AboAbonnieren

Versuchter Mord in KönigswinterSchüsse auf Jungen kamen aus Waffe des Stiefvaters

Lesezeit 3 Minuten
Angeklagter_Mordprozess_Bonn

Der 33-jährige Angeklagte im Landgericht

Bonn/Königswinter – Am Abend des 8. April 2021 hatte der diensthabende Arzt in der Asklepios-Kinderklinik in Sankt Augustin einen brisanten Einsatz: Ein Rettungswagen brachte gegen 20 Uhr aus Königswinter-Bockeroth einen Elfjährigen, begleitet von der Mutter, mit drei rätselhaften Wunden auf der Brust.

Der Mediziner sah auf dem Röntgenbild und später auf einem CT zwei Kugeln im Körper des Jungen. „Das war eine lebensbedrohliche Situation für den Jungen“, erinnerte sich der Arzt gestern als Zeuge vor dem Jugendschwurgericht des Bonner Landgerichts.

Mediziner stellte mehrere innere Verletzungen fest

Dort ist der Stiefvater (33) wegen schwerer Misshandlung eines Schutzbefohlenen, gefährlicher Körperverletzung und Mordversuchs durch Unterlassen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in Bockeroth mit einem Luftdruckgewehr auf das Kind geschossen zu haben.

Der Mediziner in der Kinderklinik ließ „alles stehen und liegen“ und kümmerte sich nur noch um den Patienten, bei dem er einen Pneumothorax feststellte: Durch die Schusslöcher drang Luft in den Brustkorb ein, die Lunge konnte sich nicht mehr ausdehnen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zudem diagnostizierte er eine Darmverletzung. Das Kind wurde gegen Mitternacht in die Uni-Klinik Bonn gebracht und dort operiert. Das Ärzteteam stellte zwei Projektile sicher, eines im Brust-, das andere im Bauchraum. Lunge, Zwerchfell und Darm waren perforiert worden.

Die dritte Wunde war durch einen Streifschuss entstanden. Der Elfjährige hatte Glück und eine gute Konstitution, er konnte nach wenigen Tagen das Krankenhaus verlassen.

Der Zeitpunkt der Tat ist unklar

Bisher ist nicht klar, wann die Schüsse gefallen sind. Der Angeklagte, der die Vorwürfe zurückweist, sagte am ersten Prozesstag aus, er habe den Sohn gegen Mittag des 8. April 2021 zum Spielen nach draußen geschickt.

Stunden später hätten ihn seine Geschwister und Spielkameraden nach Hause gebracht, weil er sich unwohl fühlte. Danach habe er, der Stiefvater, bei ihm drei kleine kreisrunde Löcher auf der linken Brustseite entdeckt.

Das Problem: Der Junge selbst kann nicht befragt werden, er ist Autist und macht sich ausschließlich durch Mimik und Handzeichen verständig. Also müssen Fachleute die Indizien bringen.

Schlagabtausch zwischen Rechtsmedizinerin und Anwalt

Rechtsmedizinerin Anja Wegner, die den Verletzten einen Tag nach dem Vorfall untersucht hatte, sagte am Mittwoch, dass er horizontal von vorn getroffen worden sei. Ein Geschoss dringe mit 50 Metern pro Sekunde durch die Haut.

Strafverteidiger Uwe Krechel, der sich mit Waffen auskennt, glaubt, man könne es mit einer lederbehandschuhten Hand auffangen. Wegner widersprach: „Ich habe schon Leute gesehen, die sich mit dem Luftgewehr durch die Hand geschossen haben.“

Sicher zu sein scheint, dass die Projektile aus dem Luftdruckgewehr des Vaters abgefeuert wurden, das er ein halbes Jahr vor der Tat gekauft hatte. Ein Schusswaffensachverständiger des Landeskriminalamts (LKA) hatte die zwei aus dem Körper des Jungen operierten Spitzkopfgeschosse aus Weichblei untersucht.

LKA-Experte identifiziert Luftgewehr als Tatwaffe

Sie heißen Diabolos, weil sie wie das gleichnamige Jonglierspielzeug in der Mitte kegelförmig zulaufen. Die Waffe des 33-jährigen Bockerothers hat einen Lauf mit leichtem Rechtsdrall.

Spuren dieser Verformung sowie weitere Eigenarten wie besondere Riefen konnte der LKA-Experte bei seinen Analysen der Diabolos unter dem Mikroskop sehen. Zudem hatte er auf dem LKA-Schießstand Probeschüsse aus einem baugleichen Luftgewehr des chinesischen Herstellers abgegeben und diese Projektile mit denen der mutmaßlichen Tatwaffe verglichen. Ergebnis: Der Elfjährige war damit verletzt worden.