Tierschutzverein100 verstoßene Tiere finden auf dem Mucher Hof Huppenhardt Zuflucht
Much – „Ivan!“, ruft Melanie Seiler halblaut in die Richtung des Wallachs, um ihn anzulocken. Doch der steht weiter mit seinen Freunden Paula und Splendido in der Schutzhütte auf der Koppel. Ivan und Splendido sind blind. Doch auf Hof Huppenhardt in Much haben beide ein neues Zuhause gefunden, wie viele andere Tiere.
Hier hat der Verein „Einsatz für Tiere in Not“ samt angegliedertem Tierschutzzentrum seinen Sitz. Melanie Seiler ist die Geschäftsführerin und kennt jedes der rund 100 Pferde, Esel, Schweine, Hühner, Katzen, Schafe und Ziegen, die hier leben, beim Namen.
Zweite Chance zum Überleben
Sie kommen, um eine zweite Chance zu erhalten. Mal war es Mitleid der Menschen, das sie vor dem Schlachter rettete, mal die pure Panik. Mal verloren Menschen die Geduld mit ihnen, mal mit sich selbst. Und manchmal fehlt ihnen auch die Achtung, denn nicht selten kommen die Tiere in einem Zustand der Verwahrlosung auf Hof Huppenhardt an. „Wenn es möglich ist, sollen die Tiere an neue Besitzer vermittelt werden. Aber oft bleiben sie auch für immer hier“, sagt Seiler.
So wie Ivan, der nun mit der Zunge über ihre Hand leckt– etwas zu fressen hat sie nicht dabei. Mehr als 30 Jahre ist der Hengst schon alt. „Turnierpferde werden normalerweise eher acht“, sagt Weiler. Vor ein paar Jahren litt Ivan an einer Augenentzündung. „Das sorgt bei den Tieren für Kopfschmerzen und Migräne, und das merkt man ihnen auch an.“ Deswegen wurden ihm und Splendido die Augäpfel entfernt, ihre Augenhöhlen sind leer.
Der Verein
„Einsatz für Tiere in Not“ (ETN) wurde 2005 gegründet. Der Verein betreibt das Tierschutzzentrum in Much-Todtenmann, kümmert sich um Straßentiere in Süd- und Osteuropa und setzt sich für ein Verbot für die Haltung von Wildtieren in Privathaushalten ein. Außerdem betreibt er ein Tierarztmobil für bedürftige Senioren, das mehrmals die Woche in Bonn unterwegs ist. Der Verein finanziert sich hauptsächlich durch Spenden, Tierfreunde können Patenschaften übernehmen. Führungen über den Hof sind nach Terminabsprache und unter 2G-Bedingungen möglich. (mfu)
Wie geht man mit einem blinden Pferd um? „Genau wie mit einem normalen Pferd“, antwortet Seiler. „Die Sinne verlagern sich mehr aufs Hören und Riechen.“ Zur Seite steht ihm außerdem Paula, die Schimmel-Stute. Sie kann noch sehen, Ivan kann sich an ihr orientieren. Inklusion auf tierische Art.
Ein paar Meter weiter leben Fritzi und Fritz, ein Hängebauchschwein-Pärchen. „Die hießen schon vorher so“, sagt Seiler fast entschuldigend. Grunzend läuft Fritzi ihr entgegen und dreht bald wieder ab Richtung Stall, weil Seiler auch für sie nichts zu fressen hat.
Fritzi wurde einst als niedliches, süßes Hausschwein gekauft, wuchs aber bald auf eine stattliche Größe heran. Die Besitzer gaben sie ab, über Umwege wurde Hof Huppenhardt ihr Zuhause, schildert Seiler. Sie mag das Wort „Nutztier“ nicht, denn auch wenn man sie nicht in den eigenen vier Wänden halten könne, hätten Kühe, Pferde und Schafe die gleiche emotionale Bedeutung für Menschen wie normale Haustiere.
Gern würde Seiler Poldi vorstellen, einen Pfundskerl von Ochsen. Doch der liegt lieber mit seiner Freundin Resli im Stall. Seinen Namen verdankt Poldi dem Fußballer Lukas Podolski, der ebenfalls an einem 4. Juni geboren wurde. Die Mutter von Ochse Poldi rannte einst dem Schlachter davon, weil sie angeblich nicht mehr trächtig werden konnte.
Zeitungen berichteten, Spenden wurden gesammelt – und die Kuh konnte in Huppenhardt einziehen. Von dem ungeborenen Kalb im Bauch wusste niemand, bis Poldi auf dem Hof zur Welt kam. „Das kommt leider oft vor, dass trächtige Kühe geschlachtet werden“, sagt Seiler. Dinge, die nicht auf der Wurstpackung stehen.
Gegenüber dem Kuh-Territorium lebt Canabis, einer von sechs Eseln auf dem Hof. Er wurde von seinen Besitzern abgegeben, weil die Umstände nicht mehr passten. Mehrfach, sagt Seiler, habe er Menschen gebissen. Vielleicht ist er ja nur stur, wie man Eseln eben nachsagt? „Das sind sie gar nicht“, korrigiert die promovierte Biologin. „Wenn sie Angst haben, bleiben sie im Gegensatz zu Pferden stehen oder wehren sich. Deswegen eignen sie sich gut als Herdenschutztiere.“
Der Hof schützt seine Bewohner nicht nur vor schlechtem Wetter und Misshandlung, sondern auch vor einem schlechten Ruf. Truthähne etwa, findet Seiler, seien wunderschöne Tiere. Der Puter Tiberius darf sich frei auf dem Hof bewegen. Einen Angriff durch einen Raubvogel muss er nicht fürchten. „Der wiegt 20 Kilo!“ Sein Kumpel Torben, die Federn noch in juvenilem Weiß, tapert hintendrein. Tiberius hat eine leichte Behinderung, manchmal – Seiler und ihr Team vermuten eine neurologische Ursache – dreht er sich im Kreis.
Die Pflegekräfte von Hof Huppenhardt wissen um die Eigenarten jedes Tieres. Wallach Franz Pferdinand etwa gilt noch als reitbar und braucht für eine Vermittlung regelmäßig Training im Trab. Dazu ist Stute Flicka längst nicht mehr in der Lage, sie leidet im hohen Alter unter Muskelschwund.
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Hin und wieder, erzählt Seiler, gäben die Hinterbeine nach, und Flicka kippe auf den Boden. „Dafür haben wir eine spezielle Vorrichtung, mit der wir sie mit dem Radlader wieder aufrichten können. Das kennt sie aber schon.“
Zwergziegenbock Ernesto von Horn hat es noch besser getroffen: Es ist sein letzter Tag auf Hof Huppenhardt, am kommenden Tag werden seine neuen Besitzer ihn abholen.