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„Prominentenrichter“ QuiriniEin Prozess in Bonn sorgte für das Filmverbot im Gericht

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Vor Gericht verantworten mussten sich Walter Hallstein (r.) und Herbert Blankenhorn (3.v.r.). 

  1. Der Schwurgerichtssaal des Bonner Landgerichts, das 1850 errichtet worden ist, wird saniert; er steht unter Denkmalschutz.
  2. Aus diesem Anlass blickt Dieter Brockschnieder auf spektakuläre Verfahren zurück, die in dem Saal stattgefunden haben. Heute: der Prominentenrichter Helmut Quirini.

Bonn – Leser von Karl Mays Orientromanen kennen das Wort Bakschisch. Kara Ben Nemsis Gefährte Hadschi Halef Omar war nicht abgeneigt, gelegentlich ein solches Geschenk für eine erwiesene Gefälligkeit anzunehmen. Hierzulande wird ein Bakschisch auch als Synonym für Schmiergeld genutzt. Wenn ein Beamter für solche Gaben empfänglich ist und die Hand aufhält, macht er sich der Bestechlichkeit strafbar – und so hatte das Landgericht am Sitz der Bundesregierung in den 50er- und 60er-Jahren mit einer Reihe von Verfahren zu tun, in denen es um derartige Zuwendungen ging.

In einem spielte tatsächlich ein Bakschisch eine Rolle. Angeklagt wegen falscher Anschuldigung und übler Nachrede waren zwei Prominente: der erste Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und damit Ursula von der Leyens Ur-Vorgänger, Professor Walter Hallstein (1901-1982), sowie der deutsche Botschafter in Frankreich, Herbert Blankenhorn (1904-1981), zwei enge Vertraute von Bundeskanzler Konrad Adenauer.

Die Ermittlungen reichten zurück ins Jahr 1953. Die Angeklagten sollen, damals beide im Dienst des Auswärtigen Amts, einen Referatsleiter des Bundeswirtschaftsministeriums verdächtigt haben, von einer ägyptischen Firma ein Bakschisch, nämlich Geld und Geschenke im Wert von 35.000 Mark, für das Zustandekommen eines Geschäfts angenommen zu haben. Quelle der Verdächtigungen war ein Mitglied der Arabischen Liga.

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Der Prozess mit dem Bonner Landgerichtsdirektor Helmut Quirini (Zweiter von rechts) führte dazu, dass Fernsehaufnahmen bei Gerichtsverfahren in Deutschland untersagt wurden.

Dass aus diesem Deal, den der Beschuldigte von Anfang an abgelehnt hatte, schließlich nichts wurde, spielte keine Rolle: Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard entband den Referatsleiter von seinen Aufgaben. Der sah sich als Opfer einer Intrige und erstattete bei der Staatsanwaltschaft Bonn Anzeige wegen Verleumdung.

Es brauchte Jahre, bis die Anklage stand, weil das Auswärtige Amt seinen Beamten Blankenhorn und Hallstein keine Aussagegenehmigung erteilte und Akten nicht herausgab. Das berichtet Rudolf Gehrling, ehemaliger Chef der Staatsanwaltschaft Bonn, in der 2000 bei Bouvier erschienenen Festschrift „150 Jahre Landgericht“. Erst 1958 wurden die beiden angeklagt.

Den Prozess im Schwurgerichtssaal leitete der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer, Landgerichtsdirektor Helmut Quirini, ein Richter, der es im „Bundesdorf Bonn“ zu einiger Berühmtheit gebracht hatte. 1912 in Köln geboren, sprach er rheinischen Slang und war sich auch für Kalauer nicht zu schade. Einen Quirini-Spruch zitierte in einem „Kalenderblatt“ die Berliner Zeitung „taz“: „Hier in diesem Saal wird nicht gelogen. Hier wird nur objektiv die Unwahrheit gesagt.“

Der „Prominentenrichter Quirini“ bekam Titelgeschichte im Spiegel

Eine „selbstzufriedene Lustigkeit“ wurde dem Juristen nachgesagt. Doch seine Art Humor kam nicht gut an bei den hochrangigen Beamten und bei den Wirtschaftsbossen, die auf der Anklagebank saßen oder die er als Zeugen vernahm. Seine Unerschrockenheit vor „hohen Tieren“ brachte dem „Prominentenrichter“ am 2. September 1959 eine Titelgeschichte im „Spiegel“ ein. Darin war etwa zu lesen, dass Quirini beim Russlandfeldzug im Winter 1941/42 an den Füßen Erfrierungen dritten Grades erlitten, dadurch fast alle Zehen verloren hatte und am Stock ging.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft, im Prozess vertreten von Oberstaatsanwalt Franz Drügh und Staatsanwalt Werner Pfromm, hatte auf leichtfertige falsche Anschuldigung (falsche Verdächtigung) und üble Nachrede gelautet. Quirinis Kammer hingegen ging einen Schritt weiter und hielt Blankenhorn und Hallstein der vorsätzlichen falschen Anschuldigung für verdächtig. Das Gesetz sah dafür eine Strafe von einem Monat bis zu einem Jahr Gefängnis vor.

Weiterer Prozess

Im Sommer 1959 musste sich ein Oberst der Bundeswehr in einem weiteren Bestechungsverfahren vor der 1. Großen Strafkammer unter Vorsitz von Helmut Quirini verantworten. Er war angeklagt, von der Industrie bestochen worden zu sein. Elf Firmen hatten den Soldaten, der für die Vergabe von Rüstungsaufträgen zuständig war, in Restaurants bewirtet, Übernachtungen bezahlt und mit Gratis-Autos versorgt. Unterm Strich ging es um einen Betrag von 1349,80 Mark. Direktoren der Firmen mussten als Zeugen aussagen.

Das Urteil: drei Monate Gefängnis auf Bewährung wegen schwerer passiver Bestechung. Der Bundesgerichtshof hob die erstinstanzliche Entscheidung ein Jahr später auf. (dbr)

Der EWG-Präsident und der Botschafter wurden vor Gericht bevorzugt behandelt: Landgerichtspräsident Heinrich Becker reservierte ihnen für die Verhandlungspausen einen eigenen Ruheraum, der anderen Angeklagten nicht zugebilligt wurde. Becker selbst saß an beinahe jedem Prozesstag im Schwurgerichtssaal, wohl wissend, dass dieses Verfahren von höchster Stelle, nämlich vom Kanzleramt, aufmerksam beobachtet wurde.

Auf dem Zeugenstuhl Platz nehmen mussten unter anderem Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard und Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß. Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier schaute am Tag des staatsanwaltlichen Plädoyers als Zuhörer vorbei. Am 22. April 1959 verkündete die 1. Große Strafkammer ihr Urteil: Hallstein wurde mangels Beweisen freigesprochen, Blankenhorn wegen vorsätzlicher falscher Anschuldigung zu einer Gefängnisstrafe von vier Monaten auf Bewährung und 3000 Mark Geldbuße verurteilt.

Die Bundesregierung, das war ungewöhnlich, übte öffentliche Urteilsschelte: Der Botschafter habe sich „pflichtgemäß“ verhalten, teilte ein Regierungssprecher mit. Ein Jahr später, am 13. April 1960, hob der Bundesgerichtshof (BGH) die Bonner Entscheidung auf, das hieß: Freispruch für Blankenhorn, der in Revision gegangen war. Das BGH rehabilitierte damit auch Hallstein, obwohl der keine Rechtsmittel eingelegt hatte.

Prozess in Bonn sorgte für das Ende des Gerichtsfernsehens

Damals war es noch üblich, dass Prozesse gefilmt wurden, falls kein Beteiligter Einspruch erhob. Landgerichtsdirektor Helmut Quirini ließ, da niemand Einwände hatte, für die Urteilsverkündung Fernsehaufnahmen zu. Das Team brachte schweres Gerät mit, große Kameras auf Stativen und Scheinwerfer, und während der Vorsitzende Richter das Urteil verlas, schwenkten die Kameras auf die Angeklagten und ihre Verteidiger, die voll angeleuchtet wurden. Quirini war teilweise nur im Off zu hören.

Blankenhorn-Verteidiger Hans Dahs sprach später von einer „Fernseh-Hinrichtung“. Quirini, der „Richter im Scheinwerferlicht“, wurde zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen, die sich vor allem darum drehten, ob in Gerichtssälen gefilmt werden dürfe.

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Es war denn auch dieser Prozess, der den Gesetzgeber 1964 veranlasste, Fernseh- und Rundfunk- sowie Ton- und Filmaufnahmen von Urteilsverkündigungen und mündlichen Verhandlungen zu verbieten. Seitdem gibt es in Deutschland kein Gerichtsfernsehen mehr.

In anderen Ländern sind die auch als „Court TV“ bekannten Übertragungen erlaubt. Vorsitzende Richter können es heute allerdings mit „sitzungspolizeilichen Anordnungen“ erlauben, Angeklagte und den Einzug der Kammer zu Prozessbeginn abzubilden. Danach heißt es: „Alle Kameras raus!“