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Nachbar gibt den Staatsanwalt86-Jährige landet wegen Streit um Gartenzaun vor Gericht

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann schneidet eine Hecke im Garten. (Symbolbild)

Ein Mann aus Much brachte seine 86-jährige Nachbarin vor das Siegburger Strafgericht. Auslöser: ein Streit um eine Hecke. (Symbolbild)

Zum ersten Mal in ihrem Leben musste sich die Witwe vor einer Strafrichterin verantworten. Ihr gegenüber, auf dem Stuhl der Staatsanwaltschaft, der Nachbar.

Seit fast 15 Jahren schwelt ein Nachbarschaftsstreit um eine Grundstücksgrenze in Much. Nach einem Vergleich vor dem Zivilgericht gab es eine Schlichtung beim Schiedsmann, der nach zwei Stunden entnervt konstatierte: „In keinem der Punkte wurde Einigung erzielt.“ Nun folgte ein Prozess vor dem Siegburger Strafgericht. Das Besondere: Der Nachbar hatte seine betagte Kontrahentin mit einer Privatklage auf die Anklagebank gebracht.

Die ist mittlerweile 86 Jahre alt und geistig noch völlig klar, nur das Gehör lässt langsam nach. Zum ersten Mal in ihrem Leben musste sich die Witwe, onduliert, mit Perlenkette und im schicken Sommerkleid, vor einer Strafrichterin verantworten. Ihr gegenüber, auf dem Stuhl der Staatsanwaltschaft, der Nachbar, etwa Mitte 60, in feinem Zwirn. Der fungiert in seiner Privatklage als Ankläger. In der Mitte die vergleichsweise junge Richterin Julia Dibbert.

Siegburger Amtsgerichtsdirektor kann sich an eine Privatklage vor Jahrzehnten erinnern

Diese Konstellation ist so selten, dass die Richterin zunächst mit erfahrenen Kollegen im Amtsgericht Siegburg Rücksprache hielt. Nur einer, der Amtsgerichtsdirektor Ulrich Feyerabend, hatte jemals ein Urteil auf Basis einer Privatklage gesprochen, das aber sei schon Jahrzehnte her, teilte die Pressestelle des Amtsgerichts auf Nachfrage der Redaktion mit.

Im deutschen Strafprozessrecht ist dieses Instrument dann vorgesehen, wenn eine Schiedsverhandlung scheitert und danach eine der Streitparteien ihr Interesse an der Strafverfolgung anmeldet, die Staatsanwaltschaft aber kein öffentliches Interesse sieht. Der Privatkläger sollte recht gut bei Kasse sein.

Privatkläger muss mit mindestens 1000 Euro Kosten rechnen, wenn er verliert

Er muss nicht nur die Verfahrenskosten zahlen, bei einem Verhandlungstag mit wenigen Zeugen um die 200 Euro, sondern auch einen wesentlich höheren Betrag als Sicherheitsleistung bei Gericht hinterlegen - für die Anwaltskosten des Verklagten.

Die können sich für einfache Verfahren laut Experten im Misserfolgsfall schnell auf 750 bis 1500 Euro summieren. Und der ist nicht unwahrscheinlich: Nur sechs Prozent aller Verfahren bundesweit wurden laut einer Studie des rechtswissenschaftlichen Instituts der Universität Tübingen von den Klägern gewonnen.

Frau aus Much soll Nachbarn als „Drecksack“ und „faul“ bezeichnet haben

Was hat nun der Nachbar der 86-Jährigen vorgeworfen? Es ging lediglich um Beleidigungen, die sie während der Schiedsverhandlung geäußert haben soll. Die Rentnerin soll ihn unter anderem als „Drecksack“, „faul“ und als „Lügner“ bezeichnet haben.

Die Angeklagte räumte das erste Schimpfwort zwar ein, sie habe aber nur die Vorbesitzerin des Hauses zitiert, die ihr gegenüber gesagt habe: „Wir mussten verkaufen, aber eines kann ich dir sagen, der Herr ist ein Drecksack.“ Laut ihrem Strafverteidiger habe er schon diverse andere Bewohner des Örtchens mit 90 bis 100 Anzeigen überzogen, unter anderem wegen Falschparkens. Der Privatkläger habe offenbar „Freude am Streit“, für dessen Klage gebe es „kein sachlich begründetes Interesse“.

Die Verwendung des Begriffes „Drecksack“ in einem Zitat sei nicht strafbar, stellte Richterin Dibbert klar. Sie bat den Schiedsmann in den Zeugenstand. Es sei ein schwieriger Termin gewesen, die Stimmung aufgeheizt, der Ton zunehmend aggressiv, berichtete der 58-Jährige. Er sei damals noch neu im Ehrenamt gewesen.

An den „Drecksack“ könne er sich erinnern, aber nicht an den genauen Zusammenhang; es sei möglich, dass das Wort indirekt zitiert wurde. Andere Beleidigungen seien ihm nicht präsent, es sei aber auch alles schon fast drei Jahre her. Zudem hätten alle an diesem Tag Mitte Oktober 2021 wegen Corona Masken tragen müssen, was die Verständlichkeit erschwert habe.

Der Zaun zwischen den Gärten steht immer noch nicht, der Nachbar hat nur ein Loch in meine Hecke geschnitten
Die Angeklagte Mucherin (86) vor dem Amtsgericht Siegburg

Die zweite Zeugin, 64-jährige Lebensgefährtin des Privatklägers, wollte sich hingegen genau an die Schimpfworte erinnern können. Auf Nachfrage der Richterin sagte sie, dass fast alle Beteiligten keine Masken trugen, bis auf die 86-Jährige.

Die Richterin zweifelte die Glaubwürdigkeit der Aussage an, diese weise eine starke Belastungstendenz auf. Das Amtsgericht sprach die Angeklagte frei. Der Privatkläger muss nun alle Kosten tragen. „Der Zaun zwischen den Gärten steht immer noch nicht“, schilderte die Witwe, „der Nachbar hat nur ein 70 Zentimeter großes Loch in meine Hecke geschnitten. Da habe ich ihn ausgeschimpft, das ist doch Sachbeschädigung.“ Dazu der Privatkläger: „Sie verhindert den Zaun seit Jahren.“