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Nach 80 JahrenAmerikanische Familie besucht in Rheinbreitbach und Erpel den Ort des Geschehens

Lesezeit 4 Minuten
Die Familie Lehman aus den USA am Rhein auf Spurensuche (von links): Robert, Kim, Dave und Alex beim Besuch der Brückentürme in Erpel.

Die Familie Lehman aus den USA am Rhein auf Spurensuche (von links): Robert, Kim, Dave und Alex beim Besuch der Brückentürme in Erpel.

Kurz vor Kriegsende wurde im März 1945 der GI Guy Lehman spektakuläre aus der Luft gerettet. Vier Familienangehörige begaben sich auf Spurensuche. 

Mittwoch, 21. März 1945. Vor zwei Wochen sind US-Soldaten über die Brücke von Remagen über den Rhein gelangt. GI Guy Lehman lenkt einen Jeep durch Bonn-Hoholz. Mit Widerstand der deutschen Armee ist eigentlich nicht mehr zu rechnen. Dann, auf einer Kreuzung, explodiert neben dem Jeep doch eine Granate. Lehman und zwei Offiziere im Auto werden verletzt. Tags darauf wird der 21-Jährige als einer von nur 24 in einer spektakulären Aktion von Rheinbreitbach ausgeflogen.

Aus Charlotte und Indianapolis angereist

Samstag, 8. März 2025. Fast genau 80 Jahre später besuchen seine Nachkommen den Ort. Guy Lehmans Tochter Kim, ihr Mann Dave Johnson und beider Sohn Alexander Guy sowie Kims Bruder Robert Lehman sind aus Charlotte in North Carolina, aus Indianapolis im Bundesstaat Indiana und aus Washington nach Deutschland gereist.

Auf den Spuren des Vaters und Großvaters folgen sie den Wegen, die Guy Lehman vor 80 Jahren im fernen Rheinland genommen hat. „Das ist eine ziemlich emotionale Sache“, sagt Kim Lehman, die sich wie alle in der kleinen Gruppe „über die Maßen über die Reise freut“.

Ralf Klodt hat es übernommen, Guy Lehmans Nachkommen herumzuführen. Der Pressefotograf und leidenschaftliche Heimatforscher hat gründlich recherchiert und derart viele Details aufgespürt, dass die kleine Reisegruppe einen ziemlich guten Eindruck von den 13 Tagen bekommt, die der Vorfahre im Rechtsrheinischen erlebte. Sie endeten mit einem wohl reichlich holprigen, sehr abrupten und dennoch gelungenen Start – festgeschnallt auf eine Trage in einem Gleitflugzeug.

Szenen von der in Europa einmalig stattgefunden „glider evacuation“ in Rheinbreitbach am 22. März 1945. Dieses Foto stammt vom US Army-Fotografen Malcolm L. Fleming.

Szenen von der in Europa einmalig stattgefunden „glider evacuation“ in Rheinbreitbach am 22. März 1945. Dieses Foto stammt vom US Army-Fotografen Malcolm L. Fleming.

Donnerstag, 22. März 1945. Guy Lehman, Mitglied der 78. Infantry Division, ist nach dem Angriff auf seinen Jeep in ein mobiles Zelt-Spital gebracht worden. Das hat die US-Armee in Rheinbreitbach halbwegs nach Scheuren aufgeschlagen. Es steht nur kurze Zeit nördlich des Betonplattenwegs zwischen B 42 und Neuwieder Straße. Von dem Sanitäts-Zeltlager ist heute ebenso wenig übrig wie von dem Behelfslandeplatz zwischen Platten-Feldweg und Mühlenweg.

Den haben US-Truppen in einer Hauruck-Aktion mit Bulldozern planiert. Heute verläuft die B 42 darüber hinweg. Das vielleicht 100 Meter lange Landefeld befand sich etwas südlich des Mühlenwegs. Eine Tafel mit Fotos erinnert dort an den abenteuerlichen Glider-Pickup am 22. März. Und der ging so: Vormittags kommen aus Frankreich zwei Transportflugzeuge vom Typ Douglas C-47, im Schlepp jeweils ein Gleitflugzeug Waco CG-4. Die beiden Gleiter sind mit medizinischem Material beladen und imstande, auf dem kurzen Feld zu landen. Transportflugzeuge können das nicht, auf dem nächsten richtigen Flugplatz bei Eudenbach sind noch deutsche Truppen.

Unser Vater hat eigentlich nicht viel aus der Kriegszeit erzählt. Er war da eher zurückhaltend
Kim Lehman, Tochter des GI Guy Lehman

24 Verletzte werden auf die Gleiter verteilt, 23 Amerikaner und ein Deutscher. Unterdessen kreisen die C-47 über dem Rheintal. Es folgt der spektakulärste Teil der Aktion: Die Gleiter werden nacheinander ans nördliche Ende des Feldes gebracht, die Nase Richtung Scheuren. Ein Schleppseil ist am Bug befestigt. Das andere Ende wird weit voraus so zwischen zwei Masten aufgehängt, dass es sich aus der Luft ergreifen lässt. Dazu ist unter der seitlichen Frachttür des Transporters ein Ausleger befestigt, aus dem ein Stahlseil hängt.

Ein Haken am Ende soll die Gleiter-Schleppleine einfangen. Eine Bremse dafür, dass das Stahlseil erst flott, dann langsamer abrollt, um den Ruck abzufedern, der ansonsten womöglich den Gleiter zerrisse.

Dennoch muss der Start heftig gewesen sein. Nach gut 50 Metern sind die Gleiter in der Luft, und die beiden C-47 steigen mit Vollgas erst nach Süden, drehen dann über den Rhein ab ins nahe Dünstekoven. Dort ist das nächste Armee-Lazarett, und von dort aus geht es weiter in richtige Krankenhäuser weiter im Westen.

Das einzige Foto von GI Lehman in Uniform.

Das einzige Foto von GI Lehman in Uniform.

„Unser Vater kam nach Belgien“, sagt Kim Lehman. Er hat drei Granatsplitter im Körper. Zwei lassen sich entfernen, einer sitzt derart nah an den Stimmbändern, dass die Ärzte auf eine Operation verzichten. Robert Lehman: „Er hätte sonst nicht mehr sprechen können.“ Und Kim Lehmann ergänzt: „Unser Vater hat eigentlich nicht viel aus der Kriegszeit erzählt. Er war da eher zurückhaltend.“ Umso wertvoller sei daher der Besuch an Ort und Stelle.

Eine Überraschung hat Ralf Klodt parat, als er den Gästen am Ort des Feldhospitals ein Foto zeigt. Darauf zu sehen ist eine Gruppe Army-Krankenschwestern, die in jenen Tagen 1945 eben nach Unkel gekommen sind und auf der Rheinpromenade in die Kamera lächeln. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich mindestens eine von ihnen um Ihren Vater gekümmert hat.“

Die kleine Reisegruppe ist sehr berührt von der lebendig gewordenen Vergangenheit, obwohl deren äußerliche Spuren kaum mehr wahrnehmbar sind. Anders war das tags zuvor in Remagen bei den Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Rheinüberquerung. Kim Lehman: „Das war wirklich eine sehr berührende Veranstaltung.“ Dort hat Guy Lehman am 9. März gegen 10.30 Uhr zum ersten Mal seinen Jeep über die Eisenbahnbrücke gefahren, die am 17. März einstürzen sollte.

Fünf Tage später überquert er den Fluss verletzt und festgeschnallt auf einer Trage in vielleicht 200 Metern Höhe zum letzten Mal – auf dem Weg fort von der Front.