Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Erst Corona, dann „Farbverbot“Bornheimer Tätowierer sind wegen neuer EU-Regel besorgt

Lesezeit 4 Minuten
Tattoo1

Bald mehr Grau, Weiß und Schwarz statt Farbe?  Tätowierer  Erkan  Sürücü und Jenny Pfaff können die neuen Regelungen nicht nachvollziehen.

Bornheim – Ein gelbes Minion, Micky Maus als Zauberlehrling aus dem Disney-Zeichentrickklassiker „Fantasia“, eine Rose und Herzen, die an die große Liebe erinnern, oder den Namen eines sogenannten Sternenkindes – all das hat Erkan Sürücü bereits auf Arme oder Oberschenkel seiner Kunden tätowiert. Viele mögen es bunt, gerade die Farbe Rot ist besonders beliebt. Doch damit ist nun erst einmal Schluss. Seit Anfang des Jahres dürfen Tattoo-Artists wie der 44-Jährige Sürücü, der im „Unlimited Tattoo- und Piercing-Studio“ von Jenny Pfaff in Bornheim tätig ist, nur noch Schwarz, Weiß oder Grau für die Körperbilder verwenden. Hintergrund ist seit 4. Januar die REACH-Verordnung, die EU-weit viele Chemikalien verbietet, die in Tattoo-Farben zu finden sind.

Das Regal, in dem sonst viele Farbtuben stehen, ist auch fast leer. Tattoo-Farben mit bestimmten Konservierungs- oder Bindemitteln sind ab sofort verboten, weil sie allergische Reaktionen auslösen können. 2023 folgt eine weitere Verschärfung: Dann werden auch ein bestimmter Blau- und Grünton untersagt. Diese stehen im Verdacht, krebserregend zu sein.

„Wir sind gebeutelt genug“

Jenny Pfaff ist entsetzt: „Erst kam Corona, jetzt diese neue Verordnung, wir sind bereits gebeutelt genug.“ Nur einmal habe sie es erlebt, dass es zu einer allergischen Reaktion bei einer Kundin kam, die aber auch nicht schwerwiegend verlaufen sei. Und Jenny Pfaff kann auf eine sehr lange Berufserfahrung zurückblicken: Vor gut 40 Jahren ist die heute 75 Jahre alte, ausgebildete Heilpraktikerin ins Tattoo-Geschäft eingestiegen. Sie betrieb unter anderem ein Studio in Köln, seit einigen Jahren hat sie ihr Geschäft an der Königstraße in Bornheim.

Tattoo2

Präzision und Fingerspitzengefühl erfordern alle Motive, insbesondere aber die großflächigen Tattoos wie dieser Indianer.

Zu ihrem Team gehört neben Erkan Sürücün auch Daniela Bornheim (37), die über ein Praktikum zu Jenny Pfaff stieß, mittlerweile gelernte Body-Piercerin und Shop-Managerin ist: „Wir gehen im wahren Sinne unter die Haut, unsere Tätigkeit ist sehr intim, unsere Kunden müssen uns vertrauen“, schildert Bornheim. Vertrauen bedeutet nicht nur, dass die Künstler ihr Handwerk verstehen, sondern vor allem, dass die Hygiene stimmt: „Bei uns ist es genauso steril und sauber wie in einer Arztpraxis“, beschreibt es  Jenny Pfaff.

Zudem würden alle Kunden, bevor sie zum ersten Mal tätowiert werden, über sämtliche Risiken genau aufgeklärt, auch über mögliche allergische Reaktionen. Üblich sei, dass sie einen detaillierten Anamnesebogen ausfüllen und eine Einverständniserklärung unterzeichnen, gegebenenfalls empfehlen die Tätowierer ihren Kunden, vorsichtshalber noch einmal mit einem Arzt Rücksprache zu halten: „Eine Tätowierung gilt als Körperverletzung, aber sie ist gewollt und die Leute kommen ja freiwillig zu uns“, schildert Sürücü. Nachdem das Motiv gestochen worden ist, sollen die Kunden regelmäßig zur Nachsorge vorbeischauen, um Hautschäden zu verhindern, so Pfaff.

Tattoo-Studio: „Standards sind sehr hoch“

Zudem seien sämtliche Farben dermatologisch getestet, würden seit langem angewendet und stets weiterentwickelt, erklärt die Chefin. Die Standards in dem Studios seien sehr hoch, betont Jenny Pfaff. Aus Sicht von Daniela Bornheim sei es daher „absurd“, was sich die EU habe einfallen lassen. Erkan Sürücü und sie befürchten, dass nun Tätowierer ihre Dienste im Verborgenen, in irgendwelchen Hinterzimmern anbieten, sich billige Farben aus dem Ausland besorgen, die dann erst recht gefährlich sind. Die, die ihre Arbeit seriös betreiben, werden es schwer haben, meinen beide. Alternative Farben gebe es, doch der Markt sei leer gefegt und die Farben seien zudem teurer.

„Unsere Branche hatte früher ein verruchtes Image, das wir mittlerweile ablegen konnten. Ich  befürchte nun, dass wir dahin wieder zurückkommen. Wichtig wäre es, unseren Beruf endlich staatlich anzuerkennen und er nur dann ausgeübt werden darf, wenn die Leute eine entsprechende Ausbildung haben“, fordert Sürücü.

Bundesverband protestiert

Gegen die REACH-Verordnung – die Abkürzung steht für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“, das heißt Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe – positioniert hat sich auch der Bundesverband Tattoo. In einer Pressemitteilung heißt es, dass durch dieses Farbenverbot „Zehntausende Tätowierer in ihrer Existenz bedroht, Tätowierer und Kunden sind verunsichert.“ Auch der Verband befürchtet, dass nun minderwertige Tätowierfarben aus dem Ausland verwendet werden: „Der mit Reach beabsichtigte Verbraucherschutz ist somit nicht gegeben und stark gefährdet.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Daher fordert der Verband eine Aussetzung des Verbotes und eine längere Übergangsfrist und hat die bundesweite Aufklärungskampagne „Tattoo2030“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, dass die Branche bei der zukünftigen Gesetzgebung mit einbezogen wird, denn immerhin seien rund zwölf Prozent der europäischen Bevölkerung tätowiert.

Erst Corona, jetzt „Farbverbot“

Für das Bornheimer Tattoo-Studio kommt die neue Regelung zur Unzeit, wie Daniela Bornheim und Jenny Pfaff kritisieren: „Wir mussten gut ein Jahr lang wegen der Lockdowns schließen, weil wir eine körpernahe Dienstleistung anbieten.“  Zudem seien die Kosten für  Hygieneartikel wie Masken oder Schutzhandschuhe exorbitant gestiegen. Mit den Soforthilfen seien sie da nicht weit gekommen. Monatelang habe sich Jenny Pfaff selbst kein Gehalt ausgezahlt, um den Laden über Wasser zu halten. Gerade jetzt, da das Business endlich wieder anlaufe, kämen das Finanzamt und die EU mit neuen Verordnungen: „Die wissen gar nicht, was sie uns antun.“

Die Kunden müssen sich offenbar künftig mit Motiven in Schwarz, Weiß und Grau begnügen.