„Uns droht die finanzielle Blockade“Kommunen im Rhein-Erft-Kreis hart getroffen
Rhein-Erft-Kreis – Millionenschwere Steuerausfälle, hohe Ausgaben: Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie treffen die Kommunen hart. Städte mit hohem Steueraufkommen wie Hürth und solche mit weniger Steuereinnahmen wie Erftstadt leiden unterschiedlich – die Folgen spüren aber alle. Andreas Engels und Ulla Jürgensonn befragten dazu die beiden Stadtkämmerer Marco Dederichs (Hürth) und Dirk Knips (Erftstadt).
In Hürth sollen 2021 weder Steuern erhöht noch Leistungen gekürzt werden. Der Erftstädter Haushalt ist noch nicht eingebracht, aber die CDU hat schon gesagt, dass es keine Steuererhöhungen geben wird. Alles also halb so schlimm?
Marco Dederichs: Von einer Entspannung der Lage oder nur geringen Auswirkungen kann derzeit nicht die Rede sein. Die Gewerbesteuern werden in der Regel zeitverzögert festgesetzt, insofern zeigen bereits die Anpassungen der Vorauszahlungen für 2020 eine deutlich angespannte Wirtschaftslage. Zudem wurden im Frühjahr zahlreiche Stundungsanträge von Unternehmen gestellt. All dies spricht dafür, dass auch in den kommenden Jahren nicht mit Steuereinnahmen in Höhe der Vorjahre gerechnet werden darf. Wir haben reagiert und deutlich geringere Steuereinnahmen veranschlagt.
Dirk Knips: Die Corona-Krise löst einen ökonomischen Schock aus, der zur stärksten Rezession der bundesdeutschen Geschichte werden kann. Da die Kommunen haushaltsrechtlich sehr viel enger gebunden sind als Bund und Länder, droht uns bereits kurzfristig die finanzielle Blockade. Die stärksten Auswirkungen für die Stadt Erftstadt entstehen auf der Einnahmen-Seite. Die drei wichtigsten Finanzierungsquellen der Stadt sind Zuweisungen, Steuern und Gebühren. Alle drei Einnahmearten sind von der Wirtschaftskrise betroffen. Das größte Risiko liegt jedoch bei der Gewerbesteuer und dem Anteil der Einkommenssteuer. Je stärker die Gewerbesteuer in den Vorjahren war, desto größer ist nun das Risiko. Über die quartalsweisen Vorauszahlungen dieser Steuer wird die Wirtschaftskrise sehr schnell in den Haushalten spürbar. Und das auch in Erftstadt.
Wie steht die Stadt denn aktuell finanziell da?
Dederichs: Die Jahresergebnisse der Vorjahre haben dazu geführt, dass die Ausgleichsrücklage aufgefüllt werden konnte. Dies hilft in der jetzigen Situation. Insgesamt weist Hürth in allen Planjahren Defizite aus. Dies war im Haushalt 2020 noch anders. Seinerzeit konnten erstmals seit langem planmäßige Überschüsse ausgewiesen werden. Ziel muss es sein, kurzfristig wieder einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.
Knips: In der Vergangenheit konnten wir die Jahresabschlüsse immer besser abschließen als wir es mit den Haushaltsplanungen prognostiziert hatten. Ob uns das auch im Jahr 2020 gelingen wird, wage ich aktuell zu bezweifeln. Vorsichtig geschätzt, gehe ich für das Jahr 2020 von Einnahmeausfällen in einem Millionenbetrag aus.
An welchen Stellen bekommt der Kämmerer die Auswirkungen der Pandemie zu spüren?
Dederichs: Spürbar werden die Auswirkungen der Pandemie insbesondere im Bereich der Gewerbesteuer und den Gemeindeanteilen an der Einkommen- und Umsatzsteuer. Diese Steuerarten sind stark abhängig von der konjunkturellen Entwicklung. Weitere Ertragsausfälle sind in den städtischen Einrichtungen – Schwimmbad, Bürgerhaus – zu verzeichnen, die im Zuge des Lockdowns geschlossen werden mussten. Höhere Kosten entstehen insbesondere im Bereich der Reinigungsleistungen für städtische Gebäude – Schulen, Kindergärten, Rathaus – und für die Beschaffung von Hygieneartikeln wie Schutzmasken, und Desinfektionsmittel.
Knips: Grundsätzlich auf allen Ebenen. Ganz besonders wirkt sich die Pandemie auf Gewerbesteuer und Einkommensteuer aus. Aber auch auf der Ausgabenseite ist durch die höheren Anforderungen zum Beispiel bei der Hygiene mit Mehraufwendungen zu rechnen. Es werden aber auch Beiträge und Gebühren für städtische Leistungen ausgesetzt, da die Stadt ihre Leistungen nicht mehr vollständig erbringen kann.
Können Sie die Einnahmeausfälle schon beziffern?
Dederichs: Den größten Ertragsausfall haben wir in diesem Jahr bei der Gewerbesteuer mit 5,6 Millionen Euro und bei der Einkommensteuer mit 2,7 Millionen Euro. Bei den Elternbeiträge für Kita und OGS werden 700 000 Euro fehlen, bei anderen städtischen Einrichtungen 500 000 Euro. Für 2021 haben wir den Gewerbesteueransatz um acht Millionen Euro, die Einkommenssteuer um vier Millionen und die Umsatzsteuer um eine Million nach unten korrigiert.
Knips: Für das Jahr 2020 gehe ich allein bei der Gewerbesteuer und beim städtischen Anteil der Einkommenssteuer von rund zwei Millionen Euro aus. Dies ist im Vergleich zu anderen Kommunen moderat. Darüber hinaus brechen uns Einnahmen bei den Gebühren und Beiträgen weg.
Und wie sieht es mit den zusätzlichen Ausgaben aus?
Dederichs: Mehraufwendungen sind 2020 in folgenden Bereichen angefallen: Reinigungsleistungen 250 000 Euro, Hygieneartikel 120 000 Euro und für die Umsetzung der Corona-Schutzverordnung 60 000 Euro.
Knips: Neben den Mehraufwendungen im Bereich der Hygiene werden sicherlich auch die Sozialausgaben steigen. Besonders hart werden uns aber die nächsten Jahre treffen. Als gewerbesteuerschwache Kommune sind wir auf Zuweisungen des Landes angewiesen. Diese werden in diesem Jahr noch voll ausgezahlt. Für die nächsten Jahre plane ich jedoch mit größeren Ausfällen dieser Zuweisungen.
Der Bund will Steuerausfälle ausgleichen. Reicht das?
Dederichs: Zunächst ist die Übernahme der Steuerausfälle für das Jahr 2020 ein positives Signal. Für die Folgejahre wird dies nach aktuellem Stand nicht erfolgen. Für mich wäre eine dauerhafte Entlastung der Kommunen wünschenswert.
Knips: Es kann sein, dass unsere Gewerbesteuerausfälle für das Jahr 2020 ausgeglichen werden. Für das Jahr 2020 sind das rund 1,7 Millionen Euro. Die nächsten Jahre werden uns hart treffen, da uns dann die Zuweisungen des Landes fehlen werden.
Mehrbelastungen im kommenden Jahr sollen die Kommunen über einen Zeitraum von 50 Jahren abschreiben können. Löst das die Finanzprobleme?
Dederichs: Zunächst steht den Kommunen ein Wahlrecht zu, die Mehrbelastungen ab 2025 über einen längeren Zeitraum abzuschreiben oder diese gegen das Eigenkapital zu buchen und somit unmittelbar zu eliminieren. Für beide Lösungen gibt es gute Argumente. Eine Lösung des Problems ist das aber nicht. Die Stadt trägt nach wie vor alle Mehrbelastungen, wenn auch verteilt auf einen längeren Zeitraum. Ich bin dennoch der Auffassung, dass jede Generation die Probleme ihrer Zeit selbst zu lösen hat. Insofern kann ich der kurzfristigen Abschreibung der Mehrbelastungen durchaus etwas abgewinnen.
Knips: Buchungstechnisch können damit die direkten Auswirkungen abgemildert werden. Das tatsächliche Barvermögen wird dadurch aber nicht verbessert. Die höheren Kassenkredite verbleiben bei der Stadt. Durch diesen, ich nenne es mal „Buchungstrick“, werden Lasten der aktuellen Generation zu Lasten der künftigen Generation verteilt. Dies verschiebt das Problem nur in die Zukunft.
Welche Langzeitfolgen könnte die Pandemie für den Stadtsäckel haben?
Dederichs: Die Mehrkosten für Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie sind nicht dauerhafter Natur. Ich bin zuversichtlich, dass diese zusätzlichen Belastungen absehbar nicht mehr auftreten werden. Die Auswirkungen auf die Steuereinnahmen können länger Wirkung entfalten. Ob und in welchem Umfang sich die Wirtschaft erholen wird, kann ich nicht prognostizieren. Die Einschnitte sind massiv und betreffen deutlich mehr Branchen, als dies 2009 im Rahmen der Wirtschaftskrise der Fall war. Dies lässt darauf schließen, dass die Auswirkungen noch mehrere Jahre spürbar sein werden.
Knips: Durch die in den kommenden Jahren wegbrechenden Einnahmen wird die Verschuldung der Stadt Erftstadt wohl noch weiter zunehmen. Sollten dann noch die Zinsen ansteigen, ist die Belastung für ärmere Kommunen deutlich höher als für finanzkräftige Kommunen.
Müssen die Bürger also für die Zukunft doch mit Steuererhöhungen und Leistungseinschränkungen rechnen?
Dederichs: Steuererhöhungen sind das letzte Mittel. Ich gehe davon aus, dass in den kommenden Jahren keine Erhöhung notwendig wird. Auch die Reduzierung des Leistungsangebots ist in den derzeitigen Planungen nicht vorgesehen. Dies ist möglich, weil in den Vorjahren die Ausgleichsrücklage aufgefüllt werden konnte.
Knips: Definitiv sagen kann ich das nicht. Es muss immer das letzte Mittel sein.
Das könnte Sie auch interessieren:
Kommen die ärmeren Kommunen letztlich besser durch die Krise als die Städte, die zu normalen Zeiten auf höhere Steuereinnahmen zurückgreifen können?
Dederichs: Kommunen, die einen Anteil ihrer Finanzkraft durch Schlüsselzuweisungen bestreiten, haben zumindest die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie für diesen Teil der Erträge nicht zu befürchten. Hier wirken die Verteilmechanismen des Kommunalen Finanzausgleichs eher krisenresistent. Man kann also festhalten, dass steuerstarke Kommunen zumindest anfälliger für derartige Krisen sind.
Knips: Auf den ersten Blick könnte man das sagen, da die Auswirkungen im Pandemie-Jahr 2020 für finanzstarke Kommunen deutlich härter sein werden. Finanzstarke Kommunen werden sich aber wohl auch schneller von den Folgen erholen, da sie nicht mit Altschulden zu kämpfen haben werden. Bei armen Kommunen, wie es Erftstadt ist, werden die Folgen jedoch über Jahre hinweg anhalten und zu weiteren Schulden führen. Damit verbunden sind weitere Restriktionen in der Haushaltsführung und weitere Einsparungen bei den Investitionen. Dies führt langfristig zu einer deutlich schlechteren Ausgangsposition.