämpfen können wir aber nicht, sondern nur lindern“, sagt Kiehnel. Die Arbeit der Ehrenamtler sei hart, vor allem körperlich. Man müsse viele Stunden in der Woche stehen oder Kisten schleppen.

Wer bei der Tafel Lebensmittel erhalten wolle, müsse nachweisen, dass er bedürftig sei. Beim ersten Besuch müssten sich alle Kunden mit Ausweis registrieren, die Daten würden digital erfasst. Dann bekomme man den Tafel-Pass. Pro Monat müssen die Kunden acht Euro bezahlen, das wird per Stempel auf dem Ausweis quittiert. Durch die digitale Erfassung können die Mitarbeiter kontrollieren, ob ein Kunde am Ausgabetag bereits da war. Ein Scan des QR-Codes auf dem Ausweis genügt.

Erftstadt

Entspannt, geordnet, beinahe familiär geht es beim Verteilen von Brot, Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln an den Ausgabestellen der Erftstädter Tafel zu. In Liblar, wo ein städtisches Gebäude genutzt wird, im Kierdorfer Schützenheim und im Lechenicher Pfarrheim St. Kilian trägt dazu neben dem freundlichen Umgangston der Helfer auch ein etabliertes Vergabesystem bei. Jeder der insgesamt rund 250 Bedürftigen hat einen Ausweis, der über die Anzahl der Erwachsenen und Kinder im Haushalt Auskunft gibt. Die Angaben beruhen auf Daten der Stadtverwaltung.

„Das schließt Betrug nahezu aus“, sagt Sabine Ricken, stellvertretende Sprecherin der Erftstädter Tafeln. Die Ausweise haben aber noch eine weitere Funktion: Sie landen vor jeder Lebensmittelausgabe in einer Lostrommel, die Ziehung bestimmt dann die Reihenfolge, in der die Bedürftigen die gespendeten Produkte erhalten. „Vordrängeln würde also gar nichts bringen“, sagt Günter Hansen, der seit sechs Jahren zum Helferteam in Liblar zählt und wie seine Frau Ursula dem ehrenamtlichen Engagement rund zehn Stunden pro Woche widmet.

Die Auslosung hat einen weiteren positiven Effekt: Die Menschen, von denen zwei Drittel ausländische Wurzeln haben, kommen erst kurz vor Beginn der Ausgabe. „Früher haben sich Anwohner manchmal über den Lärm der Wartenden beschwert. Das ist nun vorbei“, sagt Ricken. Junge Männer müsse man manchmal zurechtstutzen, aber insgesamt benähmen sich alle Bedürftigen ordentlich. „Wir dürfen jedoch auch nicht so hochmütig sein und unsere Einrichtung mit denen in Großstädten wie Essen vergleichen“, meint Sabine Ricken. Das sei eine ganz andere Dimension, die ganz andere Problemen nach sich ziehen könne.

So arbeiten die Tafeln in Frechen, Hürth und Pulheim

Die Frechener Tafel gibt pro Woche etwa drei Tonnen Lebensmittel an bedürftige Menschen aus.

Frechen

„Die Probleme in Essen betreffen uns nicht“, sagt Josef Borchard von der Tafel in Frechen, „hier bei uns läuft alles friedlich ab.“ Zur Lebensmittelausgabe kämen in der Regel 80 bis 90 Bedürftige. Borchard schätzt, dass etwa ein Drittel der Kunden einen Migrationshintergrund haben.

„Wir haben hier überhaupt keine Probleme“, sagt Borchard, „es ist aber wichtig, die Leute mitzunehmen.“ So helfen an den Ausgabetagen auch viele der Kunden dabei, die Lebensmittel abzuholen. Im Tafel-Laden komme es nie zu Aggressionen oder zu Gedrängel. Das liegt auch daran, dass jeder Kunde zunächst eine Wartemarke erhält und dann alle nach der Reihe bei der Ausgabe berücksichtigt werden. Vordrängeln ist so gar nicht möglich.

„Wir haben außerdem genug Lebensmittel für alle“, sagt Borchard. Pro Woche werden etwa drei Tonnen Lebensmittel ausgegeben. Zudem habe die Frechener Tafel genug Helferinnen und Helfer, die mit Spaß bei der Sache sind: „Sogar Bürgermeisterin Susanne Stupp hilft einmal im Monat.“

Die Frechener Tafel hat sich dazu entschlossen, die Hilfe nicht allzu bürokratisch zu gestalten. „Am Anfang haben wir noch überprüft, ob die Leute auch wirklich arm genug für die Tafel sind“, sagt Borchard. Heute mache man das nicht mehr: „Wer genug Geld hat und sich hier anstellt, um zwei Stunden auf Lebensmittel zu warten – der macht das einmal und nie wieder.“

Hürth

„Die Tafel funktioniert reibungslos“, freut sich Werner Schürholz, Vorsitzender des Tafelvereins. Rund 800 Bezugsberechtigte stehen in der Kartei, an 270 bis 300 Familien in der Woche werden gespendete Lebensmittel ausgegeben.

„Es hat früher schon mal Rangeleien gegeben“, sagt Werner Schürholz, „aber seit wir die Kunden in Gruppen aufgeteilt haben, die an unterschiedlichen Tagen kommen, bereitet uns das keinen Kummer mehr.“ Unter den Tafelkunden stellen Flüchtlinge eine große Gruppe, auch viele Senioren sind auf die Lebensmittelspenden angewiesen. Probleme wie in Essen gebe es in Hürth aber nicht.

Pulheim

Um die 200 Kunden zählt die Malteser-Tafel, die kürzlich ihre neuen Räume an der Steinstraße 6, eröffnet hat. Zweimal pro Woche, jeweils dienstags und freitags von 14 bis 15.30 Uhr, geben die ehrenamtlichen Helfer dort Lebensmittel aus. ,„Zwei Drittel sind Familien mit Kindern, vereinzelt sind Flüchtlinge darunter“, der Rest seien ältere Mitbürger, sagt der Malteser-Stadtbeauftragte Georg Freiherr von Mylius.

Eine Situation wie in Essen hat es in Pulheim nicht gegeben. „Es deutete sich an, dass es zu Spannungen kommen könnte, wir haben das Thema in der Leitungsrunde diskutiert und früh reagiert“, sagt von Mylius über die Phase, als vermehrt Menschen mit Migrationshintergrund in die Stadt kamen. „Wir haben den Haus-Paten, die die Flüchtlinge betreuen, angeboten, ihnen die Lebensmittel zu bringen.“ Zum Teil werde das Angebot angenommen, zum Teil holten die Haus-Paten die Lebensmittel ab. „Mit dieser Lösung sind wir sehr gut gefahren.“

Das Angebot an Lebensmitteln schwanke saisonal, sei aber im Prinzip auskömmlich und konstant. „Nur wenn Ferien oder Feiertage sind, schwankt es zwischen extrem zu viel und zu wenig.“ Mit den Lebensmitteln, die ihr zur Verfügung stehen, könne die Tafel ihre Kunden so versorgen, dass es sich für sie lohne, zu kommen.

„Unser Ziel ist es, aus einem Euro zehn zu machen“, sagt von Mylius. Gemeint ist: „Unsere Kunden zahlen einen symbolischen Betrag, zwei Euro. Wir taxieren die Tüten so, dass sie Lebensmittel im Wert von 20 Euro enthalten.“ Das sei ein echtes Geschenk, das die Tafel den Bedürftigen mache.

Seit dem Umzug von der Escher Straße an die Steinstraße 6 Ende Februar muss die Malteser-Tafel eine deutlich höhere Miete – 1600 Euro – stemmen. „Sie ist aber durch Spenden gedeckt.“ Allerdings sei die Tafel auf weitere Spenden angewiesen, um die Nebenkosten zu decken. „Wir geben pro Monat 500 Euro für die Entsorgung aus, das ist der zweithöchste Posten, 150 Euro für Diesel, das ist der dritthöchste Posten, hinzu kommt noch Strom.“

Bedarf hat die Malteser-Tafel an weiteren Fahrern. Sieben sind zurzeit im Einsatz, um die Lebensmittel abzuholen. Kontakt: 02238/9699263.