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„Anblick tut weh“Riesige Fabrik an der Sieg verkommt zu tragischem „Lost Place“

Lesezeit 6 Minuten
Das verfallene Werksgelände der stillgelegten Fabrik Kabelmetal in Windeck-Schladern.

Das verfallene Werksgelände der stillgelegten Fabrik Kabelmetal in Windeck-Schladern.

Einst kamen Spezialaufträge aus der ganzen Welt – heute sind nur noch Ruinen von dem Werk in Windeck übrig.

Wer am Wasserfall der Sieg in Windeck-Schladern im Rhein-Sieg-Kreis spazieren geht, der wird den ein oder anderen fragenden Blick auf ein verlassenes Areal unterhalb massiver Felsen nicht vermeiden können. Das alte Werk ist nicht zu übersehen. Auf mehreren hundert Metern erstrecken sich die alten Mauern entlang der Sieg. Die Gebäude sind marode und zu großen Teilen stark verfallen.

Früher handelte es sich bei der Fabrik an der Sieg um einen Weltmarktführer, sogar für den Eiffelturm wurden hier in Windeck-Schladern Teile gefertigt, Spezialaufträge kamen aus der Kernforschung. Seit Jahrzehnten verkommt das Industrie-Areal jedoch zum gruseligen „Lost Place“.

Kabelmetal-Werke nutzten Siegwasserfall in Windeck-Schladern

Die spektakuläre Lage unmittelbar an der Sieg, auf der anderen Seite das hohe Felsmassiv, war nicht zufällig gewählt. Der dortige Wasserfall wurde zwischen 1857 und 1859 während des Baus der Deutz-Gießener Eisenbahn künstlich angelegt. Die Elmore's Werke nutzten die Wasserkraft dann ab 1891 zur Herstellung von Kupferrohren.

Zur Kühlung wurde das Siegwasser durch einen Schacht hoch in den Berg gepumpt, von dort fiel es dann durch große Schleusen innerhalb der Fabrik in die Wasserturbinen. Anschließend wurde das Wasser über einen Seitenarm wieder in die Sieg geleitet, sodass die Fabrik noch heute quasi auf einer Art Halbinsel befestigt ist.

1971 bei Kabelmetal angefangen – „Anblick tut weh“

Einer, der das Schicksal der Werke an der Sieg quasi sein ganzes Leben begleitet, ist Paul Kolb. Er hat 1971 bei der Firma Kabelmetal angefangen und übernahm dann schnell die Leitung der Elektroabteilung des Unternehmens. Noch heute ist er für einen Teil des Geländes zuständig – doch dazu später.

Paul Kolb begann seine Karriere bei Kabelmetal bereits im Jahr 1971 und begleitet das Schicksal der Fabrik bis heute.

Paul Kolb begann seine Karriere bei Kabelmetal bereits im Jahr 1971 und begleitet das Schicksal der Fabrik bis heute.

Für Kolb ist der Blick auf die heutige Fabrik-Ruine wie ein Stich ins Herz. „Der Anblick tut in der Seele weh. Jedes Mal, wenn ich da heute reingehe, schnürt sich mir der Hals zu. Immer noch, auch nach so vielen Jahren noch“, erklärt Paul Kolb im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Kupferrohre von Kabelmetal in Windeck waren weltweit gefragt

Früher, in den Hochzeiten der Firma Kabelmetal, sei man hier mit großem Stolz durch die Werkstore geschritten. Bis zu 360 Mitarbeiter wurden in dem kleinen Ort Windeck-Schladern beschäftigt. Das elektrolytische Verfahren, in dem hier nahtlose Kupferrohre gefertigt wurden, war auf der ganzen Welt gefragt. Verwendung fanden sie in der Industrie, der Forschung, sogar am Pariser Eiffelturm.

Die Ruinen und alten verfallenen Mauern sind bis heute stumme Zeugen dieser großen Geschichte an der Sieg. Auch Spuren der alten Bahntrasse, mit der das Werk 1911 an die Siegstrecke angebunden wurde, finden sich noch auf dem Gelände.

Achtung: Wasserturbinen im „Lost Place“ Kabelmetal

Wer dem schmalen Weg folgt, der linker Hand entlang der Werke den Berg hinaufführt, der nimmt über das Rauschen des Siegfalls vermutlich ein Motorengeräusch wahr. Man ahnt es kaum, doch in einem der sonst bereits völlig verfallenen Gebäude sind bis heute noch Wasserturbinen untergebracht.

Verwalter der Turbinen ist eben jener Paul Kolb, der früher schon als Abteilungsleiter für Kabelmetal gearbeitet hat. Ein Geschäftsmann aus Stuttgart hatte sich die Turbinen samt einem Wegerecht in den 1990er-Jahren gesichert.

Die Turbine im ehemaligen Kabelmetal in Windeck-Schladern liefert noch heute große Mengen Strom.

Die Turbine im ehemaligen Kabelmetal in Windeck-Schladern liefert noch heute große Mengen Strom.

Der Zugang ist für Unbefugte strengstens verboten. Exklusiv durfte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einen Blick in die Halle werfen, in der die Hochleistungsturbine untergebracht ist. Auf einen so gut erhaltenen Raum und Technik ist man auf der sonst völlig heruntergekommenen Industrie-Ruine nicht gefasst.

Fabrik in Windeck sollte mehrfach geschlossen werden – 1995 war endgültig Schluss

Die Geschichte des Weggangs von Kabelmetal in Windeck-Schladern und dem Verfall der Werke zum „Lost Place“ ist unterdessen tragisch. Bereits 1976 sollte das Werk erstmals geschlossen werden. Durch den enormen Einsatz der Beschäftigten konnte der Beschluss zunächst doch noch abgewendet werden.

Nachdem Kabelmetal dann Ende der 1980er-Jahre ein großes Werk in Menden im Sauerland gekauft hatte, stand das Damoklesschwert erneut über Schladern und ein Teil des Werksgeländes wurde stillgelegt. Nach dem Mauerfall in Berlin war die Nachfrage nach Kupferrohren jedoch so groß, dass der Standort noch fünf weitere Jahre gehalten wurde. 1995 war dann endgültig Schluss.

Kabelmetal-Werksschließung war ein harter Schlag für die Gemeinde

Der überwiegende Teil der Belegschaft kam aus den umliegenden Orten. Umso härter schlug die Nachricht der Werksschließung ein. In manchen Familien hatten gleich mehrere Angehörige bei Kabelmetal gearbeitet, erinnerten sich ehemalige Mitarbeiter damals im Gespräch mit dieser Zeitung.

Eine Nachnutzung des riesigen Areals an der Sieg erwies sich als kaum durchführbar. Ein Zwischenvermittler versuchte, die Produktionsstätten an verschiedene Firmen zu vermieten. Doch eine langfristige Lösung für eine aussichtsreiche Gesamtnutzung konnte nie erreicht werden.

Riesiges Werksgelände verfällt zum „Lost Place“ – Betreten lebensgefährlich

Schließlich fand sich eine Privatperson als Käufer der gesamten Anlage unterhalb des Berges, ein Ehepaar aus dem Sauerland. Das gesamte Areal, außer der Bereich mit den Wasserturbinen, ist seither in Privatbesitz. Das Ehepaar, die Frau war ebenfalls vor Ort, wohnt in der kleinen Villa am Eingang zum Werksgelände. Spaziergänger werden gebeten, Rücksicht zu nehmen und das Privatgelände nicht zu betreten.

Der Gang über das Werksgelände ist ohnehin lebensgefährlich. Die Gebäude sind stark einsturzgefährdet. Zudem fließt unter vielen Bereichen Wasser, da die vielen Maschinen in den Werkshallen durch Wasserkraft betrieben wurden. Über unterirdische Kanäle wurde die Sieg über das gesamte Areal geleitet.

Verheerender Brand zerstörte Fabrikhallen in Windeck

Im Auftrag der Firma Kabelmetal hatte Paul Kolb das Werk nach der Schließung für 450.000 Deutsche Mark aufräumen und entkernen lassen. Damals waren die Gebäude noch in einem guten Zustand. Doch die fehlende Lösung einer Nachnutzung setzte der Fabrik zunehmend zu.

Große Teile der Anlage wurden dann schließlich bei einem verheerenden Brand zerstört. Von der großen Halle direkt an der Sieg sind nur noch die Mauerreste übriggeblieben.

Und niemand kümmert sich darum. Das ist für mich der größte Skandal.
Paul Kolb

Paul Kolb hat kaum noch Hoffnungen, dass eine Lösung für das Areal gefunden wird. Am fortgehenden Verfall hänge aber nicht zuletzt das Problem, dass immer wieder Teile in die Sieg stürzen und den Fluss abwärts treiben, darunter auch etwa Teerpappe von den Dächern der ehemaligen Werksgebäude. „Und niemand kümmert sich darum. Das ist für mich der größte Skandal“, findet Kolb. Für die Entsorgung seien dann am Ende vermutlich wieder die Bürger verantwortlich.

Die Gemeinde könne aber einfach nichts machen. Versuche, das Gelände zu vermarkten, einen neuen Anstoß zu geben, habe es in der Vergangenheit viele gegeben, so Kolb weiter. Doch an dem Zustand habe der Privatbesitzer bislang nichts geändert.

Kulturinitiative rettet Kabelmetal auf anderer Siegseite

Dass es auch anders geht, zeigt sich in dem ehemaligen Werksgelände von Kabelmetal auf der gegenüberliegenden Siegseite. In Zusammenarbeit von privater Initiative, der Gemeinde Windeck und der Förderung durch das Land NRW hat sich hier seit 2008 ein Bürger- und Kulturzentrum entwickelt, das auch bei Touristen großen Anklang findet.

Der Biergarten Elmores auf dem ehemaligen Werksgelände von Kabelmetal.

Der Biergarten Elmores auf dem ehemaligen Werksgelände von Kabelmetal.

In der ehemaligen Versandhalle ist heute eine moderne Veranstaltungshalle untergebracht, in der regelmäßig Konzerte und Events stattfinden, ein weitläufiger Biergarten mit künstlerischem Flair schmiegt sich an das Ufer der Sieg. In einem anderen Gebäude ist eine Schlosserei untergebracht.

Ob das weitaus größere Areal auf der anderen Siegseite noch gerettet werden kann? Doch zunächst bleibt nur der gruselige Blick auf die langsam zerfallende Industriekultur.