Das Gebäude wurde in den 70ern gebaut. Vor Jahrzehnten wurde eine hohe Belastung mit Schadstoffen entdeckt.
„Klein-Tschernobyl“Lost Place mitten in Bonn steht seit mehr als zehn Jahren leer
Die Fenster des Hochhauses sind leer. Das grau-braune Gebäude ist von schwarzen Regenflecken überzogen, es ist verwahrlost. Bäume und Sträucher umgeben das alte Hochhaus, ranken teilweise an den Seitenwänden hoch. Doch sie machen es damit nicht anschaulicher, vielmehr isolierter.
Ein einzelnes Licht leuchtet noch in einem der Flure des Hauses an der Römerstraße 164 und ist vom Weg an der Straße aus zu sehen. Ein trist anmutender öffentlicher Tausch-Stand steht nur ein paar Meter weiter an der Straßenecke vor dem Haus. Doch sonst ist alles an dem Gebäude still, dunkel und leer – seit mehr als zehn Jahren.
Früher wurde das Gebäude von der Uni Bonn genutzt. Die pädagogische Fakultät und die Informatik-Abteilung waren hier unter anderem untergebracht. Ende 2010 wurde es jedoch geräumt, wegen hoher PCB-Belastung. Seitdem steht das Haus leer. Ein „Lost Place“ mitten in Bonn – allerdings kann man hier nicht auf Entdeckungstour gehen, denn das Gebäude ist abgesperrt.
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Ehemaliger Student erzählt: „Haben es immer Klein-Tschernobyl genannt“
„Wir haben den Bereich hier immer ‚Klein-Tschernobyl‘ genannt“, erzählt Steffen und lacht. Er ist Anfang 30, trägt eine Brille, hat ein Faible für dunkle Kleidung und spricht mit weicher Stimme. Der Bonner hatte an der Römerstraße zu seiner Studienzeit Seminare und Vorlesungen in der Informatik-Abteilung. „Im angrenzenden Gebäude, das auch heute noch genutzt wird, haben wir uns immer hingesetzt und konnten durch die Glasfront auf das Hochhaus gucken. Das war immer alles so leer und karg, echt gruselig.“
„Ich habe 2011 dort Informatik studiert“, sagt Steffen, der nur mit Vornamen genannt werden will. „Und da waren wir teilweise noch an der Päda-Fak untergebracht. Aber den großen Audimax, den es im Hochhaus gibt, hab ich zum Beispiel nie mehr wirklich miterlebt. Den hab ich vielleicht einmal von innen gesehen.“
PCB-Bauprodukte sind seit 1989 verboten
Bis Ende 2010 sei das Gebäude zum großen Teil geräumt worden, teilt der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB), Eigentümer der Anlage, auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Die Fakultäten und Abteilungen, die sich im Hochhaus befanden, seien wegen der PCB-Belastung der Rauminnenluft in Ausweichquartiere umgesiedelt worden.
PCB steht für Polychlorierte Biphenyle. Dabei handelt es sich laut NRW Umweltministerium um synthetische Stoffgemische, die seit den 1950er Jahren unter anderem beim Bau für Anstriche und Fugenmassen verwendet wurden – seit 1989 ist die Verwendung verboten, denn die Stoffe gelten als krebserregend. PCB kann über die Haut und Luft aufgenommen werden. Das Stoffgemisch kann das Nervensystem, Immunsystem, die Leber und Schilddrüse schädigen. Hauptsächlich wurden PCB-haltige Bauprodukte demnach in den 1960er und 1970er Jahren verwendet.
Damit fällt der Zeitraum der PCB-Verwendung genau in die Entstehungszeit des Hochhauses der pädagogischen Fakultät. Das Gebäude wurde in den 70er Jahren zusammen mit anderen Neubauten als Teil der damaligen Pädagogischen Hochschule errichtet.
„Die Schadstoffbelastung des zwölfstöckigen Hochhauses wurde seit dem Zeitpunkt der Feststellung kontinuierlich überwacht“, so ein Sprecher des BLB. Es seien Maßnahmen ergriffen worden, um die PCB-Konzentration in der Raumluft zu senken. Dazu gehörten unter anderem aufwendige Luftwäscheanlagen. Die hätten die Konzentration der Stoffe zwar senken können, aber es blieb zu viel PCB in den Oberflächen und der Bausubstanz zurück, um das Gebäude unbedenklich weiterzunutzen.
Wie hoch die PCB-Konzentration in der Raumluft im Jahr 2004 war, als die Belastung festgestellt wurde, ließ der BLB unbeantwortet. Ebenso die Frage, auf welchen Wert die Reinigungsmaßnahmen die Schadstoff-Konzentration gesenkt haben.
Laut Informationen des Bonner „General-Anzeiger“ war die Konzentration 2016 in dem Hochhaus bis zu zehnmal so hoch wie vom Land NRW in der PCB-Richtlinie als Grenzwert vorgeschrieben (300 Nanogramm pro Kubikmeter Raumluft).
„Die Mensa wurde geschlossen, als ich dort studiert habe“, erinnert sich Steffen. „Und alle mussten weg, nur die Informatiker waren noch auf dem Gelände.“ Vor allem schwangere Menschen hätten schon zuvor nicht mehr in das Hochhaus hineingedurft. Die Informatiker waren allerdings fortan im unbelasteten Altbau neben dem Hochhaus untergebracht. Auch sie durften nicht mehr in das hochbelastete Gebäude.
Bonner Politik war in Sorge um Menschen in dem Gebäude
Auch in der Bonner Stadtpolitik gab es Sorge um die Gesundheit und den Schutz der Studierenden und Forschenden. In einer „Großen Anfrage“ aus dem Jahr 2009 fragte die Grünen-Fraktion danach, in welcher Form die Verwaltung auf die Situation einwirken könne. Die Grünen-Fraktion schrieb, die Situation sei „nicht hinzunehmen“. Die Schadstoffe seien 2004 festgestellt worden, fünf Jahre später seien die Werte immer noch kritisch und Studierende und Forschende täglich im Gebäude.
Die Verwaltung erklärte daraufhin in einer Stellungnahme, dass sie keine Einflussmöglichkeiten habe, da die „Angelegenheiten des Gesundheits- und Arbeitsschutzes“ der Universität Bonn und dem BLB oblägen.
Die Uni Bonn veröffentlichte im Frühjahr 2011 eine Mitteilung, nach der alle Abteilungen des Informatik-Instituts inzwischen in ein Ausweichquartier umgezogen waren, außer einer. Die Abteilung drei (zu der auch Steffen gehörte) war weiterhin im „unbelasteten ‚Altbau‘ an der Römerstraße 164“ untergebracht. Auch weitere Gebäude blieben noch, wie Bibliothek und Fachräume.
Nur wenige Stunden Aufenthalt: Bis 2016 arbeiteten Labor-Mitarbeitende im Hochhaus
Das meiste davon ist inzwischen Geschichte. Nur wenige der Nebengebäude und einige Sportanlagen werden heute noch genutzt. Denn die Bibliothek, das Sportinstitut und die Mensa wurden inzwischen abgerissen, so der BLB. Allerdings erst kürzlich in den Jahren 2021 und 2022. Geblieben ist eine Brachfläche, die für die Baustelle genutzt wird.
„Nachdem wir Informatiker weg waren, sollen aber immer noch Leute in Laboren im Hochhaus gearbeitet haben, habe ich gehört“, so Steffen. Es solle strenge Auflagen für den Aufenthalt gegeben haben. „Man durfte nur einige Stunden dort sein und nur den Aufzug benutzen, nicht die Treppe.“ Das bestätigt der BLB-Sprecher auf Anfrage: „Teile des Gebäudes waren bis 2016 noch unter strengen Nutzungsregelungen (begrenzte Aufenthaltszeiten nach Vorgaben des Arbeitsschutzes) für einen kleinen Personenkreis für Forschungszwecke in Betrieb.“ Zu der Art der Forschungen konnte BLB keine Auskunft geben.
Das Hochhaus indes soll nun auch nicht mehr lange stehen. Zunächst sollen die Schadstoffe entfernt und entsorgt werden. Die Ausschreibung für die Schadstoffsanierung solle noch in diesem Jahr veröffentlicht werden. Danach wird das Hochhaus ober- und unterirdisch abgebrochen. Wie lange das Ganze dauert, ist unklar.